Wie ist die Lage der Flüchtlinge im Camp, vor allem in Bezug auf den nahenden Winter?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Das Camp ist ursprünglich für eine vorübergehende Zeit gebaut worden. Das heißt, es gab dort zwar eine gute Infrastruktur und angemessene Zelte, aber sie waren nicht auf Dauer angelegt. Niemand hat damit gerechnet, dass die Situation in Syrien so lange anhält, dass so viele Flüchtlinge immer weiter ins Land strömen, dass man jetzt darüber nachdenken muss: Wie wird es im Winter? Die Regensaison hat begonnen. Wir hatten letzte Woche hier relativ starke Regenfälle, die sofort gezeigt haben, dass die Zelte dem Regen nicht standhalten. Wasser fließt unter die Zelte, die Leute stehen im Wasser, liegen mit ihren Matratzen im Wasser, und die Zelte lecken und es regnet praktisch durch.
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Außerdem ist es kalt, nachts um null Grad oder noch ein bisschen niedriger, es kann sogar schneien. Die Zelte sind Sommerzelte - als die aufgestellt wurden, hatte man 30 bis 40 Grad Hitze. Auch die Ausrüstung mit Matratzen, Matten und Decken war auf den Sommer ausgerichtet. Die jordanische Regierung hat im Lager Straßen geteert und Kies ausgebracht, so dass das Wasser abfließen kann. Sie sind also dabei, es winterfest zu machen. Aber was jetzt fehlt ist - und das ist sehr dringend - eine bessere Art der Unterbringung, winterfeste Zelte oder Container, die beheizbar sind und einen festen Untergrund haben. Zum zweiten fehlt es an winterfester Kleidung und Wolldecken und natürlich auch an Heizsystemen.
Was sind das für Menschen, die sich im Flüchtlingslager befinden?
Füllkrug-Weitzel: Das sind überwiegend Menschen aus den grenznahen Regionen. Leute, deren Häuser zerstört und deren Dörfer bombardiert worden sind; Leute, deren Angehörige angeschossen oder erschossen worden sind. Dem Augenschein nach sind es viele Mittelklasse-Familien, das heißt: Sie sind es gewohnt, Fernseher, Computer und Waschmaschine zu haben, und sie haben geglaubt, vorübergehend - vielleicht sechs Wochen - hält man das mal aus. Aber jetzt ist der Moment, wo sie registrieren: Das kann noch lange anhalten. Da setzt große Frustration ein.
Cornelia Füllkrug-Weitzel bei ihrem Besuch im Flüchtlingslager Saatari in Jordanien. Foto: Christoph Puescher/Brot für die Welt
Ist es immer noch so, dass täglich Leute in dieses Lager strömen?
Füllkrug-Weitzel: Es ist nicht nur immer noch so, sondern es wird immer mehr. Es kommen täglich zwischen 600 und 1000 Leute. Man kann nicht sagen, dass sie in das Lager strömen, sondern man muss es so formulieren: Es strömen sehr viele Flüchtlinge ins Land, insgesamt bislang schätzungsweise zwischen 150.000 und 600.000. Die realistischen Schätzungen scheinen bei 250.000 zu liegen. Im Lager sind zwischen 35.000 und 45.000 Menschen. Sie sehen aber daran bereits, dass nur eine kleinere Zahl der Flüchtlinge im Lager lebt, die größere Zahl im ganzen Land verteilt, vor allem in den grenznahen Dörfern und Städten.
Es gibt ein klares System, wie man ins Camp kommt: Wer auf normale Weise die Grenze übertritt, also durch den Checkpoint, bekommt dort ein Visum - kein Problem - und kann sich im Land frei bewegen. Die meisten haben Freunde oder Verwandte im Land, oder sie suchen ihr Glück in den grenznahen Dörfern. Nur diejenigen, die illegal über die Grenze kommen, werden vom Militär aufgegriffen und in dieses Camp gebracht, und sie können es auch nicht einfach verlassen - erst, wenn ihr Status geklärt ist.
