Der Tageszeitungsmarkt ist im Umbruch: Titel fusionieren, Redaktionen werden geschlossen, Zeitungen melden Insolvenz an. Was bedeutet das für die Meinungsvielfalt?
Ulrich Fischer: Die Sorgen der Tageszeitungen erlebe ich schon seit Jahren in regelmäßigen Gesprächen mit den Verlegerverbänden. Die sinkenden Erträge im Anzeigengeschäft sind besorgniserregend. Die jetzt in die Schlagzeilen geratenen Fälle muss man allerdings differenziert betrachten: Die "Financial Times Deutschland" hat seit ihrer Gründung nie schwarze Zahlen geschrieben. Bei der "Frankfurter Rundschau" liegt der Fall anders, sie hat immer ein bestimmtes politisches Spektrum abgedeckt - vielleicht ist dieser Teil des Spektrums nicht mehr so gefragt. Klar ist aber: Wir brauchen überregionale Zeitungen. Die Demokratie lebt davon, weil die politische Meinungsbildung zu großen Teilen auch über die Presse erfolgt.
Foto: Der Medienbischof der EKD, Ulrich Fischer, als Laudator bei der Verleihung des diesjährigen Karl-Barth-Preises.
Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen sparen. Sehen Sie die Qualität der Programme bedroht?
Fischer: Die öffentlich-rechtlichen Sender tun nicht gut daran, wenn sie meinen, sie müssten die privaten Sender kopieren, um Quoten zu schaffen. Das Schielen nach bunten Event-Formaten finde ich nicht förderlich. Die Stärke der Öffentlich-Rechtlichen ist ihre Vielfalt an Sendungen, die die politische Meinungsbildung fördern und hohen Informationsgehalt haben, ohne durch Werbung ständig unterbrochen zu werden. Diese Formate brauchen wir, um gut informierte Bürgerinnen und Bürger zu haben. Ich frage mich aber, ob die Ausdifferenzierung der dritten Fernsehprogramme oder der vierten und fünften Hörfunkprogramme in jedem Bundesland so sein muss.
Das Internet hat eine Medienrevolution ausgelöst, neue Medien sind entstanden: Portale, soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Können diese neuen Formen die alten ersetzen?
Fischer: Ich habe noch sehr genau die Debatte in Erinnerung, als das Internet aufkam. Die große Sorge war, das Internet würde alle anderen Medien ganz schnell verdrängen. Das ist so nicht gekommen. Junge Menschen addieren ihren Medienkonsum und nutzen Internet und Fernsehen.
Und im Vergleich zu Print-Medien?
Fischer: Ich bin viel unterwegs und sehe in den Buchhandlungen etwa auf den Bahnhöfen den ausdifferenzierten Zeitschriftenmarkt. Die Verleger entdecken immer neue Marktlücken und erzielen auch Zuwachsraten. Dort sind die Sorgen nicht so wie bei den Tageszeitungen. Ich glaube, dass mit dem Internet ein neues Medium mit einer gewissen Dominanz hinzugetreten ist. Aber Radio, Fernsehen und Zeitungen werden weiterhin genutzt.
###mehr-artikel### Als badischer Bischof sind Sie eine Medienperson. Wie erleben Sie den Umgang von Journalisten mit Ihnen? Erkennen Sie sich in der Zeitung, im Fernsehen oder im Radio immer wieder?
Fischer: Ich kann überhaupt keine Klagen über Journalisten führen, die mit mir sprechen. Ich fühle mich immer wieder fair behandelt und korrekt wiedergegeben. Zu den Redaktionen in Baden habe ich einen guten Kontakt und kann mich darauf verlassen, dass Hintergrundinformationen vertraulich bleiben. Wir werden hier als Kirche sehr zuvorkommend behandelt, und bei Ereignissen wie der Brandkatastrophe in Titisee-Neustadt macht es sich zum Beispiel der SWR zur eigenen Sache, auch den Trauergottesdienst zu übertragen. Das Klima hier im Südwesten ist vielleicht noch anders als etwa in Berlin, wo der Umgang von Medien mit der Kirche rauer ist.
Über was regen Sie sich in den Medien auf?
Fischer: Ärgern muss ich mich manchmal aber über Überschriften. Ich weiß, dass sie oft nicht von denselben Menschen stammen, die Interviews geführt haben, sondern von den Redaktionen. Da wird dann manchmal ein Nebensatz zur Hauptsache gemacht.
Sie sind Aufsichtsratsvorsitzender des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik und damit "Medienbischof" der evangelischen Kirche. Was zeichnet die evangelische Publizistik aus?
Fischer: In evangelischen Medien lese ich Informationen, die ich anderswo in der Presselandschaft nicht finde, beispielsweise die Nachrichten des Evangelischen Pressedienstes über die Dritte Welt, aus dem Kulturbereich oder über Medienfragen. Das ist eine Stärke des evangelischen Journalismus.
"Die Arbeit evangelischer Journalisten darf keine Hofberichterstattung sein."
Und wo sehen Sie Probleme?
Fischer: Ich frage mich, ob sich die notwendige Unabhängigkeit des evangelischen Journalismus manchmal darin niederschlagen muss, dass evangelische Medien bei kirchlichen Themen die säkulare Presse noch im Ton ihrer Kritik übertreffen. Das finde ich bisweilen schwierig. Da würde ich mir manchmal mehr Empathie wünschen. Aber es muss klar bleiben: Die Arbeit evangelischer Journalisten darf keine Hofberichterstattung sein. Das will ich nicht.
Was erwarten Sie heute von einem Journalisten?
Fischer: Ich erwarte, dass ein Journalist offen an Themen herangeht, um die Wahrheit zu ermitteln und nicht nur eigene Vorurteile zu bestätigen. Manchmal werden schon Fragen so gestellt, dass gewisse Antworten ausgeschlossen werden sollen. Die eigene Denke des Journalisten muss bestimmt sein von der Suche danach, was wirklich ist. Dabei kommen dann ganz tolle Beiträge heraus.
Journalist war lange ein Traumberuf. Würden Sie heute noch Menschen empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen?
Fischer: Wir brauchen in unserer Gesellschaft kritische Geister, die die Wirklichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten, kritisieren und hinterfragen. Und das wird auch in Zukunft so sein. Ich würde jungen Menschen zur Ausbildung als Journalist raten, die nicht nur das Interesse am Beruf haben, sondern auch Talent mitbringen und den Ehrgeiz, ein gewisses Niveau zu erreichen. Dann haben sie in dem Beruf eine Zukunft.