Eines der beispielhaften Plakatmotive für eine Öffentlichkeitskampagne, die die Initiative "anders wachsen" entworfen hat
Foto: Saimen./photocase
"Es geht um Umkehr"
Interview mit Walter Lechner vom Initiativkreis "anders wachsen"
Am heutigen Buß- und Bettag findet in Leipzig der Thementag "anders wachsen" statt. Dieser geht auf die gleichnamige kirchliche Initiative zurück, die eine Abkehr vom Wirtschaftswachstums-Dogma fordert. Ein Gespräch mit Pfarrer Walter Lechner vom Initiativkreis "anders wachsen" über Wirtschaft, Wachstum, Kirche, Öffentlichkeit - und den Thementag.
21.11.2012
evangelisch.de

Wie ist der Initiativkreis "anders wachsen" entstanden?

Walter Lechner: Angefangen hat das alles eigentlich mit ein paar Thesen, die ich aufgesetzt hatte. Der Gedanke war: Wir müssen uns als Christen, als Kirche mit verschiedenen Entwicklungen kritisch auseinander setzen, die in der Wirtschaft passieren. Besonders das, was unter dem Stichwort 'Neoliberalismus' subsummiert werden kann, war meine Haupt-Stoßrichtung. Diese Thesen habe ich dann mit verschiedenen Personen diskutiert. Daraus ist schließlich eine Gruppe entstanden, die sich näher mit diesen Thesen beschäftigt hat.

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Eine dieser Thesen aber war: 'Wirtschaft braucht Alternativen zum Wachstum!' Und es stellte sich heraus, dass alle anderen Thesen, alle anderen Problematiken mit dieser These zusammen hingen, davon bedingt werden: Ich kann zum Beispiel nicht wirklich sagen, dass ich den Ressourcenverbrauch einschränken will, dass aber gleichzeitig die Wirtschaft weiter wachsen soll. Die Frage, woran sich unsere Gesellschaft hier und jetzt orientiert, muss also alternativ beantwortet werden zur unbedingten Ausrichtung hin auf wirtschaftliches Wachstum und der damit implizierten Behauptung, dass nur Wachstum Wohlstand bringen kann.

Ziemlich schnell aber wurde auch klar: Mit reinen Appellen kommt man da nicht weiter, es muss darum gehen, dem Menschen ein alternatives Modell, ein anderes Leben näher zu bringen, schmackhaft zu machen. Das nächste, was also entstanden ist, waren eine Reihe von Plakatentwürfen, die zeigen sollten: 'Wachstum ja bitte - aber dort, wo es gut tut!', also zum Beispiel in Bereichen wie der Kreativität, der Zeit, dem Engagement, der Kultur, der Nächstenliebe - also alles Bereiche, die aufzeigen: Lebensqualität braucht kein Wirtschaftswachstum.

Der nächste Schritt - nach dem ersten Feedback - war dann, mit dem zweiten Teil der Plakate auch zu zeigen, welche negativen Folgen die Ausrichtung am Wirtschaftswachstum hat, also zum Beispiel Hunger, Klimawandel, Stress, Konsumwahn. Und darauf folgte dann schließlich die Konstitution als Gruppe am fünften März letzten Jahres.

Wie ging es nach der Gründung des Initiativkreises weiter?

Lechner: Als nächstes wollten wir das Thema auf den Kirchentag in Dresden tragen. Dort haben wir dann auf einer großen Veranstaltung eine Resolution auf den Weg gebracht, die von rund 2000 Menschen mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Den Text gibt es auch auf unserer Homepage zum Nachlesen. Das war dann die Grundlage für unser nächstes großes Ziel.

"Wir denken, dass wohl auch nur die Kirche die innere Freiheit hat, glaubhaft von so etwas zu sprechen"

Und das wäre?

