PRO: Gute Vorsätze sind ein Zeichen für den Willen zur Umkehr
von Frank Muchlinsky, Pastor und Redakteur bei evangelisch.de
Gute Vorsätze zum Jahresbeginn machen deutlich, dass wir über unser Leben kritisch nachdenken. Wir erkennen, was falsch in unserem Leben läuft und nehmen uns vor, dass wir uns ändern. Damit tun wir im Grunde genau das, was unser Glaube von uns verlangt. Schon Jesus hat genau diesen Anspruch an uns. Das erste, was Jesus sagte, als er öffentlich auftrat (zumindest das erste, was uns überliefert ist), ist dieser Satz: "Tut Buße und glaubt an das Evangelium." (Mk 1,15 und parallel Mt 4,17). Es ist die Übersetzung Luthers des griechischen "Metanoiete!", wörtlich "Kehrt um!" Dieser Aufruf ist einer der wichtigsten Sätze unseres christlichen Glaubens. Luther nimmt ihn wörtlich auf in der allerersten seiner 95 Thesen: "1. Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: "Tut Buße" usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll."
Den Kurs in Richtung Leben steuern
Gute Vorsätze zu fassen bedeutet, sich klar zu machen, dass unser Leben nicht perfekt ist, dass es eine Richtung hat, die nicht vollständig stimmt. Wer sich zum Jahresbeginn vornimmt, etwas am eigenen Leben zu verändern, nimmt eine Kurskorrektur vor. Man mag einwenden, dass eine kleine Korrektur nicht unbedingt eine Umkehr ist, doch wenn man sich vornimmt, zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören, kann diese Entscheidung das Leben drastisch verändern – und zwar zum Leben hin. Da ist die Richtung, die wir einschlagen sollen. Jesus ruft aus genau diesem Grund: "Metanoiete!" Damit wir den Kurs in Richtung Leben steuern. Darum ist jeder noch so kleine gute Vorsatz ein Schritt in die richtige Richtung.
Der häufigste Einwand, der gegen die guten Vorsätze zum Jahreswechsel vorgetragen wird, lautet ungefähr so: "Ja, die meisten dieser Vorsätze sind doch bereits am ersten, spätestens am zweiten Januar wieder vergessen." Was ändert das aber an der Tatsache, dass man es versucht hat? Ist ein gutes Vorhaben nur dann gut, wenn es erfolgreich ist? Die Alternative lautet für viele derjenigen, die so argumentieren, dass sie es gar nicht erst versuchen, oder gar schon den allerersten Schritt nicht tun, nämlich das eigene Leben einmal ganz genau anzuschauen. Das braucht Mut. Dann zu sehen, was man tun will, sich etwas vorzunehmen, was man konkret besser machen will, braucht darüber hinaus ein gewisses Selbstvertrauen, das ich allen Menschen wünsche. Der Tag, den die evangelische Kirche für diese Form der "Buße", der "Umkehr" eingerichtet hat, ist eigentlich der Buß- und Bettag. Der liegt aus gutem Grund kurz vor dem Kirchenjahreswechsel, denn Jahreswechsel machen es uns einfacher, uns vorzustellen, dass man eine neue Chance bekommt. Nun ist der Buß- und Bettag wenig populär – verglichen mit dem Jahreswechsel in unseren Kalendern. Aber wir können diesen Anlass genauso wählen, um dasselbe zu tun: Kehrt um und glaubt an das Evangelium. Glaubt, dass es einen Weg ins Leben gibt, der Euch bereitet ist, und geht ihn!
Auch kleine Kurskorrekturen können zum Umschiffen des Eisbergs führen
Zum Schluss noch ein Wort zu dem zweiten Verdacht, der den guten Vorsätzen zu Silvester oder Neujahr anhaftet: Die mangelnde Ernsthaftigkeit. Ich gebe zu, dass es sicherlich eine Menge Vorsätze gibt, die nicht nach reiflicher Überlegung und Prüfung gefasst werden, sondern eher aus einer Sektlaune heraus. Doch wer wollte behaupten, dass nicht auch die kleinste Kurskorrektur bewirken kann, dass das Schiff an einem Eisberg vorbeifährt, anstatt ihn zu rammen! Kehren Sie also um, glauben Sie an das Evangelium, und nehmen Sie sich was Gutes vor für 2013!
