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Wer den Glauben sucht, darf überall suchen
Mitten in Köln: Gold. Unfassbar viel Gold. Über zwei Meter lang, eins fünfzig hoch, ein Meter zehn breit: Gold. Gold, Gold. Besetzt mit über 1000 Edelsteinen, Perlen. Figuren, Szenen aus der Bibel. Der Dreikönigenschrein. Seine Schönheit und sein Glanz blenden mich. Hier liegen sie also, die sterblichen Überreste der "Heiligen Drei Könige".

Der mir seit Kindertagen liebsten Krippenfiguren, die so demütig vor der Weihnachtskrippe knieten. Weit gereist waren sie. Und sahen so exotisch aus. Meine Kinderseele haben sie beflügelt – "Morgenland"? Wo ist das überhaupt? So einen weiten Weg haben sie auf sich genommen, nur um einem Baby so wenig kindgerechte Geschenke wie Gold, Weihrauch und Myrrhe zu bringen?! Und nun beflügelt dieser riesige Schrein im Kölner Dom meine erwachsene Fantasie. Und fordert mein Denken heraus.

Und alles in mir ruft "Protest". Nicht nur, weil Heiligenverehrung so typisch katholisch ist. Ich protestiere auch gegen mich selbst: Warum mache ich mich erst jetzt auf die Suche nach der Lehre der drei Weisen? Und was macht es mir Evangelischem nur so schwer, deren Botschaft zu benennen? Drei Geschenke brachten die Weisen damals nach Bethlehem. Eines davon könnte sein, dass sie uns eine gelassene Einsicht über die Freiheit des Glaubens schenken.

So viele offene Fragen und Sehnsüchte

Was treibt einen Menschen eigentlich an, das Leben – oder Gott – zu finden? Die einen sagen: die Sehnsucht. Die anderen: die Unzufriedenheit. Auch der christliche Glaube hat diese beiden Antworten parat – allerdings in frommen Varianten. "Unser Herz ruht nicht, bis es in dir ruht, Gott", meinte Kirchenvater Augustin. Diese Unruhe ist es, die Menschen aufbrechen lässt. Gehören die drei Könige ihrem Naturell nach zu dieser dritten Gruppe von Menschen – zu denen, die immer wieder das Leben suchen, die nicht ruhig bleiben können angesichts der so vielen noch offenen Fragen und Sehnsüchte?

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Die Bibel präsentiert nur wenige Informationen über die drei Männer. Nur der Evangelist Matthäus berichtet von ihnen. "Weise aus dem Morgenland" sollen sie gewesen sein. Sie hätten einen Stern gesehen, dem sie bis nach Jerusalem gefolgt seien, erklären sie dem verdutzten König Herodes. Diesen Stern haben die Weisen als Hinweis auf eine Rettergestalt gedeutet, vielleicht sogar auf den "König der Juden". Sie bepackten ihre Kamele nicht nur mit Reiseutensilien und Proviant, sondern auch mit Geschenken. Gold nahmen sie mit, Symbol wahren Reichtums; Weihrauch – jenes kostbare Harz, dessen Rauch abwehrende Kräfte gegenüber bösen Mächten zugeschrieben wurden. Und schließlich steckten die Weisen Myrrhe in ihre Satteltaschen, ein wohlriechendes Salböl.

Soweit der biblische Befund. Ob er historisch haltbar ist oder nur eine von vielen biblischen Legenden, weiß niemand. Aber Wahrheit wird diese Geschichte so oder so enthalten. Zum Beispiel diese: Die Weisen finden die Erfüllung ihrer Sehnsucht nicht in den herkömmlichen Angeboten der Religion – egal, ob sie nun einem orientalischen, "heidnischen" Glauben anhingen oder dem jüdischen. Religiöse Schriften, die sie als Gelehrte sicherlich kannten, genügten ihnen nicht. Auch die Besuche heiliger Tempel oder das Verrichten frommer Rituale stillten ihre Unruhe nicht. Keine Lehre – ein Stern, eine Erfahrung brachte sie auf den Weg. Die Geschichte der Weisen aus dem Morgenland ist ein Protest gegen die Art und Weise, wie verkrustete Religionen die Menschen mitunter auf den Weg zu bringen versuchen: durch Drohungen oder Dogmen, also das Für-Wahr-Halten bestimmter Glaubenssätze.