Lechner: Dass die Kirche, die Evangelische Kirche in Deutschland, sich des Themas in einer öffentlichen Kampagne annimmt. Zum einen war klar: Wir können als kleiner Initiativkreis etwas Vergleichbares gar nicht leisten. Vor allem aber sind wir der Meinung, dass das ein Thema der Kirche sein muss, wenn sie ihre gesellschaftliche Verantwortung und ihre Bedeutung mitten im Leben der Menschen ernst nimmt. Für uns war immer klar: Wir sind keine Ökonomen, wir entwerfen jetzt kein Konzept für eine Post-Wachstums-Ökonomie. Wir diskutieren das an dieser Stelle also nicht auf einer ökonomischen Basis, sondern aus einer theologischen Verantwortung heraus.

Ein weiteres Plakatmotiv für eine mögliche Öffentlichkeitskampagne, das die Initiative "anders wachsen" entworfen hat (Foto: W. Lechner)

Es sind bereits etliche spannende, interessante und visionäre Alternativmodelle in der Ökonomie entwickelt worden, die eben nicht mehr auf der dauerhaften Wachstumsideologie basieren. Mit denen lohnt es sich, sich auseinanderzusetzen. Worum es uns aber zuvor geht, ist, dass wir aus einer christlichen Position heraus für eine Wende, für eine Abkehr von der vorherrschenden Ausrichtung auf wirtschaftliches Wachstum werben.

Und wir denken, dass wohl auch nur die Kirche die innere Freiheit hat, glaubhaft von so etwas zu sprechen. Außerdem ist aus unserer Sicht gerade die Kirche DIE Expertin, die sagen kann, was 'gutes Leben' ist oder sein kann. Sie hat sich ja auch schon klar und deutlich in diesem Sinne zum Thema positioniert, zum Beispiel in der EKD-Denkschrift "Umkehr zum Leben" von 2009. Nur eben nicht besonders öffentlichkeitswirksam.

Das heißt, ihr eigentliches Ziel ist, dass die EKD das Thema 'Alternativen zum Wirtschaftswachstum' in einer breiten Öffentlichkeitskampagne aufnimmt?

Lechner: Genau. Und dafür haben wir eine Petition entworfen, die jede und jeder unterschreiben kann und die dem Rat und der Synode der EKD überreicht werden soll.

"Die meisten Leute haben gesagt: 'An die EKD kommt ihr niemals heran'"

Welche Reaktionen haben Sie auf diese Idee bekommen?

Lechner: Die meisten Leute haben das erstmal für vollkommen utopisch gehalten und gesagt: "An die EKD kommt ihr niemals heran. Und wenn, wird das in ein Werk wie 'Brot für die Welt' delegiert." Dann aber haben uns auch wiederum andere Menschen den Tipp gegeben, uns um Unterstützerinnen und Unterstützer zu kümmern, deren Wort Gewicht hat - vor allem innerhalb der Kirche, aber auch außerhalb. Und diese Bemühungen waren recht schnell ziemlich erfolgreich: Katrin Göring-Eckart als Präses der EKD-Synode, Ilse Junkermann, die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Jochen Bohl, der Landesbischof der Evangelisch- Lutherischen Landeskirche Sachsens und stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD waren die ersten kirchenleitenden Personen, die uns ihre Zustimmung signalisiert haben und uns auch ein entsprechendes Statement zur Veröffentlichung zukommen lassen haben.

Auch Persönlichkeiten wie Christian Führer, Fulbert Steffensky und Niko Paech waren dabei. Schließlich haben wir auch die Landesbischöfe direkt angefragt. Und dann hat das Ganze ziemlich schnell eine erstaunliche Dynamik entwickelt. Inzwischen zählen die leitenden Geistlichen von sechs deutschen Landeskirchen sowie die EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum Margot Käßmann dazu.

Wie erklären Sie sich denn diesen Erfolg?

Lechner: Wir haben einfach das Gefühl, dass wir so etwas wie 'die richtige Sache zur richtigen Zeit' angestoßen haben. Wir spüren, dass sich zur Zeit ein gesellschaftliches Klima aufbaut, das es möglich macht, dieses Thema zu diskutieren. Die Frage nach Alternativen zum bedingungslosen Wirtschaftswachstum beginnt langsam, sich auf den Weg in die Mitte der Gesellschaft zu machen. Sie können sich vorstellen, dass wir zum Beispiel hocherfreut waren, als wir die Losung des Kirchentags 2013 in Hamburg erfahren haben: "Soviel du brauchst" - genau unser Thema!

