Foto: iotas/photocase
Man weiß nie: Wie reagieren Kollegen auf eine HIV-Erkankung?
HIV am Arbeitsplatz: Man weiß nicht, wie die Leute reagieren
Heute ist Welt-Aids-Tag. Etwa zwei Drittel der HIV-Positiven in Deutschland sind berufstätig. Doch immer noch verschweigen viele Menschen ihre Infektion gegenüber Kollegen und Arbeitgebern – aus Angst vor Diskriminierung. Silke Eggers von der Deutschen Aidshilfe spricht im Interview mit evangelisch.de über den Umgang mit HIV im Job.

Wir haben 30 Jahre Aufklärung zum Thema HIV und Aids hinter uns, warum ist das immer noch ein Thema?

Silke Eggers: Das hat ganz viel mit irrationalen Ängsten zu tun. Es ist noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen, dass sich in der medizinischen Forschung sehr viel getan hat. Leben mit HIV bedeutet heute etwas ganz anderes als noch vor 20 Jahren. Eine HIV-Infektion ist mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Wenn ich heute in Deutschland ein positives Testergebnis habe, wenn es rechtzeitig erkannt wird und ich gut medizinisch betreut werde, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich nie das Stadium Aids erreiche, in dem die Krankheit ausbricht. Früher, ohne die medizinischen Möglichkeiten, sind fast alle HIV-Positiven an Aids verstorben. Dieses alte Bild ist immer noch in den Köpfen.

Welche Erfahrungen machen HIV-Positive, die ihrem Arbeitgeber, ihren Kollegen von der Infektion erzählen?

Eggers: Die Reaktionen sind ganz unterschiedlich. Wir sind sehr froh, dass wir in letzter Zeit vermehrt Positives hören, zum Beispiel von Kollegen, die sagen, "toll, dass du dich das traust". Aber das Problem bleibt: Man weiß vorher nicht, wie die Leute reagieren. Wenn es einmal gesagt ist, kann man es nicht mehr zurücknehmen. Es passiert, dass Kollegen nicht mehr mit HIV-Positiven zusammenarbeiten wollen. Oder ihnen sogar gekündigt wird. Ein Fall, der momentan vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelt wird, ist der Fall von Sebastian F. Sein Arbeitgeber hat ihm klar gesagt: Du darfst hier nicht mehr arbeiten und hast Hausverbot.

###mehr-personen###Ist das erlaubt?

Eggers: Nein, eine Kündigung alleine auf Grund einer HIV-Infektion ist nicht zulässig. Wenn das offen so gesagt wird, kann man etwas dagegen tun. Aber oft wird eben versucht, andere Gründe vorzuschieben.

In welchen Bereichen der Arbeitswelt wird besonders stark diskriminiert?

Eggers: Das passiert in allen Branchen. Aber es gibt immer noch den Mythos, im Krankenhaus, in der Küche, mit Kindern könne man als HIV-Positiver nicht arbeiten, da bestünde Infektionsgefahr. Man muss klar sagen: Es gibt keine Berufsverbote mit HIV oder Aids, Infizierte können in allen Bereichen arbeiten. Auch im OP. Nur falls die Viruslast eines HIV-positiven Arztes eine Zeit lang über die Nachweisgrenze steigt, darf er in dieser Zeit bestimmte Operationen nicht durchführen. Aber das ist die einzige Einschränkung. Bis vor kurzem war es auch nicht möglich, dass HIV-Infizierte Piloten werden, aber die europäische Richtlinie wurde nun geändert. Sie stammte noch aus den 1980er Jahren, als viel weniger über die HIV-Infektion bekannt war.

"Es gibt keine Berufsverbote mit HIV oder Aids"

Wie ist das heute, fallen HIV-Positive häufiger aus?

Eggers: Eine englische Studie hat klar gezeigt, dass Menschen mit einer HIV-Infektion im Vergleich mit anderen nicht häufiger krankgeschrieben sind. Viele HIV-Positive verlangen sich sogar besonders viel ab, weil sie als fit und leistungsfähig gelten wollen. In Deutschland ist kaum jemand so gut durchgecheckt wie ein HIV-Patient, der muss regelmäßig zur Kontrolluntersuchung.

###mehr-artikel###Darf der Arbeitgeber nach einer HIV-Infektion fragen?

Eggers: Die Frage darf im Vorstellungsgespräch nicht gestellt werden. Das kommt aber in der Praxis trotzdem öfter vor. In diesen Fällen hat man das Recht zu lügen. Es gibt immer wieder Bewerber, die diese Frage ehrlich beantworten, weil sie mit offenen Karten spielen wollen. Eigentlich ja etwas, dass sehr wünschenswert ist. Da heißt es dann aber leider häufig: "Hier haben Sie Ihre Unterlagen". Oft bieten Arbeitgeber auch bei der Einstellungsuntersuchung  einen kostenlosen HIV-Test an, nach dem Motto: "Da haben Sie doch nichts dagegen." Dabei ist das im beruflichen Bereich nie wirklich freiwillig, weil man als Bewerber immer in der schwächeren Position ist. Der Betriebsarzt ist zwar an die Schweigepflicht gebunden und darf keine Diagnose mitteilen, aber das ist die Theorie, in der Praxis passiert das trotzdem immer mal wieder. Der Nationale Aids-Beirat, der die Bundesregierung berät, hat deshalb auch ein klares Votum abgegeben: Ein HIV-Test gehört nicht zu einer Einstellungsuntersuchung.

Erleichterung statt Versteckspiel

Einige HIV-Positive gehen am Arbeitsplatz offen mit ihrer Infektion um. Wann würden Sie dazu raten?

Eggers: Das ist eine individuelle Entscheidung. Wer einen guten Rückhalt in Familie und Freundeskreis hat, einen festen Arbeitsvertrag und das Gefühl, im Unternehmen kann mit dem Thema umgegangen werden, dem fällt es sicher leichter. Oft werden nur einzelne Leute eingeweiht, ein paar Kollegen, oder der Chef, eben Menschen, zu denen eine gute Beziehung besteht. Für viele ist es eine Erleichterung, das sagen zu können und aus dem Versteckspiel rauszukommen. Manche gehen auch ganz bewusst in die Öffentlichkeit, weil sie finden, dass die Gesellschaft Vorbilder braucht, und sich das Bild, das die Gesellschaft von HIV-Positiven hat, nur so verändert. Das kann aber nicht der Weg von jedem sein!

Autor:in
Keine Autoren gefunden
Was können Arbeitgeber gegen Diskriminierung tun?

Eggers: Es ist ganz wichtig, dass man als Arbeitgeber eine Atmosphäre schafft, die zeigt, dass man Diskriminierung nicht gelten lässt. Das kann auf unterschiedlichen Wegen passieren, zum Beispiel über Veranstaltungen zum Thema HIV oder über Betriebsvereinbarungen. Das Wichtige ist klarzustellen, wir sind ein Betrieb, der das nicht zulässt, und der eine Haltung dazu hat, die in die Belegschaft hineinreicht.