Bei Kindern liegen Weinen und Lachen oft nah beieinander
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Bei Kindern liegen Weinen und Lachen oft nah beieinander.
Kinder haben diesen Tiefenglauben
Wenn Kinder trauern – die Arbeit von Trauerdiakonin Eva Glonnegger
Im Schwerpunkt "Leben mit dem Tod" denken wir in diesem Monat nach über Leben und Sterben, Glaube und Zweifel, Trauer und Hoffnung. Wie trauern eigentlich Kinder? Und vor allem: Wo bekommen sie Hilfe und Begleitung bei ihrem Trauerprozess? Zum Beispiel bei Eva Glonnegger, Deutschlands erster und bisher einziger Trauerdiakonin.
24.11.2012
evangelisch.de

Kinder trauern nicht anders als Erwachsene, prinzipiell. Allerdings schalten sie viel schneller um zwischen ihren emotionalen Zuständen. Eben noch tief betrübt, können sie oft im nächsten Moment schon wieder herzhaft lachen – oder ganz normal einen Hamburger essen gehen. Wenn man als Erwachsener ein Kind begleitet, das zum Beispiel gerade ein Elternteil verloren hat, wird man daher auf eine regelrechte Achterbahnfahrt mitgenommen. So beschreibt das Eva Glonnegger. Sie ist Deutschlands erste und bisher einzige Trauerdiakonin und begleitet schwerpunktmäßig trauernde Kinder.

Der Bedarf ist hoch

Als vor über vier Jahren ihre Stelle bei der Bruderhaus-Diakonie in Reutlingen eingerichtet wurde, hatte man dort damit gerechnet, dass sie im ersten Jahr so zwischen fünf und zehn Familien betreuen würde. Tatsächlich aber war Eva Glonnegger in ihrem ersten Jahr als Trauerdiakonin in knapp 50 Familien. "Der Bedarf war einfach sehr hoch" sagt sie. Und: "Was die Leute einfach anspricht, ist die Kombination aus Seelsorge und Sozialarbeit". Denn, wie Pfarrer Martin Enz von der Bruderhaus-Diakonie betont: "Die Sinnfrage steht im Leben dieser Menschen an erster Stelle. Diese existenzielle Frage hat meist auch eine religiöse Dimension, auf die allein ein sozialarbeiterischer Einsatz keine Antwort geben kann."

###mehr-links### Und wie sieht die Arbeit der Diakonin, Sozialarbeiterin und supervisorisch ausgebildeten Trauerbegleiterin konkret aus? Zum ersten Kontakt besucht Eva Glonnegger die trauernde Familie zuhause. Dieser Kontakt findet nicht in einer Beratungsstelle oder an einem anonymen Ort statt, das ist ihr wichtig. Dann spricht sie mit dem hinterbliebenen Elternteil, versucht, das Vertrauen zu gewinnen, damit sie weiß: Es ist für die Mutter oder den Vater in Ordnung, dass ich mich jetzt ihren Kindern zuwende. Das tut sie, indem sie sich zuerst einmal von dem Kind, den Kindern zeigen lässt, was ihnen gerade wichtig ist. "Ich begebe mich sozusagen in die Wahrnehmung der Kinder und drücke ihnen kein Thema auf. Und wenn sich dabei ein Hinweis ergibt, dass sie bereit sind, über den Tod ihrer Mutter, ihres Vaters oder auch ihres Geschwisterkindes zu reden, dann bin ich dafür aufmerksam, ohne sehr viele Worte zu machen."

Nach den ersten Gesprächen ist wichtig, dass der verbliebene Elternteil wieder eingebunden wird, etwas von den Begegnungen und Erfahrungen zwischen dem Kind und ihr erfährt. Ein möglicher dritter Schritt ist, dass Eva Glonnegger eine Familie sucht, die eine vergleichbare Situation erlebt hat – und einen Kontakt herstellt. Denn sie sagt: "Der größte therapeutische Effekt ist eigentlich, dass ein Kind erfährt: Ich bin mit diesem Schicksal nicht alleine!" Oft sind so die Kinder einander die Therapeuten, meint Eva Glonnegger, ohne dass sie viel über ihre Geschichte reden. Was zählt, ist einfach die Erfahrung, dass es andere Kinder gibt, die so etwas auch durchgemacht haben – und die auch wieder fröhlich sind. Deshalb organisiert sie auch Ferienfreizeiten, auf denen die Kids miteinander spielen, essen, weinen und auch lachen können.

Beratung und Hilfe auch für die Eltern

Eigentlich aber geht die 57-jährige nie nur zu einem trauernden Kind – sie geht immer in eine Familie: "Meine Erfahrung ist die, dass es für die Kinder die größte Hilfe ist, wenn der hinterbliebene Elternteil entlastet wird. Dann kann der nämlich wieder besser für seine Kinder da sein." Die Eltern haben oft einfach großen Beratungsbedarf, wie sie mit ihrer eigenen Trauer und der ihrer Kinder umgehen können. Und sie sind dankbar für das offene Ohr der Trauerdiakonin und für ihre Hinweise. "Ich weiß, dass ich sie jederzeit erreichen kann, wenn Probleme auftreten, sei es mit meinen Kindern, sei es im Alltag," sagt Dagmar Sulz, während ihre beiden Töchter Julia und Laura mit Eva Glonnegger Memory spielen. Vor zwei Jahren hat die junge Mutter ihren Mann bei einem Verkehrsunfall verloren. Sie fügt hinzu: "Oder auch, wenn ich abends mal alleine da sitze und…" Nach kurzem Zögern vollendet sie den Satz: "…einfach traurig bin!"

