Wir haben einen Stapel Texte und ein paar Tonscherben – mehr nicht. Mit diesem Material versuchen Bibelforscher und Archäologen die Geschichte des Volkes Israel und ihres Gottes Jahwe nachzuzeichnen. Das ist spannend und vielleicht auch ein bisschen ernüchternd, vor allem für die Christen, die die Geschichten der Bibel als "wirklich so passiert" verstehen und kein einziges Wort infrage stellen wollen.
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"Die Erzählungen der Bibel, insbesondere diejenigen, die sich in den sogenannten fünf Büchern Moses finden, sind keine Aufzeichnungen von Augenzeugen. Die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob sind keine historischen Gestalten, sondern legendäre Figuren", erklärt der Theologe und Religionswissenschaftler Thomas Römer. "Auch Moses und der Exodus sind für den Historiker schwer zu greifen. Der Auszug aus Ägypten, so wie er in der Bibel beschrieben ist, hat keinerlei historische Plausibilität."
Die "Wahrheit" der Bibel ist anders zu verstehen. Zumindest müssen die Texte hinterfragt werden: Forscher bringen die Geschichte Jahwes und seines Volkes mit den sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen der jeweiligen Zeit in Zusammenhang. "Letztlich ist die Bibel ein Glaubensbuch und seine Autoren versuchen, darin das Wirken Gottes in der Welt zu beweisen", erklärt Filmemacher Friedrich Klütsch. "Aber ihre Leser waren und sind nicht naiv. Die biblischen Berichte müssen genügend historische Wahrheit enthalten, um als glaubwürdig gelten zu können. Und das genau ist unser Arbeitsansatz."
Der mitreisende Gott
Trotzdem tun die Filmemacher von "Terra X: Bibelrätsel" im Verlauf der Dokumentation stellenweise so, als seien die biblischen Texte Tatsachenberichte – das verwirrt. Margot Käßmann hilft mit ihren Kommentaren, Glaube und Forschung zu trennen und doch beisammen zu behalten: "Mir war immer wichtig, deutlich zu machen, dass eine historisch-kritische Exegese der Bibel meinen Glauben nicht in Frage stellt", betont die Theologin. "Angst vor Erkenntnis, vor Nachfragen, vor Forschen führt nur zu Fundamentalismus." Für sie persönlich sei die Bibel ein Glaubensbuch, eben weil die Bibel "vom Glauben anderer an den Gott erzählt, an den auch ich glaube".
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So macht sich der erste Teil der zweiteiligen Dokumentation daran, den "Lebenslauf Gottes" zu erforschen. "Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmel und der Erde…" bekennen Christen heute in den Kirchen. Seine "Karriere" (ein Begriff, von dem sich Margot Käßmann distanziert) begann als Schutzgott eines Nomadenvolkes vor 3400 Jahren. Jedenfalls taucht der Name Jahwe, den Gott sich in der Bibel gibt, bei den Schasu zum ersten Mal auf. Er war ein mitreisender Gott, sichtbar in der Wolken- und Feuersäule (Exodus 13,21). Dort, wo die Schasu unterwegs waren, gab es feuerspeiende Vulkane, die eine Erklärung für die feurige Erscheinungsweise Gottes liefern.
In Zeiten der Bedrohung wurde Jahwe zum Kriegsgott, durch die Könige David und Josia später zum Nationalgott Israels. Erstaunlich, dass dieser Gott die Zeit des Exils in Babylon "überlebte". Die Elite Israels wurde in die Fremde verschleppt und musste ohne Götterstatue und ohne Tempel auskommen, was völlig unüblich war im alten Orient. In dieser Zeit wurde Jahwe zu dem einen Gott, der sein Volk nie verlässt und – das war neu – nicht nur für die Siege, sondern auch für die Niederlagen verantwortlich ist.
Ein uraltes, aber noch aktuelles Gesetz
So zeichnet der erste Film nach, wie sich das Gottesbild verändert hat, bis hin zum "Gottvater" der Christen. Spätestens als Michelangelos Gottesdarstellung aus der Sixtinischen Kapelle eingeblendet wird und Margot Käßmann von den menschlichen Eigenschaften Gottes spricht, wird klar: Er ist eben nicht immer derselbe gewesen, sondern Juden und Christen haben ihr Bild von ihm – je nach ihrer Situation – verändert.
Im zweiten Teil der Dokumentation geht es um die Zehn Gebote. Das Buch Exodus berichtet von der Übergabe der Steintafeln an Mose und das Volk am Sinai – auch hier wieder verwirrt der Film, indem diese Episode (2. Mose 19 und 20) wie ein historischer Tatsachenbericht behandelt wird. Der Vulkanologe Professor Hans-Ulrich Schmincke kommt zu Wort, um zu erklären, was das Volk Israel dort am Sinai gesehen und gehört haben könnte: "… da brachen Donner und Blitze los, und eine schwere Wolke lagerte auf dem Berg, und ein sehr starker Hörnerschall ertönte (…). Und der ganze Berg rauchte, weil der HERR im Feuer auf ihn herabkam. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg erbebte heftig." (Exodus 19,16-18). Die Gotteserscheinung war demnach ein Vulkanausbruch.
Wie auch immer das Volk Israel bei Blitz, Donner, Hörnerschall und Erdbeben nur ein einziges Wort verstanden haben mag – seither werden die Zehn Gebote überliefert. Und zwar erstaunlicherweise durch die Jahrhunderte hindurch in unverändertem Wortlaut. Am Ende des Films lesen ein Rabbi und sein Sohn zwei Versionen vor, zwischen deren Niederschrift 2100 Jahre liegen, und stellen fest: Die Texte sind völlig identisch. "Wahnsinn", sagt der sichtlich verblüffte Rabbiner in die Kamera.
Es blitzt und leuchtet, zischt und grollt
Immer wieder verknüpft der Film die Überlieferung der Zehn Gebote mit der Geschichte des Volkes Israel: Die Gesetzestafeln vom Sinai gehen zwar verloren, doch ihr Inhalt überdauert wie durch ein Wunder die Jahrtausende und finden heute ihren Niederschlag in den Menschenrechten. Margot Käßmann würdigt ihre Bedeutung für unsere Zeit: "Nehmen wir: den Feiertag heiligen in einer Burn-out-Gesellschaft. Oder: Vater und Mutter ehren in einer Zeit, die den Alten sehr schnell ihre Würde abspricht. Oder: Du sollst nicht begehren mitten in einer Neidgesellschaft! Das ist hochaktuell."
Mit einer Mischung aus Rätsel und Abenteuer, Archäologie und Bibelwissenschaft, prominenten Stimmen und verblüffenden Effekten erweckt "Terra X: Bibelrätsel" eine vergangene Zeit zum Leben. Die Autoren erklären, was Glaube mit Wissenschaft zu tun hat und wie die biblischen Geschichten entstanden sind. Theologisch gebildete Zuschauer werden an der einen oder anderen Stelle einhaken: Da fehlt doch was, oder: Das ist zu vereinfacht.
Doch der Film ist für theologische Laien gemacht, und denen wird es garantiert nicht langweilig. Selbst Tonscherben im Museum werden ins rechte Licht gerückt, ständig sind "Israeliten" in passender Kostümierung zwischen alten Gemäuern zu sehen, und wo es nur geht, bauen die Filmemacher Effekte ein. Es blitzt und leuchtet, zischt und grollt unentwegt. Das Vulkanmotiv zieht sich durch – quasi als Metapher für die spannende Geschichte von Gott und seinem Volk.