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Welche Richtung schlägt das kirchliche Arbeitsrecht ein? Der Dritte Weg bleibt auch nach dem Urteil des Bundesarbeitsgericht offen.
Das Streikverbot fällt, das kirchliche Arbeitsrecht nicht
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat im Streit um das kirchliche Arbeitsrecht ver.di und den Kirchen Recht gegeben. Das kirchliche Arbeitsrecht muss nun aber ehrlicher werden und die Arbeitnehmer ernster nehmen.
20.11.2012
Markus Jantzer und Bettina Markmeyer

Das generelle Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen ist gefallen, das kirchliche Arbeitsrecht nicht. So lautet die Essenz aus dem keineswegs einfachen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt vom Dienstag. Ob das Ende des Streikverbots für die Kirchen und ihre 1,3 Millionen Beschäftigten eine neue Zeit einläutet, muss sich erst erweisen.

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Die höchsten Arbeitsrichter haben den Kirchen zwei Aufträge erteilt: Sie müssen ihr eigenes Arbeitsrecht ehrlicher und verbindlicher machen und bei der Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen die Gewerkschaften ins Boot holen. Indirekt haben die Richter beide Seiten aufgerufen, die schroffe Konfrontation zu beenden (AZ: 1 AZR 179/11 und 1 AZR 611/11).

Die Revisionsanträge evangelischer Landeskirchen und ihrer Diakonischen Werke wurden zurückgewiesen. Damit waren die Streikaufrufe der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und des Marburger Bundes trotz des Streikverbots im kirchlichen Arbeitsrecht nicht rechtswidrig. Der Präsident der Diakonie Deutschland, Johannes Stockmeier, ließ nach dem Urteilsspruch die Frage offen, ob die Kirchen nun weiterziehen wollen vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Er betonte zunächst, das kirchliche Arbeitsrecht sei im Kern nicht angetastet worden.

Paritätische Kommissionen

Bei den Kirchen und ihren Sozialeinrichtungen werden die Löhne und Arbeitsbedingungen in paritätisch besetzten Kommissionen ausgehandelt. Kommt auf diesem sogenannten Dritten Weg keine Einigung zustande, trifft ein neutraler Schlichter eine verbindliche Entscheidung. Streiks und Aussperrung sind bisher verboten. Nach dem Erfurter Urteil können sich die Mitarbeiter indes künftig mit Streiks zur Wehr setzen, wenn die eigenen Regeln nicht eingehalten werden.

Bischöfe und auch Spitzenvertreter von Caritas und Diakonie haben in den vergangenen Monaten selbst darauf hingewiesen, dass in ihren Einrichtungen der christliche Geist oft nicht ausreichend erkennbar sei. Der harte Wettbewerb in der Sozialbranche, aber auch die mitunter kleine Zahl an Mitarbeitern, die ihre Arbeit aus einem christlichem Impuls heraus tun, ließen die Grenzen zwischen kirchlichen und weltlichen Sozialeinrichtungen verschwimmen.

Der Vorsitzende der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Berliner Bischof Rainer Maria Woelki, hatte wohl die Tendenz des BAG-Urteils geahnt. Vor Monaten hatte er kritisiert, dass Einrichtungen der katholischen Wohlfahrt durch Ausgliederung und Leiharbeit die Spielregeln des kirchlichen Arbeitsrechts unterlaufen. Wer eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft in kirchlichen Einrichtungen" schaffe, so Woelki, werde dem eigenen Anspruch einer christlichen Dienstgemeinschaft nicht gerecht.

Verbitterung in vielen Einrichtungen

Das sahen nun offenbar auch die obersten Arbeitsrichter in Deutschland so. So erlegten sie der Diakonie auf, mit einer Praxis Schluss zu machen, die an Willkür grenzt. Obwohl Arbeitgeber und Arbeitnehmer Tarife aushandeln, kann sich die Arbeitgeberseite hinterher für einen anderen, günstigeren Diakonie- oder Kirchentarif entscheiden. Das hat in vielen Einrichtungen zu Verbitterung geführt.

Mit dem BAG-Urteil werden die Rechte der kirchlich Beschäftigten gestärkt. Dennoch glaubt Thomas Schwendele, Caritas-Mitarbeitervertreter, nicht an eine Streikwelle. Wo sich die christliche Wohlfahrt an die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst TVöD anlehne, sagt er, werde es in den Betrieben ruhig bleiben. Nach Schätzungen sind nicht einmal zehn Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Ver.di hofft - jetzt erst recht - auf mehr.

Keine "stinknormalen Betriebe"

Ver.di-Chef Frank Bsirske hat Einrichtungen der kirchlichen Wohlfahrt wiederholt als "stinknormale Betriebe" bezeichnet. Dem ist das Bundesarbeitsgericht nicht gefolgt. Vielmehr hat es das kirchliche Arbeitsrecht bestätigt, aber durch ein Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen erweitert.

Wichtiger als das Recht auf Streik dürfte für die Gewerkschaften aber die zweite Vorgabe der Richter an die Kirchen sein: Sie sollen die Gewerkschaften einbinden, um die in der Diakonie weit mehr als in der Caritas ausgeprägte Schwächung der Arbeitnehmerseite zu überwinden. Ver.di bekommt also die Gelegenheit, sich an den eigenen Forderungen messen zu lassen.