Foto: dpa/Rainer Jensen
Die Büste der altägyptischen Königin Nofretete im Neuen Museum in Berlin.
Die Mona Lisa von Berlin
Vor 100 Jahren wurde Nofretete ausgegraben
Wie kaum eine andere Plastik ist die Nofretete Mythos und Zankapfel zugleich. Seitdem die ägyptische Büste im Schutt der pharaonischen Hofbildhauerwerkstatt entdeckt wurde, ist sie Berlins bekanntestes Kunstwerk.
04.12.2012
Jürgen Heilig

"Farben wie eben aufgelegt, Arbeit ganz hervorragend", notiert Ludwig Borchardt am Abend in sein Tagebuch. Und setzt dann noch hinzu: "Beschreiben nützt nichts. Ansehen." Der Berliner Archäologe ist sofort fasziniert von der mehr als 3.300 Jahren alten Büste, die er an jenem 6. Dezember 1912 nachmittags in der mittelägyptischen Ruinenstadt Tell el-Amarna ausgegraben hatte.

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Die sagenumwobene, vor nunmehr genau 100 Jahren ausgegrabene Büste der Nofretete ist nicht einmal 50 Zentimeter groß. Und doch zieht die ausnehmend gut erhaltene, bunt bemalte Plastik aus Kalkstein und Gips jeden Betrachter in ihren Bann. Die majestätische Präsentation im Nordkuppelsaal des Neuen Museums tut ein Übriges. Jedes Jahr wollen eine Million Besucher Nofretete sehen. Zum Jahrestag ihrer Entdeckung sind ab Freitag in einer Sonderausstellung um sie herum 400 weitere Exponate zu besichtigen, die damals ebenfalls ausgegraben wurden. 

"Die Faszination liegt in der ungeheuren Lebendigkeit", sagt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger: "Bei der Betrachtung hat man das Gefühl, die Backenknochen bewegen sich, so lebensnah ist das." Der Financier von Borchardts Ausgrabungsexpedition, James Simon, hatte die Königinbüste 1920 dem Ägyptischen Museum in Berlin geschenkt, das heute zur Stiftung gehört.

Schätzwert: 400 Millionen Euro

Seit ihrer Ausgrabung hat die Dame mit einem heutigen Schätzwert von 400 Millionen Euro eine wahre Odyssee hinter sich. Hier auf der Berliner Museumsinsel scheint sie nun ihre letzte Ruhestätte gefunden zu haben. Die seit Jahrzehnten immer wieder erhobenen Rückforderungsansprüche sind nach dem "arabischen Frühling" auch leiser geworden.

Nicht aufgehört haben die Spekulationen um ihre Person. Nofretete ("Die Schöne ist gekommen") war die Hauptgemahlin des ägyptischen Königs Echnaton. Beide sorgten in Ägypten maßgeblich für eine Kulturrevolution von oben, durch die der Monotheismus zeitweilig Einzug in die pharaonische Gesellschaft hielt: "Nofretete war dem König im Rang fast gleichgestellt, befand sich stets an seiner Seite", ist sich der Ägyptologe Hermann Schlögl sicher. Aber war sie nicht nur die Mutter von sechs Töchtern, sondern auch vom späteren Pharao Tutenchamun, bevor sie im Alter von 35 Jahren bei einem Unfall auf einem Streitwagen starb?

"Gewisse Irrationalität"

Das Geheimnisvolle, das Nofretete umgibt, sorgt für den Kult, der nach Parzingers Einschätzung "mittlerweile eine gewisse Irrationalität" erreicht hat. Daran sind ihre Entdecker und heutigen Hüter nicht ganz unschuldig, die ihren Schatz zunächst selber versteckten. Erst 1923 wurde die Ausgrabung der Öffentlichkeit präsentiert, gegen den Willen Borchardts. Der Archäologe, der eigentlich ein Architekt war, fürchtete wohl nicht zu Unrecht, dass er in den Verdacht des Kunstraubs geraten könnte.

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Zwar dürften die Vorwürfe unberechtigt sein, Borchardt habe bei der Fundteilung die ägyptische Antikenverwaltung betrogen, die damals unter französischer Oberhoheit stand. Allerdings nutzte er es wohl aus, dass der zuständige Beamte nur Ahnung von Papyrusrollen hatte. Schon bald nach der Erstpräsentation kam es dann auch zu Rückforderungsansprüchen. Noch während der Weimarer Republik erwog die Reichsregierung eine Rückgabe, selbst der Ausgrabungsfinanzier James Simon plädierte für einen Eintausch der Nofretete gegen andere Kunstwerke. Selbst nach der Machtübernahme der Nazis gingen die Verhandlungen weiter, bis Hitler ein endgültiges Machtwort sprach: "Ich werde ihr ein Museum in Berlin bauen."

Mit dem Zweiten Weltkrieg setzte dann für Nofretete die Odyssee ein: Um sie vor Bomben zu schützen, wurde sie zunächst in einen Berliner Flakbunker gebracht, danach in ein Thüringer Bergwerk. Von dort nahmen sie bei Kriegsende US-Soldaten mit nach Wiesbaden, wo sie 1946 erstmals unter hohem Besucherandrang wieder ausgestellt wurde. Später ging es zurück nach Berlin, wo die Büste erst in Dahlem und später am Schloss Charlottenburg der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Derweil erhob auch die DDR Besitzansprüche, Nofretete wurde zu einem Zankapfel des Kalten Kriegs.

Ägypten will sie zurück

Immer wieder bestand Ägypten unterdessen auf Rückgabe, zumal eine Videoinstallation mit Nofretete 2003, bei der die Büste auf einen fast nackten Bronzekörper gesetzt wurde, in ihrer Heimat als obszön empfunden wurde. Vier Jahre später hinterfragte die Kampagne "Nofretete geht auf Reisen" die deutschen Besitzansprüche.

"Was die Mona Lisa für den Pariser Louvre darstellt, ist für uns der Pergamonaltar und besonders die Nofretete", untermauert demgegenüber Präsident Parzinger die Position der Stiftung: "Sie lockt Besucher an und kann sie zu einem umfassenderen Besuch" verleiten. Museen bräuchten solche Kunstwerke, damit sie auf sich aufmerksam machen könnten: "Es ist unser wertvollstes Schaustück."