Was möchte ich hören an einem Grab? Ziemlich genau weiß ich, was ich nicht hören möchte: Eine minutiöse Aufzählung der Lebensstationen des oder der Verstorbenen unter Nennung aller erreichten Berufsabschlüsse zum Beispiel. Auch nicht die Vor- und Zunamen aller, die da traurig in den Bänken sitzen - dabei kommt es nämlich oft zu Verwechslungen, die dann manchmal das einzige sind, was von der Ansprache in Erinnerung bleibt. Und überhaupt nicht hören möchte ich, das der Tote unter uns / in unseren Herzen / in unseren Erinnerungen weiterlebt. Das mag so sein, eine Zeit lang, vielleicht ein Menschenleben lang – aber ich frage mich dann immer, was denn sein wird, wenn keiner mehr da ist, der sich an mich erinnern kann? Und was ist mit denen, die zu jung, zu alt, zu arm, zu einsam oder zu weit weg gestorben sind, als dass sich jemand an sie erinnern könnte oder wollte?
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Ich wünsche mir an einem Grab mehr Protest gegen den Tod. Auch mit dem friedlichen Einschlafen eines hochbetagten Menschen geht doch etwas Einzigartiges zu Ende – und längst nicht jeder Tod ist so ein Tod. Ein Mensch stirbt, eine Stimme verstummt und es stirbt eine Welt aus Lebensgeschichten und Lebenserfahrungen. Beziehungen werden beendet, nichts kann mehr gesagt, entschuldigt, versöhnt werden. Auch nicht gedankt, dort, wo es versäumt worden ist. Und der Schmerz des Abschieds, des Nie-mehr-wieder-Sehens, der ist doch gerade da am größten, wo Menschen sich sehr lieben und sich nicht trennen mögen, ganz egal, wie viele Jahre sie miteinander verbringen konnten.
Paulus: "Der Tod ist ein Feind"
Der Tod ist ein Feind, so schreibt es Paulus im Brief an die Korinther. Der Tod ist ein Feind, er zerstört, was wir lieben. Das möchte ich bestätigt bekommen an einem Grab, weil ich es dort spüren kann wie sonst nirgendwo. Weniger Friedhöflichkeit gegenüber diesem Feind wünsche ich mir. Nicht so leise sprechen und die Gefühle runter dimmen, sondern sie ansprechen, dass sie herauskommen können, die Tränen, die Verzweiflung und die Wut.
Der stärkste Protest gegen den Tod ist die christliche Hoffnung auf die Auferweckung der Toten. Ein leeres Grab. Ein Mensch, der tot war und nicht tot bleibt, der wieder zurückkommt, der denen begegnet, die um ihn trauern, der sich berühren lässt, der mit ihnen isst und trinkt. Es gibt nichts, was nach unseren Erfahrungen unwahrscheinlicher ist. Es gibt keine größere Hoffnung. Davon zu erzählen, das ist wirksamer Protest gegen den Tod - eigentlich.
"Ich möchte den Menschen ganz wiederfinden"
Die Bibel, der übrigens die Vorstellung einer unsterblichen Seele ziemlich fremd ist, trägt ziemlich dick auf, was die Hoffnung angeht. Und sie malt mit neuen, frischen, noch nicht gesehenen Farben aus, wie es sein wird. Die Vorstellungen von Weiterleben und Wiedergeburt enthalten ja nichts wirklich Neues. Das sind alte Farben, neu aufgerührt. Viel kräftiger sind die Hoffnungsbilder der Bibel: "Liebe ist stark wie der Tod - Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod - Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich - Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein."
An einem Grab, mit Tränen in den Augen und Trauer im Herzen brauche ich niemanden, der mir erzählt, dass es so schlimm nicht sei und mein lieber Mensch nun bei Gott geborgen. Es ist schlimm und der Tod ist ein Feind, groß und mächtig. Wir schleudern ihm unsere Hoffnung entgegen, so mutig und verzweifelt wie der kleine Hirtenjunge namens David. Bloß Kieselsteine gegen Rüstung und Schwert. Auch so eine Geschichte, die anders ausgeht, als es alle erwarten. Erzählt doch mehr davon!