"Ich glaube, die Menschen merken langsam, dass mit den Antworten von gestern die Krisen von heute nicht bewältigt werden können"

Hängt das vielleicht auch mit der Allgegenwärtigkeit der Finanz-, Banken- und Eurokrise zur Zeit zusammen?

Lechner: Ja, bestimmt ist das so. Da wird klar, dass etwas im Argen liegt. Auf der anderen Seite kommen natürlich, geradezu als Reflex in dieser Situation dann auch sofort wieder die Rufe nach mehr Wirtschaftswachstum als Ausweg. Bundeskanzlerin Merkel selbst hat ja in diesem Zusammenhang das schiefe Bild vom 'Herauswachsen aus der Krise' entworfen, demzufolge wir dann ja irgendwann nur neue, größere Krisen-Kleider überstreifen würden, wenn wir aus den alten endlich herausgewachsen sind. Ich glaube aber, die Menschen merken langsam, dass mit den Antworten von gestern die Krisen von heute nicht bewältigt werden können. Wir können nicht mehr sagen: Es gibt keine Alternativen zum Wachstum, sondern vielmehr: Es gibt keine Alternative zu Alternativen!

Gibt es denn auch schon offizielle Reaktionen aus dem EKD-Rat auf Ihre Initiative?

Lechner: Ja, tatsächlich - und das ist eine große Neuigkeit: Es gibt einen Beschluss, dass die EKD auf jeden Fall das Grundanliegen von "anders wachsen" aufnehmen will und das voraussichtlich mit dem Themenjahr 2014 der Lutherdekade zum Reformationsjubiläum "Reformation und Politik" verbinden will. Allerdings ist noch nicht klar, ob wir damit unser eigentliches Ziel, die Öffentlichkeitskampagne, bereits erreicht haben. In jedem Fall ist das aber ein schöner Erfolg, für den wir sehr dankbar sind.

"Es geht um die Veränderung der gesellschaftlichen Ausrichtung"

Haben Sie denn schon weitere Ziele formuliert, falls Sie dieses tatsächlich in absehbarer Zeit erreichen würden?

Lechner: Nein, das steht bisher nicht zur Debatte. Unser vorrangiges End-Ziel ist und bleibt diese Kampagne, aus der sich dann hoffentlich auch weitere Impulse und Schritte ergeben werden - dann aber eigentlich nicht mehr direkt über unsere Initiative. Wir machen das ja im Übrigen auch alles ehrenamtlich nebenher, neben unseren hauptberuflichen Tätigkeiten. Aber natürlich wird es uns als Gruppe auch dann weiter geben und wir wollen die weiteren Entwicklungen auch konstruktiv-kritisch begleiten und bieten unsere Mitarbeit an.

Am Buß- und Bettag veranstalten Sie in Leipzig, zusammen mit der dortigen Thomaskirchgemeinde und der Arbeitsstelle Eine Welt der Landeskirche Sachsens einen Thementag "anders wachsen". Was erwartet die Besucher denn dort?

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Lechner: Unser Ziel für diesen Tag ist es, öffentlich neue und andere Modelle, Alternativen zum dauerhaften Wirtschaftswachstum aufzuzeigen - und zwar auch in ganz konkreten Projekten - und diese zu diskutieren. Es wird also zum Beispiel eine Podiumsdiskussion mit Experten wie dem Ökonomen Niko Paech und dem Politikwissenschaftler Ulrich Brand geben, einen 'Markt der Initiativen', aber vor allem auch verschiedene thematische Workshops.

Und - das ist uns besonders wichtig, weil wir unsere Initiative ja ganz klar christlich und kirchlich verortet sehen – einen Eröffnungsgottesdienst, in dem unsere Unterstützerin Margot Käßmann predigen wird, worüber wir uns natürlich besonders freuen, sowie einen Abschlussgottesdienst in der Leipziger Nikolaikirche. Für uns passt diese gesamte Veranstaltung eben auch besonders gut zum Buß- und Bettag, denn schließlich geht es ja um die Veränderung der gesellschaftlichen Ausrichtung, es geht um Umkehr!