"Die Schulen haben schon begonnen, in zwei Schichten zu arbeiten, um die Flüchtlingskinder zu integrieren, und die Krankenhäuser sind überfüllt"
Wie geht es den Flüchtlingen, die zwar in Jordanien, aber nicht im Camp angekommen sind?
Füllkrug-Weitzel: Die meisten, mit denen wir in den Dörfern und Städten gesprochen haben, sagen, dass die Bevölkerung am Anfang enorm hilfsbereit war. Die Jordanier haben sich verschuldet, um Flüchtlinge mit durchzubringen oder Hausbesitzer haben ihnen Wohnungen umsonst zur Verfügung gestellt. Das haben sie getan, weil sie dachten, es dauert vielleicht sechs Wochen oder maximal zwei Monate. Jetzt dauert es schon viele Monate, und die Hausbesitzer sagen: Jetzt müsst ihr aber doch mal Miete bezahlen oder ihr müsst leider raus. Die Bevölkerung ist einfach am Ende ihrer Kräfte, vielleicht auch irgendwann am Ende ihrer Geduld - das wollen wir nicht hoffen. Das Hauptproblem ist es, dass die Flüchtlinge kein Geld für Miete und Lebensmittel haben. Sie leben in den kalten Wohnungen auf dem blanken Boden ohne Matratzen. Betten, Wärme, Elektrizität und Hygieneartikel sind ein großes Problem.
Was tut die jordanische Regierung für die Flüchtlinge?
Füllkrug-Weitzel: Man muss sagen, die jordanische Regierung gibt sich enorme Mühe, sowohl die Flüchtlinge im Camp aufzufangen, als auch die Hilfe von privaten Organisationen zu koordinieren und sie im Land zu unterstützen. Das ist eine extreme Leistung. Jordanien geht gerade durch eine massive ökonomische Krise und muss die Unterstützung für die eigene Bevölkerung massiv zurückfahren. Trotzdem nehmen sie so viele Flüchtlinge auf und versorgen sie mit allem.
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Zum Beispiel können die Kinder der Flüchtlinge, die hier auf legale Weise reingekommen sind und vom UNHCR registriert wurden, die Schule besuchen - umsonst - die Leute können ins Krankenhaus gehen - umsonst. Die Schulen haben schon begonnen, in zwei Schichten zu arbeiten, um die Flüchtlingskinder zu integrieren, und die Krankenhäuser sind überfüllt. Das Land ist unglaublich verschuldet und verschuldet sich dank der Flüchtlingssituation immer weiter. Da muss man klar sagen, die internationale Gemeinschaft ist in der Pflicht, die jordanische Regierung zu unterstützen, diese humanitäre Last zu tragen - mehr als sie es bisher tut -, damit die Regierung die Grenzen offen halten kann.
Was kann die Diakonie Katastrophenhilfe tun?
Füllkrug-Weitzel: Wir unterstützen den Lutherischen Weltbund dabei, das Camp winterfest zu machen - mit Mitteln, die uns das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt hat. Hier geht es speziell um Container und Heizsysteme. Andere Partner leisten Hilfe für Flüchtlinge in den Städten und Dörfern: Da geht es um Hygiene und Kleidung. Außerdem helfen wir nicht nur hier in Jordanien, sondern auch an der türkischen und der libanesischen Grenze. Und übrigens soll ein zweites Camp in Saatari errichtet werden. Damit können dann insgesamt rund 80.000 Leute aufgenommen werden.
Haben Sie mit Menschen im Camp gesprochen, deren Geschichte Sie uns erzählen können?
Sagen wir mal so: Manche Leute wissen mit Sicherheit, wer auf sie geschossen hat, andere wissen es nicht. Und diese Geschichten sind zum Teil konstruiert. Das ist eine hochpolitische Situation, auch unter den Flüchtlingen. Natürlich gehören die Familien - die Männer - zur Opposition. Es sind Frauen mit Kindern da, deren Männer noch in Syrien kämpfen und ihre Familien in Sicherheit geschickt haben. Aber es sind auch ganz normale Leute, die einfach ihre Ruhe haben wollen und die eigentlich nur mitten hinein geraten sind.