"Die Hand des Verletzten kann jeder halten"
Auf einen Kaffee mit Christian Kellner: Der engagierte Christ und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) streift im Gespräch mit K. Rüdiger Durth die Reizthemen der Verkehrspolitik: Geisterfahrer, Führerscheinentzug und Notfallseelsorge. Die Verkehrssicherheit ist dabei ein Thema, das auch für die Kirchen von Bedeutung ist.

Eines wird im Gespräch mit Christian Kellner, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, deutlich: Verkehrssicherheit ist ein weites Feld. Besonders, wenn allen, die auf den Straßen zu Schaden kommen, geholfen werden soll. Problematisch ist auch immer das Feld zwischen gefühlter und tatsächlicher Gefahr.

###mehr-personen### Das fängt bei Autobahnen an. "Die Autobahn ist traditionell eine sichere Straße," sagt Christian Kellner. Doch viele Menschen sind da anderer Meinung, auch weil Medienberichte über schwere Verkehrsunfälle mit Toten und Schwerverletzten auf Autobahnen für eine breite öffentliche Aufmerksamkeit sorgen.

Doch die Statistik zeigt, dass Zweidrittel aller Unfälle mit Toten auf Bundes- und Landstraßen passieren. Denn diese Straßen bieten zahlreiche Gefahrenpunkte für Auto- und Motorradfahrer. So sterben 20 Prozent der Menschen, die in einem Jahr Opfer eines tödlichen Verkehrsunfalls werden, an einem Straßenbaum. "Heißt das, dass Sie am liebsten die herrlichen Alleebäume fällen möchten?" Christian Kellner schüttelt seinen Kopf: "Aber wir wären schon dafür, wenn die mit Bäumen bewachsenen Gefahrenstellen mit Leitplanken versehen würden.

Automatische Sperren an Auffahrten nicht finanzierbar

Etwas anderes will er aber nicht ändern: Kellner nicht viel von Vorschlägen, wie die Autobahnauffahrten mit automatischen Sperren versehen, die ein falsches Auffahren verhindern. Denn bei den vielen Autobahnauffahren in Deutschland wären solche automatischen Sperren überhaupt nicht zu finanzieren. Hingegen sollte man aus seiner Sicht dem österreichischen Beispiel folgen, das an allen Autobahnauffahrten ein großes durchgestrichenes A mit einer Hand zeigt. Wo es diese Verkehrsschilder gibt, ist seines Wissens kein Unfall mehr mit einem Geisterfahrer passiert.

###mehr-artikel### Nächster Punkt: Das Notfallrettungssystem. In Deutschland funktioniert es gut: Rettungsfahrzeuge und Notärzte sind meist schnell an der Unfallstelle. Doch viele Autofahrer sind nicht mehr sicher in Ersten Hilfe und haben Angst, etwas falsch zu machen. Laut Kellner ist es generell richtig, die Rettungsnummer 112 anzurufen und auf die professionellen Helfer zu warten. Unerlässlich ist auch die vorgeschriebene Sicherung der Unfallstelle. Dem Verletzten kann man zudem meist einfach helfen: "Auch wer sein Wissen in der Ersten Hilfe verlernt hat, kann den Schwerverletzten in eine sichere Lage legen, ihm beruhigend zureden, ihn darauf hinweisen, dass der Rettungswagen unterwegs ist." Und Kellner fügt hinzu: "Und halten Sie die Hand des Verletzten, damit er körperlich spürt, dass er nicht allein ist. Sie ahnen nicht, wie viel dies dem Verletzten hilft. Die Hand halten kann schließlich jeder."

