Foto: epd/Dethard Hilbig
Der frühere Neonazi Johannes Kneifel predigt zum Volkstrauertag.
Vom Neonazi zum Prediger der Menschenwürde
Aussteiger Johannes Kneifel spricht zum Volkstrauertag
Mit 17 prügelte er im Vollrausch einen Menschen so zusammen, dass dieser später starb. Jetzt ist Johannes Kneifel 30 und bald Pastor. Zum Volkstrauertag predigt er nur rund 20 Kilometer vom Ort seiner Gewalttat entfernt.
18.11.2012
epd
Karen Miether

Wilfried Lilie hört dem Prediger mit Herzklopfen zu. Auf der Kanzel der evangelischen Friedenskirche in Unterlüß bei Celle steht Johannes Kneifel. Vor 13 Jahren hat der im Nachbarort Eschede solange auf Lilies Freund Peter Deutschmann eingeprügelt, bis dieser später an den Verletzungen starb. Fünf Jahre kam der Jugendliche dafür ins Gefängnis. Jetzt studiert er Theologie und predigt zum Volkstrauertag zum Thema "mutig für Menschenwürde". Der 30-Jährige berichtet, wie er vom gewalttätigen Neonazi zum gläubigen Christen wurde.

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Johannes Kneifel blickt nur selten auf sein Manuskript. Frei, mit Pausen und im nachdenklichen Ton erzählt er sein Leben. "Wenn Gott sagt, dass Menschen Würde haben, dann ist das eine Regel, die er aufstellt", sagt der angehende Pastor der baptistischen Freikirche: "Eine Regel, die ich nicht immer befolgt habe - im Gegenteil." Peter Deutschmann sei überfallen und schwer verletzt worden und sei daran gestorben, streift er kurz die Gewalttat, die er gemeinsam mit einem Kumpanen begangen hat: "Und ich bin derjenige, der dafür hauptverantwortlich war."

Der 30-Jährige spricht davon, wie er sich selbst lange Zeit als Außenseiter empfunden hat. Seine Eltern seien körperlich schwer behindert, das Geld sei knapp gewesen, oft habe er sich geschämt. "Ich hatte eine riesengroße Sehnsucht nach Wert, nach Anerkennung." In der rechtsradikalen Skinhead-Szene habe er sich schließlich aufgehoben gefühlt. Ein Trugschluss - sagt er heute. In Wahrheit spreche deren Weltanschauung anderen den Wert ab und setze allein auf Gewalt.

Ausländer und Juden

Im Gefängnis seien es ausländische Mithäftlinge gewesen, die ihm als erste eine neue Chance gaben, sagt Kneifel in der voll besetzten Kirche. Auch die Seelsorger der Anstalt hätten in ihm einen Menschen gesehen, "der trotz allem immer noch Wert hat". Zum ersten Mal sei er dort auch einem Juden begegnet, dem Juden Jesus Christus. So habe sich seine Bekehrung zum christlichen Glauben vollzogen. "Das war eine Erfahrung, die mich dazu gebracht hat, umzudenken und auch ganz anders zu fühlen."

Wilfried Lilie lauscht in der zweiten Kirchenbank den Worten von Johannes Kneifel ganz genau. Er will ergründen, ob er die Geschichte des Wandels glauben kann, über die Kneifel auch ein Buch geschrieben hat. "Ich habe versucht, darauf zu hören, was an Emotionen rüberkommt", sagt Lilie später: "Ist er wirklich geläutert? Ich denke, herausgehört zu haben, dass er es ernst meint."

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Vor den Kameras eines Fernsehteams begegnet der Schulleiter dem Mann, der seinen Freund auf dem Gewissen hat, zum ersten Mal. "Peter Deutschmann würde es sicherlich freuen, dass Johannes Kneifel einen neuen Weg genommen hat", glaubt er. "Das hat er ja gewollt." Deutschmann hatte versucht, den Mittäter von Johannes Kneifel von seiner braunen Gesinnung abzubringen. Er starb, weil sich die beiden Jugendlichen das nicht bieten lassen und ihm im Alkoholrausch einen Denkzettel verpassen wollten.

Auch Johannes' Vater, Herbert Kneifel, ist in den Gottesdienst gekommen. Er empfinde Traurigkeit und Freude zugleich, wenn er an den Lebensweg seines Sohnes denkt, sagt er. Heute lebe dieser das, was seine Eltern versucht hätten, ihm mitzugeben. Gemeindepastor Wilfried Manneke hat den früheren Neonazi als Prediger eingeladen. "Die positive Veränderung von Johannes Kneifel lässt mich darüber nachdenken, ob wir wirklich genug tun, um jungen Leuten den Ausstieg aus der rechten Szene zu erleichtern", sagt der evangelische Pastor, der für sein Engagement gegen Rechtsextremismus bekannt ist.