Foto: Lisa Srikiow
Max auf großer Fahrt: Auf geht's zu den Paralympics!
Max Westphal aus Düren ist nicht der typische Kandidat für eine Segelregatta. Seit seiner Geburt sitzt der 16-Jährige im Rollstuhl. Trotzdem segelt er nun nach London. Sein Ziel: Die Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele.

Max will hoch hinaus. Fast 37 Meter. So hoch ist der Hauptmast der "Tenacious", einem stolzen Segelschiff, das unter britischer Flagge fährt. Doch Max macht weder eine Rekrutenausbildung auf dem Dreimaster noch hat er einen Segeltörn gebucht. Der 16-Jährige ist Tetraspastiker und sitzt im Rollstuhl, er kann weder allein gehen noch stehen. Zudem leidet Max unter einer Sehbehinderung. Trotzdem will er am Tag der Eröffnugsfeier der Paralympischen Spiele in London unter der Tower Bridge hindurchsegeln.

Foto: Behindertensportverband NRW

Die "Tenacious" ist kein gewöhnliches Segelschiff – es ist so ausgestattet, dass auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen mitsegeln können: Es gibt einen sprechenden Kompass für Blinde, vibrierende Polster in den Kojen, die Gehörlose in Notfällen warnen und zahlreiche Hinweise in Blindenschrift. Außerdem ist das Schiff barrierefrei, so dass auch Max mit seinem Rollstuhl an Bord kann. Wenn das Wetter es zulässt, ermöglicht ihm ein Flaschenzug sogar den ersehnten Aufstieg in die Takelage.

Obwohl das Schiff so gut ausgestattet ist, benötigt Max an Bord die Hilfe anderer. Aber er stellt klar, dass die Reise keine einseitige Aktion ist. "Behinderte und Nichtbehinderte ziehen an einem Strang. Sie sollen sich ergänzen", sagt Max. Auf der "Tenacious" will er zeigen, was er zur Teamarbeit beitragen kann.

Max setzte sich durch

Eine Woche vor der Überfahrt nach London sitzt Max im Garten seiner Eltern. Er kann die Abreise kaum noch erwarten. Der Segeltörn beginnt in Emden, nach sechs Tagen auf hoher See wird das Schiff in der Canary Wharf anlegen, dort wo auch die MS Deutschland ankerte. Fotos der "Tenacious" zieren die Räder und den Rücken seines Rollstuhls – die Extraanfertigung war Max" Idee.

Dabei war anfangs nicht klar, ob er überhaupt mitfahren würde. "Mein Schulleiter hat mir vorgeschlagen, mich für die Überfahrt zu bewerben. Das war vor über einem Jahr", sagt Max. "Er hat mich aber auch davor gewarnt, mir zu große Hoffnungen zu machen, da es viele Interessenten gebe." Doch Max setzte sich durch - der Initiator der Aktion, der Behinderten-Sportverband NRW, wählte ihn aus, um mit 35 anderen Crewmitgliedern gemeinsam zu den Paralympics zu segeln und die Eröffnungsfeier zu besuchen.

Neben der Stammbesatzung aus England besteht die bunte Mannschaft aus Jugendlichen und Erwachsenen, Behinderten und Nicht-Behinderten; sie kommen vor allem aus Sportvereinen und Unternehmen, die die Aktion sponsern. Max fährt als Vertreter seiner Schule mit.

Arztbesuche sind ihm nicht geheuer

Auf der "Tenacious" arbeiten sie in Dreier-Teams. Max' Partner – sie nennen sich gegenseitig "Buddys" - stehen ihm während der ganzen Zeit zur Seite. Bei Vorbereitungstreffen hatten sie schon Gelegenheit, sich kennen zu lernen. Dass es keine entspannten Ferien werden, weiß er. "Die Schichten sind fest eingeteilt. Jeder muss mit anpacken. Es kann gut sein, dass man mich mitten in der Nacht weckt." Welche Aufgaben er übernehmen kann, weiß Max noch nicht genau. "Deckschrubben wird eher schwierig, da ich den Besen nicht allein halten kann", sagt Max.

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Sein Vater hat allerdings konkrete Vorstellungen. "Max kann zwar körperlich nicht sehr anpacken, aber seine Stärken liegen im Sozialen, im Zwischenmenschlichen", sagt Stephan Eilerts-Westphal. Max ist nicht umsonst Streitschlichter an seiner Schule, der Louis-Braille-Schule für Sehgeschädigte. Er musste sein ganzes Leben lang laut aussprechen, wenn er etwas brauchte oder ihm etwas nicht gefiel – und dabei diplomatisch bleiben. Auf einem Schiff mit großer Crew, noch dazu auf engstem Raum, könnte das eine wichtige Eigenschaft sein.

Die "Tenacious" ist nicht das erste Segelschiff auf dem Max mitfährt. Im vergangenen Sommer hat er bereits einen Segelkurs auf dem Bodensee absolviert. Auch in einem Sportflugzeug und Helikopter ist Max schon geflogen, er kennt jede Bahnlinie der Kölner Verkehrsbetriebe und saß auch mal auf einem Traktor. "Wenn ich die Gelegenheit bekomme, etwas Neues auszuprobieren, dann mache ich das einfach", erzählt Max. "Klar, das geht auch mal daneben. Von dem Traktor bin ich zum Beispiel schon runtergefallen." So unerschrocken Max solche Aktionen angeht; es gibt auch Dinge, die ihm nicht geheuer sind. Arztbesuche und Operationen zum Beispiel. Er hat auch keine große Lust ins Ausland zu reisen, weil er sich dort nicht gut verständigen kann.

Den Menschen vertrauen

Max hofft auch, dass ihm die Reise nach London in dieser Hinsicht mehr Sicherheit gibt. Denn Selbstständigkeit ist wichtig für Max und seine Eltern. Seit Jahren schon macht er ohne sie Urlaube und Ausflüge, lieber nutzt er die Angebote eines Vereins, der Freizeiten für Behinderte organisiert. Außerdem wohnt Max seit drei Jahren im Internat seiner Schule. Grund dafür war weniger sein Wunsch nach Freiheit, sondern vielmehr seine damalige Freundin.

Doch obwohl Max an seiner Schule gut eingebunden ist und viele Interessen pflegt – Hörbücher zum Beispiel, zuletzt "las" Max auf diese Weise die Bibel und den Koran – wünscht er sich manchmal mehr Nähe zu Nicht-Behinderten. Auch das erhofft er sich von seinem Segeltörn, schließlich sollen alle voneinander lernen. Vor allem aber will er schöne Erinnerungen auf der "Tenacious" sammeln und möglichst viel Spaß haben.

So ist Max selbstständig und zugleich immer auf die Hilfe anderer angewiesen. Dass er sich traut, auf Segelschiffen, Traktoren und Helikoptern mitzufahren, erklärt er damit, dass er den Menschen einfach vertraue. Vielleicht ist es das, was andere - ob behindert oder nicht - von ihm lernen können.