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Apokalypse-Forscher warnt vor Endzeitglauben in den USA
Der Endzeit-Forscher Thomas Grüter plädiert angesichts esoterischer Weltuntergangs-Szenarien rund um 21. Dezember 2012 für Gelassenheit. Man sollte das weitgehend ignorieren, sagt der Mediziner und Sachbuch-Autor ("Faszination Apokalypse") in einem epd-Gespräch. Eine wirkliche Bedrohung sei eher der verbreitete Glauben evangelikaler Christen in den USA, der Antichrist sei bereits unter uns und der letzte Kampf der Guten gegen die Bösen stehe bevor. Diesen Irrationalismus hält Grüter für "wirklich gefährlich".
20.12.2012
epd
Stephan Cezanne

Der Maya-Kalender, Prophezeiungen des Nostradamus, ungewöhnliche kosmische Konstellationen, Weissagungen der Hopi-Indianer oder ein sich der Erde angeblich nähernder Unheilplanet - all dies soll auf ein großes Ereignis um den 21. Dezember 2012 herum hinweisen. Einige warnen vor einem großen Unglück, Weltuntergang oder zumindest einer globalen Krise. Was ist davon zu halten?

Thomas Grüter: Wenn ein Thema aktuell ist und ein großes Publikum anspricht, möchten alle dabei sein. In der Esoterikszene leben viele vom Verkauf ihrer Bücher und Seminare. Doch aus wissenschaftlicher Sicht sind solche Prophezeiungen Unfug: Der Maya-Kalender endet nicht, sondern springt lediglich in eine neue Epoche um - vergleichbar mit dem Sprung 1999 auf 2000. Wir wissen auch nicht genau, ob der Beginn der neuen Maya-Epoche wirklich genau auf den 21.12.2012 fällt, die Berechnungen sind nicht ganz sicher. Selbst heutige Maya-Indianer haben klargestellt, dass die Prophezeiungen aus ihrer Sicht völliger Blödsinn sind.

###mehr-info###Was passiert, wenn der Weltuntergang ausfällt?

Grüter: Dann wären Teile der Esoterik-Szene bloßgestellt und die Buchautoren als falsche Propheten entlarvt. Daher sagen die meisten inzwischen keinen Weltuntergang vorher, sondern einen spirituellen Bewusstseinswandel. Das wäre dann ein guter Anlass, weitere Bücher zu schreiben und Seminare anzubieten, um diesen Wandel zu erklären und zu begleiten. Für einen vorausdenkenden Esoteriker ist es also sicherer, einen Bewusstseinswandel vorherzusagen als einen Weltuntergang.

Warum lassen sich so viele Menschen von diesen Esoterik-Theorien faszinieren?

Grüter: Bei genauem Hinsehen haben in Deutschland nur sehr wenige Menschen Angst vor einem baldigen Weltende. Einer internationalen Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur Reuters zufolge glauben bei uns nur vier Prozent daran. Das sind ungefähr so viele, wie auch daran glauben, dass die Welt in Wirklichkeit von Geheimorganisationen wie den Illuminaten beherrscht wird. Für die große Mehrheit sind diese Prophezeiungen eine abwegige Idee, über die man gute Witze reißen kann.

"In den letzten 50 Jahren hat es für fast jedes Jahr eine Untergangsprophezeiung gegeben. Das wird sich in den nächsten Jahren sicher nicht ändern"

Wurde die Weltuntergangsstory von den Medien aufgebauscht?

Grüter: Die Medien in Deutschland haben das schrille Thema natürlich gerne aufgegriffen, haben aber zugleich immer wieder darauf hingewiesen, dass das Ganze weder Hand noch Fuß hat, dass es keine Maya-Prophezeiungen gibt, dass der Kalender lediglich umspringt und es keinen riesigen, durchs Weltall irrenden Planeten gibt, der bald mit der Erde zusammenstoßen wird. Insgesamt verhalten sie sich also sehr verantwortungsvoll.

###mehr-artikel###Wenn die ganze Aufregung - sofern es überhaupt eine gibt - Ende Dezember vorbei ist, stehen bereits ähnliche Events in Aussicht?

Grüter: In der englischen Wikipedia findet sich unter "List of dates predicted for apocalyptic events" eine Liste von Weltuntergangsdaten. In den letzten 50 Jahren hat es für fast jedes Jahr eine Untergangsprophezeiung gegeben. Das wird sich in den nächsten Jahren sicher nicht ändern. Es findet sich bestimmt auch ein passendes astronomisches Ereignis oder eine alte Vorhersage. Natürlich muss man das genauso wenig ernst nehmen wie die Spekulationen rund um den 21. Dezember 2012.

