Dirk Kegel holt sich die Aldi-Flatrate für 14,99 Euro. Gerade war er 12 Stunden online, die ganze Nacht hat er mit seiner Liebsten in Karlsruhe gechattet. Beim Gedanken an sie kommen ihm die Tränen, sie leidet, kann nach einem Burn-Out kaum die Wohnung verlassen, weil sie Menschenmengen nicht erträgt. "Mit mir selbst geht es eigentlich gerade wieder aufwärts", sagt der 49-Jährige. "Meine Obdachlosigkeit ist hoffentlich bald Geschichte."
###mehr-artikel###
Zwei Rechner stehen im Zimmer der von der Dortmunder Diakonie betreuten Wohngemeinschaft für Menschen in Wohnungsnot. Sie waren gerade bei einem Freund zur Reparatur, als Kegels Leben vor zwei Jahren abrupt zusammenbrach. In Duisburg war das.
Mit seiner Freundin zusammen hatte Dirk Kegel eine Wohnung: Er arbeitet für eine Zeitarbeitsfirma in einem Lager, sie bezieht Hartz IV. 85 Quadratmeter, genug Geld, um auch mal ins Kino zu gehen oder essen. Eines Tages kommt Kegel von der Arbeit in eine leere Wohnung. "Nur noch die Mikrowelle stand da", erzählt er. "Was sie mit Springerstiefeln Größe 46 wollte, weiß ich zwar nicht. Aber sogar die Kleidung war weg." Und mit ihr die Frau, mit der er sechs Jahre zusammen war. "Dass die Beziehung möglicherweise bald zu Bruch geht, wusste ich zwar", sagt Kegel heute. "Aber so, da hatte ich überhaupt nicht mit gerechnet." Kegel bricht zusammen, geht nicht an die Tür, öffnet den Briefkasten nicht.
Vor sechs Wochen hat es gefunkt
Seine Ex-Freundin hatte schon seit drei Monaten keine Miete mehr gezahlt – auch seinen Mietanteil hatte sie nicht weitergeleitet. Und auch der Zeitarbeitsvertrag endet in dieser Zeit – um neue Arbeit kümmert Kegel sich nicht. "Ich wollte einfach gar nichts mehr machen." Eine schwere Depression, sagt später sein Therapeut. Da hatte der Vermieter ihn schon herausgeworfen: Drei Monate nach der überraschenden Trennung lebt Kegel – immer noch depressiv – mit Mietschulden in einem Obdachlosenheim für Männer. Und braucht Zeit, um psychisch gesund zu werden, Menschen zu vertrauen, alte Kontakte wiederzubeleben. "Dabei haben mir auch alte Bekannte aus dem Internet geholfen", sagt der 49jährige gelernte Industriekaufmann.
Irgendwann holte er sich seine Rechner ab und besuchte langjährige Chatbekannte wieder, meldete sich in Singleportalen an. "Auch wenn da Lebenslagen wie meine gar nicht gut ankommen", sagt er. Vor sechs Wochen hat es gefunkt – seitdem ist er ständig online oder am Telefon. "Ich will meiner Freundin unbedingt aus ihren Schwierigkeiten helfen", sagt er. "Auch, wenn mich das erstmal sehr viel Schlaf kostet."
Für sich selbst hat er eine Wohnung gefunden, natürlich im Internet. Und in Dortmund, denn er wird noch ein Jahr von der Diakonie ambulant betreut. Er will sich in dem Jahr auch eine Weiterbildungsmöglichkeit suchen, damit er wieder als Industriekaufmann arbeiten kann. Auch übers Netz. "Ich bin Onliner der ersten Stunde", sagt Kegel. "Ich kann hier alles finden, was ich brauche und was mich interessiert: Sozialgesetzbuchbestimmungen, Sex und auch Liebe und Freundschaft."