Foto: epd-bild/Ulrike Koltermann
Freiwillige Mitarbeiter verschiedener Hilfsorganisation errichten Anfang Dezember auf der Pariser Brücke Pont des Arts Zelte, um auf das Problem der Wohnungsnot aufmerksam zu machen.
Obdachlose im Kloster? In Frankreich zanken Kirche und Staat
Obdachlose in leere Klöster: Zum Wintereinbruch hat Frankreichs Wohnungsministerin gedroht, kirchliche Immobilien zu beschlagnahmen, um dort Wohnungslose unterzubringen. Die Kirche ist empört: Sie kümmert sich das ganze Jahr über um Hilfsbedürftige.
09.12.2012
epd
Ulrike Koltermann

Wenn die reich geschmückten Schaufenster der Pariser Kaufhäuser die Menschen anziehen, dann ist für die Obdachlosen in der französischen Hauptstadt die härteste Zeit des Jahres gekommen. Es gibt nur wenige Orte, an denen sie nachts einen Platz zum Schlafen finden. Die Parks schließen nach Einbruch der Dunkelheit, die Metro gegen ein Uhr früh. Viele Eingänge von Geschäften und Wohnhäusern sind eigens so gebaut, dass sich niemand dort niederlassen kann.

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Manche Obdachlose richten sich ihr Lager auf den vergitterten Metroschächten in der Rue Rivoli ein, aus denen warme Luft strömt. Eine Roma-Familie mit einem Kleinkind übernachtet regelmäßig in einer der letzten verbliebenen Telefonzellen in der Nähe der Place de la Bastille. In diesem Jahr wurde der erste Kältetote bereits Ende Oktober gemeldet. Derzeit sind schätzungsweise 150.000 Menschen in Frankreich ohne festen Wohnsitz.

"Ich werde hart bleiben, so wie de Gaulle"

Das Schicksal der Obdachlosen beschäftigt die französische Regierung jedes Jahr bei Wintereinbruch. Doch in diesem Jahr geht es ungewöhnlich hoch her: Die grüne Wohnungsministerin Cécile Duflot hat damit gedroht, kirchliche Immobilien wie Klostergebäude zu beschlagnahmen, um dort Obdachlose unterzubringen. Damit hat sie zahlreiche Katholiken sowie die konservative Opposition auf die Palme gebracht.

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Die für ihren Hang zur Provokation bekannte Ministerin spuckte große Töne: "Ich werde hart bleiben, so wie de Gaulle", sagte sie in Anspielung auf die Konfiszierung von Wohnraum in der Nachkriegszeit. Tatsächlich erlaubt eine Verordnung aus dem Jahr 1945 der französischen Regierung, leerstehende Immobilien im Besitz von Institutionen zu beschlagnahmen, um die Wohnungsnot zu lindern. Sie wurde vor allem in den 60er Jahren angewandt, um während des Algerienkriegs geflohene Franzosen unterzubringen.

"Ich bin guter Hoffnung, dass ich keine Autorität anwenden muss", sagte Duflot an die Adresse der kirchlichen Institutionen. "Ich könnte nicht verstehen, dass die Kirchen unser Bestreben nach Solidarität nicht unterstützen", fügte sie mit bissigem Unterton hinzu.

Empörung unter den französischen Katholiken

Die französischen Katholiken reagierten empört. "Die Kirche hat nicht auf die Drohung der Ministerin gewartet, um aktiv zu werden", heißt es in einer Stellungnahme des Erzbistums von Paris, der Konferenz der Ordensgemeinschaften und der Hilfsorganisation Secours catholique. Zahlreiche Helfer kümmerten sich das ganze Jahr über um Obdachlose, betonten die kirchlichen Einrichtungen.

Tatsächlich stellen viele Pfarreien Wohnungslosen Schlafplätze zur Verfügung, oft werden sie dort auch mit Essen versorgt und können tagsüber ihre Sachen unterstellen. Manche Pfarreien laden Obdachlose regelmäßig zum Frühstück ein. Mehrere Ordenshäuser bieten Notunterkünfte für Menschen ohne Dach über dem Kopf.

"Es reicht schließlich auch nicht, Räume zur Verfügung zu stellen. Man muss die Menschen auch in Empfang nehmen und sich um sie kümmern", erklärte das Erzbistum. Dies sei ohne freiwillige Helfer nun einmal nicht möglich. Und ein Vertreter vom Secours Catholique fügte hinzu, die Regierung solle zunächst mal leerstehende staatliche Gebäude für Obdachlose öffnen, bevor sie mit dem Finger auf andere zeige.

Kirchliche Immobilien kaum noch bewohnt

Der katholischen Kirche mangelnde Solidarität mit Obdachlosen vorzuwerfen, war sicher keine politische Glanzleistung der grünen Ministerin. Allerdings trifft sie mit ihrer Bemerkung über die kaum noch bewohnten Immobilien der Kirche einen wunden Punkt: Viele Klöster haben ihren Grundbesitz im Lauf der Geschichte durch Stiftungen immer mehr erweitert. Die Zahl der Ordensleute ist in den vergangenen Jahren jedoch beständig gesunken. Zahlreichen Ordensgemeinschaften in Frankreich geht der Nachwuchs aus. Sie sind oft kaum noch in der Lage, die teilweise riesigen Klostergebäude instand zu halten.

Das Enthüllungsblatt "Le Canard Enchaîné" hatte im November einige besonders drastische Beispiele aufgeführt: So verfüge die "Gemeinschaft vom Heiligen Herzen Jesu und Maria" im Pariser Viertel Picpus über eine 2,3 Hektar große Anlage, in der nur noch sieben Nonnen lebten. 

Mehr und mehr Ordensgemeinschaften müssen sich von ihren Immobilien trennen - und manche erzielen damit beeindruckende Preise. So hat eine Nonnenkongregation den Pariser Stadtpalast Hôtel de Bourbon-Condé im schicken siebten Bezirk vor vier Jahren an die königliche Familie von Bahrain verkauft - für die stattliche Summe von 66 Millionen Dollar.

Dass der Staat in diesem Winter tatsächlich beginnt, kirchliche Immobilien zu beschlagnahmen, kann sich in Frankreich kaum jemand vorstellen. Sobald die Temperaturen unter null sinken, werden stattdessen wohl eher einige Sporthallen in Notunterkünfte für Obdachlose umgewandelt.