Auch Menschen in Haft haben einen grundrechtlich verbürgten Informationsanspruch. Ihnen muss daher der Zugang zu Medien ermöglicht werden. Welche Ziele werden dabei unabhängig vom Grundrecht verfolgt? Information, Unterhaltung, Resozialisierung, Bildung?
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Tassilo Niklaus: Um alle diese Ziele zu erreichen, wäre ein enormer finanzieller Aufwand erforderlich. Zudem hängt es auch davon ab, welche Art von Insassen eine Haftanstalt hat. Bei Jugendlichen gilt es überhaupt, Interesse am Lesen zu wecken. Hier sind die Strömungen, wie sie "draußen" herrschen, besonders spürbar. Überwiegend findet passiver Medienkonsum statt. Favorisiert werden das Fernsehen, die CD und die DVD. Man wird wohl immer eine Abwägung treffen und einen Kompromiss suchen müssen zwischen Bildung und Unterhaltung. All unser Handeln dient indes dem Ziel Resozialisierung.
Welche Medien sind Inhaftierten zugänglich, welche nicht? Wie ist der Zugang zum Internet geregelt?
Niklaus: Praktisch sind es Bücher, Zeitungen, Fernsehen und Radio. Das Internet ist nicht erlaubt.
Wo endet der grundrechtsbezogene Informationsanspruch für Gefangene?
Niklaus: Dort, wo die Gesetze Schranken errichten. Also gewaltverherrlichende Medien, Gedankengut, welches gegen die demokratische Grundordnung verstößt, und anderes mehr sind "out". Ich orientiere mich da an dem offiziellen Indexkatalog.
"Fantasy-Romane, um in eine andere Welt zu gelangen"
Wie ist der Empfang von elektronischen Medien geregelt? Ist er ausschließlich per Gemeinschaftsempfang erlaubt oder auch in den Zellen gestattet?
Niklaus: Jeder darf in seiner Zelle - wir nennen es Haftraum - ein Radio- oder Fernsehgerät betreiben.
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Können alle ortsüblichen Programme gesehen werden, so die im Kabel oder via DVB-T verbreiteten?
Niklaus: Ja, bei uns sind es die Programme, die via DVB-T empfangen werden. Das Angebot ist aber von Anstalt zu Anstalt unterschiedlich. Es hängt von den baulichen Gegebenheiten ab.
Sprechen wir über das Lesen: Welche Literatur bietet Ihre Bibliothek an?
Niklaus: Ich orientiere mich gerne an der "Spiegel"- Bestsellerliste. Überwiegend wollen die Inhaftierten Fantasy-Romane, um in eine andere Welt zu gelangen. Beispiele hierfür sind die Millennium Trilogie von Stieg Larsson oder Ken Folletts "Winter der Welt". Krimis werden nicht sonderlich viel verlangt. Thriller sind durchaus beliebt, etwa "Verachtung" von Jussi Adler-Olsen. Aber auch Sachbücher, Biografien, nicht zuletzt Comics finden ihre Interessenten.
"Dicke Bücher beschaffe ich nicht gern"
Wie stark ist die Nachfrage nach Büchern zu religiösen oder ethischen Themen?
Niklaus: Das hängt von der jeweiligen Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft ab. Muslime verlangen schon mal gern den Koran. Der wird auch über die türkische Gemeinde in unserer Region besorgt und verbleibt dann bei den Häftlingen. Nach christlicher Literatur wird eher selten gefragt - wenn, dann nach der Bibel.
Tassilo Niklaus, Gefängnisbibliothekar in Siegburg. Foto: Ingrid Smolarz
Nach welchen Kriterien werden Bücher beschafft, neue Titel gekauft?
Niklaus: Das übernimmt der zuständige Diplombibliothekar, der in Diensten der Justiz steht. Die Auswahl hängt davon ab, ob Jugendliche in der Anstalt sind oder Erwachsene, ob Einheimische die Mehrheit bilden oder Ausländer, ob es Männer oder Frauen sind. Ich selbst lege Wert darauf, dass Titel beschafft werden, die auch den Publikumsgeschmack treffen. Was nützen Bücher, die zwar lehrreich oder schön sind oder deren Layout besonders beeindruckt, wenn sie auf kein oder nur sehr geringes Interesse stoßen? Zudem ist auch der äußerliche Eindruck sehr wichtig. Dicke Bücher beschaffe ich nicht gern.
Wie groß ist das Budget für Neuanschaffungen? Gibt es finanzielle Unterstützung von außen?
Niklaus: Es wird zentral beschafft, so, dass die Medien direkt in den PC der Bibliothek eingegeben werden können. Hinsichtlich der Musik-CDs lege ich Wunschlisten aus. Was am meisten gewünscht wird, wird auch beschafft. Wir nehmen auch Bücherspenden von privaten Personen an. Diese rufen mich an und fragen nach, ob sie Buchspenden übermitteln dürfen und was dafür in Frage kommt.
"Zu Autoren werden sie eher nicht"
Wie funktioniert die Ausleihe?
Niklaus: Wie in jeder anderen Bibliothek auch: Man geht hin - zu bestimmten Zeiten -, nimmt bis zu sieben Medien mit und darf diese für zwei Wochen gegen eine Ausleihkarte haben.
Wie erfahren die Gefangenen von neuen Titeln?
Niklaus: Wir weisen sie in der Bibliothek auf Neuerscheinungen hin.
Welche Erfahrungen mit dem Lesen an sich machen Sie bei Menschen im Strafvollzug?
Niklaus: Die Kultur des Lesens wird durch den TV-Apparat zurückgedrängt. Für ältere Insassen ist das Lesen aber schon noch wichtig.
Werden Gefangene durch Lesen erkennbar verändert? Selbst vielleicht zu Autoren?
Niklaus: Ob sich ein Mensch erkennbar durch Lesen verändert, wer vermag das zu sagen? Selbst zu Autoren werden sie eher nicht, wenn man von der jugendtypischen Rap-Szene absieht.