Aus den weisen Gottsuchern wurden Könige

"Extra ecclesiam salus non est", behauptete Bischof Cyprian von Karthago: "Außerhalb der Kirche ist kein Heil". Wer den Glauben finden möchte, meinte der Kirchenvater, müsse sich der Kirche anschließen und sich taufen lassen. Im 15. Jahrhundert erhob ein Konzil diesen Satz zum Dogma. Weder Juden noch Ungläubige noch der Kirche Abgewandte werden demnach des ewigen Lebens teilhaftig: Dieses Dogma gilt in der römisch-katholischen Kirche bis heute. Da die Kirche das Werk Jesu in dessen Auftrag fortsetze, so lautet die Argumentation, werde die Sehnsucht nach Gott nicht mehr an der Krippe, sondern in der Kirche gestillt. Das Leben ist nur dem garantiert, der sich der kirchlichen Form der Gottesverehrung anschließt. Kein geheimnisvoller Stern weist den Weg, sondern die kirchliche Lehre ruft die Gläubigen.

Ob das ein Zufall ist? Zu etwa derselben Zeit, als sich die frühe Kirche zum alleinigen Ort des Heils erklärte, entstanden erste Legenden über die Weisen aus dem Morgenland. Kirchenvater Origenes meinte, es müsse sich um drei Männer gehandelt haben, schließlich hätten sie drei Geschenke überbracht. Zeitgenosse Tertullian durchforstete die Bibel nach Belegen für die geheimnisvollen Weisen. In Psalm 72 wird er fündig; da ist von einem "Königssohn" die Rede, dem "Könige" Geschenke bringen; auch im Buch des Propheten Jesaja findet Tertullian einen Hinweis. "Die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht", steht dort – damit können doch nur die Weisen gemeint sein, von denen Matthäus berichtet, folgerte Tertullian. Die weisen Gottsucher wurden zu huldigenden Königen gemacht. Künftig dienten sie der Kirche als Symbol dafür, dass die Herrscher der Welt vor der Macht der Kirche niederknien sollten.

Was für eine wundersame Verwandlung: Aus drei Weisen wurden Drei Heilige Könige. "Ganz und gar unbiblisch", schießt es mir in den Sinn. Evangelisch zu glauben bedeutet doch, allein die biblischen Quellen zu betrachten! In diesem Fall also: Die Heiligen Drei Könige zurückzuführen aus dem goldenen Schrein in Köln in das ärmliche Bethlehem zur Zeit der Geburt Jesu. Ihre Weisheit besteht dann vielleicht eher darin, die religiösen Sachwalter und Zeremonienmeister in ihre Grenzen zu verweisen. Sehnsucht nach lebendigem Glauben wird nun mal schwerlich in Kirchen oder religiösen Institutionen gestillt. Glauben bedeutet doch vielmehr, die eigenen Sinne zu schulen und Zeichen zu deuten. Auch solche Zeichen, die gemeinhin als unseriös oder mit dem christlichen Glauben unvereinbar abgetan werden: Sterne, Träume. Dies könnte das evangelische Geschenk der Weisen für Christen sein, die Einsicht: Wer den Glauben sucht, darf überall suchen. Und kann ihn auch außerhalb der Kirche finden.

Warum sollte einem Protestanten nicht ab und an mal warm ums Herz werden?

"Euch Protestanten fehlt der Sinn für das Heilige", höre ich meinen katholischen Freund unken, "lass Dich doch beschenken durch die reiche und fantasievolle Tradition der katholischen Kirche! Warum stört dich denn, dass die Gebeine der Heiligen Drei Könige im Dom liegen und verehrt werden?" In gut protestantischer Manier könnte ich einer Antwort ausweichen mit dem Satz: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders!" Lutherisch wäre das. Aber nicht dialogfähig. Also würde ich mir andere Verbündete suchen. Und würde bei Matthias Claudius landen: "Gott, lass dein Heil uns schauen, auf nichts Vergänglich's trauen." Aber tun das nicht Katholiken, wenn sie die vergänglichen Knochen und andere Überbleibsel vermeintlich Heiliger konservieren und sie Jahrhunderte lang verehren?

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Doch dann würde es womöglich wieder an der Haustür klingeln wie im letzten Jahr und drei Kinder im Königskostüm stehen vor der Tür und singen mir ihr Lied vor. Als Caspar, Melchior und Balthasar stellen sie sich vor, mein evangelisches Hirn würde sofort denken: "Die Namen stammen aus dem Mittelalter, und dass es drei waren, steht nicht in der Bibel." Aber dann würde ich den Dreien ins Gesicht schauen und denken: Egal. Warum sollte einem Protestanten nicht ab und an mal warm ums Herz werden bei katholischen Bräuchen? Und schon würde ich einen Schein in die Sammeldose legen und mich darüber freuen, dass auch in diesem Jahr die Kreidezeichen an meinem Türrahmen stehen: Christus segne dieses Haus. Schaden kann's nicht.