###mehr-links### Bei allen Sicherheitsbemühungen darf aber auch die Seelsorge nicht zu kurz kommen: Kellner ist sich sicher: Die Notfallseelsorge müsste geradezu erfunden werden, wenn es sie nicht schon gebe. Ihr Dienst könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

"Jeder Verkehrstote ist einer zu viel"

Auch wenn 2011 mit 4.009 Verkehrstoten fast zehn Prozent mehr Menschen auf den Straßen starben als 2010 mit 3.600 Verkehrstoten, ist diese Zahl in 2012 wieder leicht gesunken. Dabei muss man bedenken, dass allein in Westdeutschland vor der Wende die Zahl der Verkehrstoten bei rund 20.000 lag – und das bei weniger Autos auf den Straßen. Schließlich war dies auch ein Grund dafür, den Deutschen Verkehrssicherheitsrat  als Dachorganisation aller mit der Verkehrssicherheit befassten Ministerien, Organisationen, Versicherungen und Unfallverhütungseinrichtungen ins Leben zu rufen.

###mehr-info### Handlungsbedarf ist laut Kellner aber immer noch gegeben: "Jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, um die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen, zum auch der Straßenverkehr weiter zunimmt." Sorgen bereiten ihm verständlicherweise auch die rund 400.000 Verletzten pro Jahr im Straßenverkehr, davon gelten rund 60.000 als Schwerverletzte. Wer ist denn im Straßenverkehr besonders gefährdet? Kellner zählt auf: Fußgänger, Motorradfahrer, junge Autofahrer, zumeist gefährdet durch zu schnelles Fahren, Unerfahrenheit junger Autofahrer, Alkohol am Steuer, Drogen und Medikamente, oft auch schlechter Fahrzeugzustand.

Um die Sicherheit zu erhöhen, ist laut Kellner folgendes zu tun: "Wir müssen das System Straßenverkehr so gestalten, dass es nicht gleich zur Katastrophe kommt, wenn der Mensch einen Fehler macht." Und 95 Prozent aller Unfälle gehen auf Fehler des Menschen zurück. Verständlich, dass der DVR-Hauptgeschäftsführer für Null-Promille Alkohol im Straßenverkehr plädiert. Dazu längere Lernzeit für Führerscheinbewerber und die Fahrqualität in der ersten Zeit ab und zu überprüfen. Gegen den Führerschein mit 17 Jahren in Begleitung Erwachsener hat er aber nichts einzuwenden.

Mehr Kontrolle statt Führerscheinentzug bei alten Menschen

Immer wieder wird gefordert, auch alten Menschen den Führerschein zu entziehen. Aus seiner Sicht ist eine Lösung dieses Problems schwer, weil alt nicht gleich alt ist: "Zumal alte Menschen weniger nachts und mehr kurze Strecken fahren." Er würde sich wünschen und kann es älteren und alten Menschen nur empfehlen: "Gehen Sie öfter zum Arzt und lassen Sie Sehen und Hören sowie die Medikamente auf Verkehrstauglichkeit überprüfen."

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Letztlich können auch die Kirchen aus der Sicht des DVR-Hauptgeschäftsführers viel für die Sicherheit ihrer Mitglieder im Straßenverkehr tun: Für Gemeindenachmittage und –abende können Moderatoren vermittelt werden, die ehrenamtlich über mehr Sicherheit im Straßenverkehr berichten. Sie kosten die kirchlichen Veranstalter kein Geld. "Eingeschlafen" sei das Angebot von Predigthilfen für den Sonntagsgottesdienst oder thematische Andachten. Doch wenn wieder Bedarf angemeldet werde, könnten wieder Predigthilfen angeboten werden.

Beim Thema Kirche und Verkehrssicherheit hat Christian Kellner vor allem die Senioren im Blick. Sie seien für praktische Tipps sehr aufgeschlossen, zumal im Winter zusätzliche Gefahren drohten. Und in solchen Senioren-Veranstaltungen kann auch das Gespür dafür geschärft werden, ob man selbst noch als älterer oder alter Mensch in der Lage ist, sich mit dem Auto in den Straßenverkehr zu begeben: "Wir wollen die Mobilität auch der alten Menschen nicht in Frage stellen. Aber sie muss verkehrssicher gestaltet werden." Hier gilt es nicht zuletzt, auf die Gefahr der Selbstüberschätzung im Straßenverkehr aufmerksam zu machen. Kellner: "Das ist kein Problem der Alten allein, sondern auch der Jungen."