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CONTRA: Echten Neuanfang gibt es nicht mit Guten Vorsätzen
von Claudius Grigat, freier Mitarbeiter in der evangelisch.de-Redaktion
Wissen Sie, was immer wieder auf Platz eins der Rangliste der guten Vorsätze bei den Deutschen landet? "Stress reduzieren!" Das nehmen sich die meisten Deutschen für das neue Jahr vor. Und was macht am meisten Stress? Das Erledigen von schwierigen Vorhaben, das Erfüllen der eigenen Erwartungen und das Verändern von Gewohnheiten – also kurz: das Umsetzen von Vorsätzen. So beginnt schon hier ein verhängnisvoller Kreislauf.
Oft werden solche guten Vorsätze dann geradezu zum Fetisch, ganz automatisch rückt der Vorsatz in den Mittelpunkt und das Denken kreist immer wieder um den Punkt, den man sich vorgenommen hat. So wird er nicht zuletzt größer, als er in Wirklichkeit ist.
Gewohnheiten sind gespeicherte Lösungen
Richtig schwierig wird dann aber der Umgang mit dem Scheitern – auch das ein Phänomen, das nicht gerade selten auftritt. Warum das so ist? Ein kluger Satz lautet: "Gewohnheiten sind gespeicherte Lösungen." Wir leben also vielfach nicht ohne Grund so, wie wir leben. Und deswegen ist es gar nicht so einfach – und eben oft auch gar nicht sinnvoll – zu einem willkürlich, von außen gesetzten Zeitpunkt eine radikale Veränderung zu erzwingen. Es ist doch eigentlich ganz simpel: Wer nicht wirklich mit dem Rauchen aufhören will, also Lust auf das Nichtrauchen hat, der wird es auch kaum schaffen. Schon das Wort "schaffen" zeigt ja auch, wie groß und schwierig diese selbst gesetzte Aufgabe wohl ist. Es geht hier nicht einfach um's "machen", sondern darum, etwas zu "bewältigen", den inneren Schweinehund "zu besiegen". Es geht also um Kampf, vielleicht sogar darum, etwas in sich zu "überwältigen".
Was da überwältigt werden soll, ist ja in der Regel etwas Schlechtes, Sündhaftes. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Tradition der guten Vorsätze zum Jahreswechsel eine 'Erfindung' besonders strenger Protestanten, Puritaner oder Pietisten ist. Zwar ist das Streben nach dem 'richtigen' Leben schon seit der Antike ein Thema in Religion und Philosophie, vermutlich hat aber besonders das christliche Gedankengut von Sünde, Reinheit und Neuanfang die Entwicklung von guten Vorsätzen geprägt.
Gute Vorsätze entstammen der Angst vor Sünde
Das führt nun aber zu zwei Überlegungen, wie sie besonders der Theologe Dietrich Bonhoeffer anstellt:
1. Menschen, die ihre guten Vorsätze sehr ernst nehmen, nehmen oft nicht mehr wahr, wo diese eigentlich herkommen: Nämlich aus der Angst vor Schlechtigkeit und Sünde, die bekämpft werden sollen. Sie schauen zurück auf das, was sie unbedingt vermeiden wollen. Sie sind so wie der sprichwörtliche Kletterer in der Wand, der zurück blickt und, dadurch von Angst überfallen, scheitert. Denn, wie Bonhoeffer schreibt: "Wer aber Angst hat vor der Sünde, der ist schon mittendrin." Ist denn nicht mit Christus gerade dieser Angst der Grund entzogen? Geht es diesen Menschen aber tatsächlich um einen Neuanfang im neuen Jahr, dürfen sie nicht zurück schauen: "Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes" heißt es in Lukas 9,12.
2. Echten Neuanfang gibt es nicht mit guten Vorsätzen, nicht mit einem 'von morgen an mache ich dies und jenes besser!' "Einen neuen Anfang macht allein Gott mit dem Menschen, wenn es ihm gefällt, aber nicht der Mensch mit Gott. Einen neuen Anfang kann der Mensch darum überhaupt nicht machen, sondern er kann nur darum beten." So schreibt Dietrich Bonhoeffer, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das bedeutet, eine Grenze anzuerkennen, an der der Mensch begreift, dass er etwas NICHT kann. Wenn der Mensch bloß ganz bei sich und seinen Vorsätzen ist, lebt er nur aus sich heraus und damit aus dem, was vergangen ist. Nicht selten mündet das in Selbstüberschätzung und eben auch in Scheitern. Vor allem aber kaum in einen wirklichen Neuanfang.
Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert
So lässt sich eigentlich nur mit einem alten Sprichwort, das es in den verschiedensten Ländern gibt, konstatieren: "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert!" Also: Weg mit der Angst, der Rückschau, der Selbstermächtigung und –kasteiung. Und, noch einmal mit Dietrich Bonhoeffer: "Du aber sieh auf den, der dir einen neuen Anfang gegeben."