Foto: Warner Bros.
Bifur, Dwalin, Bilbo Beutlin (Martin Freeman), Bofur und Oin in "Der Hobbit".
Filmkritik der Woche: "Der Hobbit"
Darf’s ein bisschen mehr sein, Mr. Tolkien? Nach dem Erfolg des "Herrn der Ringe" bringt Peter Jackson nun auch Tolkiens vergleichsweise schmales Kinderbuch "Der Hobbit" auf die Leinwand – wieder in drei Teilen. Schon das erste Kapitel der neuen Serie, "Eine unerwartete Reise", ist ein riesiges Kinospektakel geworden: Zwerge, Hobbits, Orks en masse – und scharf wie nie.
12.12.2012
epd
Ulrich Sonnenschein

Wenn man nach dem Filmbesuch J.R.R. Tolkiens berühmtes Kinderbuch wieder in die Hand nimmt, kommt es einem ganz klein vor, unscheinbar fast, mit seinem harmlos märchenhaften Anfang: "In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit". Und man wundert sich etwas, wie ein solch opulentes Stück Kino daraus werden konnte.

Dabei hat die Geschichte des "Hobbit", die 20 Jahre vor Tolkiens Opus Magnum entstand und von Peter Jackson jetzt ins Kino gehievt wird, schon eine ganz ähnliche Struktur wie "Der Herr der Ringe". Es geht um Gefährten, 13 Zwerge, einen Hobbit und einen Zauberer, die sich aufmachen, um das Zwergenreich Erebor zu befreien, das mit all seinem Gold von einem Drachen besetzt ist. Es gibt Goblins, Wargs – eine Art Werwölfe - und Orks auf der Seite des Bösen, Elben, Menschen, Hobbits auf der des Guten.

Cate Blanchett als Galadriel and Ian McKellen als Gandalf. Foto: Warner Bros.

Differenzierung war Tolkiens Sache nicht. Ihm ging es immer ums Ganze, um eindeutige Feindbilder und den Sieg der Herrlichkeit. Die Zwerge wollen im "Hobbit" ihre Heimat zurückerobern. Ohne Gandalfs Zauberkräfte wäre das nur schwerlich möglich. Die Frage aber, was der "Halbling" Bilbo Beutlin dabei zu suchen hat, führt kurz in eine andere Dimension. "Er schützt mich in seiner Unscheinbarkeit vor meiner eigenen Angst", sagt Gandalf und verlässt sich für einen einzigen philosophischen Moment auf den tiefgründigen Blick, den Ian McKellen seinem Zauberer trotz tief in die Stirn gezogenem Hut angedeihen lässt. Solche Momente sind freilich selten in dem kleinen Film, der entschlossen ist, ein ganz großer zu werden, mit drei Teilen wie "Der Herr der Ringe" und rund 500 Minuten Gesamtlaufzeit. Schon in den ersten 170 gibt es keinen Moment der Leere oder Langeweile.

Anderthalb Jahre drehte Peter Jackson mit einem Budget von 150 Millionen US-Dollar in Neuseeland, ein erstaunliches Unternehmen für das kleine Land mit nur 4 1/5 Millionen Einwohnern. Die ersten beiden Teile sind fertig, der dritte ist in Arbeit. Um eine besondere digitale Schärfe zu erzeugen, hat er ein neues Verfahren angewendet: High Frame Rate – deutsch: hohe Bildrate. Das meint, dass nicht nur wie bisher 24, sondern 48 digitale Bilder pro Sekunde aufgenommen wurden, dazu hat Jackson die Bitrate in Super HD von 2048 auf 5120 Pixel erhöht. Es wurde mit zwei Kameras in 3-D gedreht, insgesamt wurden 24mal so viele Daten wie sonst pro Bild erzeugt. Das kann man sehen. Jackson hält sich zurück, was die 3-D-Effekte angeht, es gibt kaum fliegende Gegenstände. Dafür lebt das Bild aus dem ungeheuer tiefen, detailreichen Raum heraus, den immer wieder die neuseeländische Berglandschaft bestimmt, ein heimlicher Hauptdarsteller.

Der "Hobbit" ist kein Kinderfilm mehr

Überhaupt ist es erstaunlich, wie sehr die Marke "Herr der Ringe" mit Peter Jackson verbunden ist. Er ist der einzige, der für ein solches Großprojekt in den neuseeländischen Nationalparks eine Dreherlaubnis erhält, nicht zuletzt, weil er mit seinen Filmen eine Industrie begründet hat. Seine Lehrjahre mit bizarren Horrorfilmen wie "Bad Taste" und "Braindead" hat er freilich nicht vergessen. Überbordende Gewalt inszeniert er mit Vorliebe und mit großer Kunst. Schon in den ersten Bildern zeigt er seine brutale Meisterschaft, wenn der König der Zwerge enthauptet und einem besonders schurkischen Ork ein Arm abgeschlagen wird, lange bevor die eigentliche Handlung beginnt. Der "Hobbit" ist kein Kinderfilm mehr, obwohl es durchaus skurril-komische Szenen gibt, mit Dialogen, die eher an Woody Allen erinnern als an Tolkien.

Jackson schöpft aus dem Vollen. Er mutete seinen Zwergen fünf Stunden in der Maske zu, um das perfekte Bild zu erzeugen, und hat einen Film geschaffen, der funktioniert und dabei einfach gut aussieht. Denn auch im Fantasy-Genre geht es um die Glaubwürdigkeit der Inszenierung, um eine Form der Wahrscheinlichkeit. Vielleicht hat "Der Hobbit" von allem etwas zu viel. Zu viele Orks auf zu vielen Brücken in zu tiefen Höhlen. Zu viel von dem großen Bruder "Herr der Ringe" und zu wenig Eigenständigkeit. Aber er bleibt als Fantasyabenteuer ein Dokument dessen, was zurzeit filmisch machbar ist. Selbst wenn man nicht erkennt, wie etwas hergestellt wurde, sieht man doch immer, wie intensiv hier an der Illusion gearbeitet wurde. Und so entstehen jenseits der plakativen Handlung visuelle Räume, die auch Platz lassen für Zwischentöne. Und die Lust machen auf den zweiten Teil, in dem der Drache zur vollen Größe erwacht.

USA, Neuseeland 2012. Regie: Peter Jackson. Buch: Fran Walsh, Philippa Boyens, Peter Jackson, Guillermo del Toro. Mit: Martin Freeman, Ian McKellen, Hugo Weaving, Cate Blanchett. L: 166 Minuten. FSK: ab 12 Jahre.