###mehr-artikel### Oft geht die Hilfe von Eva Glonnegger aber noch weiter, oft muss sie noch ganz andere Schritte mit den betroffenen Familien gehen. Zum Beispiel, wenn durch den Tod des Hauptverdieners plötzlich finanzielle Schwierigkeiten auftauchen, wenn ein Umzug, eine ganz neue Lebenssituation ansteht. Dann bezieht sie auch andere Beratungsstellen und Behörden, wie zum Beispiel das Jugendamt oder die Schuldnerberatung in ihre Arbeit mit ein, vermittelt und begleitet auf den Wegen dorthin. Sie nutzt dann das große Netzwerk, das sie inzwischen aufgebaut hat. Zum Beispiel Kontakte zu Erzieherinnen und Lehrkräften. Häufig ist nämlich eine der Begleiterscheinungen von Trauer bei Kindern, dass sie in der Schule schlecht werden, sie verstummen regelrecht, weil sie eigentlich zu früh einen Reifungsschritt machen. Dann geht Eva Glonnegger mit in die Schule, sensibilisiert und stärkt den Kindern den Rücken.

Und wie bringt sie ihren theologischen Hintergrund ein in der Arbeit mit den Kindern? Ist der überhaupt wichtig? Auf diese Frage antwortet die Diakonin für viele vielleicht etwas überraschend: Ihre Erfahrung ist, dass viele Kinder einen "Tiefenglauben" haben. Sie benutzt dieses Wort, weil ihr "Kinderglaube" zu abwertend klingt. Diesen Glauben, der sich oft zum Beispiel beim gemeinsamen Bildermalen zeigt, haben sie den Erwachsenen voraus. Etwa wenn Kinder sich eine Existenz der Toten in einer anderen Welt denken und in Bilder oder Sprache fassen können, meint sie: "Da können dann manchmal die Erwachsenen sich sogar dran hängen." Auch wenn sie mit den Kindern im Sandkasten ganze Welten formt, erlebt sie immer wieder: "Kinder sind selbstverständliche Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits." Ab dem neunten Lebensjahr etwa fangen die Kinder dann an, zu hinterfragen, weiß Eva Glonnegger, und zu hadern mit ihrem Schicksal. Für die sei es dann besonders gut, Gleichaltrige zu finden, die eine ähnliche Situation bereits bewältigt haben.

Zuhören und Zustimmen

Im Gespräch mit diesen Kindern und Jugendlichen kann sie erst einmal auch nur zuhören. Und zustimmen, wenn sich die Verzweiflung in Ärger und Wut Luft macht. Irgendwann, wenn die Frage kommt, wie sie selbst durch solche Probleme vielleicht hindurch gekommen ist, bietet sie ihre Antworten an, die häufig auch mit ihrem Glauben zu tun haben. Aber immer als persönliche, nicht als allgemeingültige Antworten. Als eine Möglichkeit unter vielen. Prinzipiell geht es darum, den Fragen Raum zu geben, nicht darum, vorgefertigte Antworten parat zu haben. Antworten finden die meisten Trauernden nämlich am ehesten in sich selbst. Und dann sagt sie den Satz über ihre Arbeit als Trauerdiakonin, den man so vielleicht erst einmal nicht erwartet: "In so einer Verlustsituation geht es zunächst einmal um Beziehung – und nicht um Erkenntnis!"

Weil ihre Arbeit eben Beziehungsarbeit ist – und weil Eva Glonnegger mittlerweile rund 100 Familien betreut – muss sie darauf achten, dass ihre eigenen Kraftressourcen gewahrt bleiben. Was ihr dabei hilft, ist Supervision, sind Pausen und Ausgleich. Und die Tatsche, dass sie Wege gefunden hat, die Begleitung zu vernetzen und mit anderen Mitteln weiter zu führen. Sie schult mittlerweile Ehrenamtliche, die sie vielleicht in Zukunft entlasten. Und viele Kontakte, die schon seit langem bestehen, wo der Besuch vor Ort nicht mehr notwendig ist, hält sie per E-Mail aufrecht. Das bietet zumindest Flexibilität – aber auch die nötige Verbindlichkeit. Eigentlich aber, so sagt sie lachend, sieht sie einen Großteil der Arbeit, die ihr nur im Umfang einer halben Stelle bezahlt wird, als IHR Ehrenamt an.

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Finanziert wird diese Stelle bisher zur Hälfte aus Projektmitteln des Oberkirchenrats in Stuttgart. Damit ist es aber Im Juni nächsten Jahres vorbei, dann müssen wohl sämtliche Kosten aus Spendenmitteln bestritten werden. Eva Glonnegger indessen wirbt für eine Etablierung eines Trauerdiakonats, auch außerhalb des Großraums Reutlingen: "Die Menschen entwickeln in solch einer Trauerphase auch eine Lebens- und Glaubenshaltung. Hier, in der Seelsorge, hat die Kirche eine Kernkompetenz. Und hier wirkt sie auch besonders nachhaltig."

Was ihr denn noch helfen würde bei ihrer Arbeit? Da muss Eva Glonnegger nicht lange nachdenken. Wie aus der Pistole geschossen antwortet sie freundlich aber bestimmt in ihrem schwäbischen Idiom: "Es würde allen, aber besonders auch den Kindern helfen, wenn wir Trauer einfach gesellschaftsfähiger machen würden."