Gibt es eine konkrete Vorhersage?

Grüter: Die nächste große Vorhersage zielt auf das Jahr 2060. Anhänger dieser Theorie berufen sich auf den großen britischen Naturforscher Isaac Newton (1643-1726). Dieser soll ausgerechnet haben, dass 1.260 Jahre nach der Gründung des Abendlandes durch die Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 jederzeit die Welt untergehen könne. 1.260 Jahre entsprechen nach Ansicht Newtons einem Weltzeitalter, er zählte als 800 plus 1.260 und kam auf das Jahr 2060 - ein bisschen Zeit haben wir also noch.

Abgesehen von skurrilen Vorhersagen, die eher Anlass zu Weltuntergangspartys sein werden: Gibt es Prophezeiungen, die sie für wirklich gefährlich halten?

Endzeit-Forscher Thomas Grüter. Foto: epd-bild/privat

Grüter: Allerdings! Nicht etwa, weil ich an diese Prophezeiungen glaube, sondern wegen der möglichen Folgen. Eine sehr unangenehme Form tritt in den Vereinigten Staaten auf. Viele der dortigen Freikirchen stehen auf dem Standpunkt, dass die Schrecken der Apokalypse unmittelbar bevorstehen und noch zu Lebzeiten der meisten Menschen beginnen werden.

Wie ist das zu verstehen?

Grüter: Immer noch aktuell ist der von dem britischen Geistlichen John Nelson Darby (1800-1882) begründete sogenannte Dispensationalismus, eine besondere Form des religiös begründeten Endzeitglaubens. Darby lehrte, dass das gegenwärtige Zeitalter mit dem Kommen des Antichrist zu Ende geht und am Ort Armaggedon eine Endschlacht von Gut und Böse stattfindet, in der Christus den Antichrist besiegt. Schließlich soll ein tausendjähriges Reich begründet werden, an dessen Ende das Jüngste Gericht steht.

"Einer "Newsweek"-Umfrage zufolge glauben 45 Prozent der Christen in den USA, dass die Welt in einer Schlacht zwischen Gut und Böse enden wird"

Daran glauben heute noch viele Amerikaner?

Grüter: Ja, dieser Dispensationalismus ist in den USA sehr verbreitet. In den USA haben die Freikirchen, denen ungefähr 25 Prozent der Bevölkerung angehören, eine ausgesprochen große Macht.

Hat das Einfluss auf die Politik?

Grüter: Der prophezeite Antichrist wird in den USA immer wieder mit aktuellen Politikern identifiziert. Freikirchliche Fanatiker stellten im ersten Wahlkampf von Barack Obama vor vier Jahren ernsthaft die Frage, ob der damalige Präsidentschaftskandidat der Antichrist sein könnte. Einer "Newsweek"-Umfrage zufolge glauben 45 Prozent der Christen in den USA, dass die Welt in einer Schlacht zwischen Gut und Böse enden wird, dieser Endkampf unmittelbar bevorsteht und die Christen aufgerufen sind, diesen Kampf auf der Seite der Guten zu führen. Noch ein Beispiel: Der US-Prediger Tim LaHaye hat eine ganze Serie von Endzeitbüchern ("Left Behind") geschrieben, in denen er die biblische Johannes-Apokalypse ins moderne Amerika überträgt. Die Bücher haben eine Gesamtauflage von über 60 Millionen.

###mehr-links###Was hat das für Konsequenzen?

Grüter: Nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Harris Interactive aus dem Jahr 2010 glauben 29 Prozent der Republikaner, dass Barack Obama die USA an eine Weltregierung ausliefern will. Im evangelikalen Weltbild ist damit die Herrschaft des Antichristen zu Beginn der Apokalypse gemeint. Diese weit verbreitete gefährliche Überzeugung beeinflusst natürlich auch die praktische Politik.

Ihr Fazit?

Grüter: In den USA sehen viele Menschen die Welt in einen bedingungslosen Endkampf der Guten gegen die Bösen verstrickt. Wir Europäer müssen uns klarmachen, dass jeder, der in Amerika regiert, darauf Rücksicht nehmen muss. Das erklärt auch einige der seltsamen Windungen in der US-amerikanischen Politik. Diese apokalyptische Weltsicht ist viel gefährlicher als alle Untergangsprophezeiungen, die sich auf irgendwelche Mayas oder Hopis berufen.