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Kein Auto weit und breit und trotzdem geduldig warten. Schlafsack und Isomatte sind gut für den Notfall, wenn man gar nicht mitgenommen wird.
Als Anhalter neue Welten erfahren
Trampen – das klingt nach den 70ern und 80ern. Nach Freiheit und Abenteuer, gewürzt mit einer Prise Gefahr. Die Anhalter von heute organisieren sich im Netz, erstellen Karten mit den besten Anhalterplätzen und veranstalten Tramprennen.
15.09.2012
evangelisch.de
Jana Hofmann

"An Weihnachten stand ich einsam und verlassen am Straßenrand. Ich war in Australien und weit und breit ist kein Auto mehr gefahren. Ich dachte schon: 'Oh Gott, jetzt bleib ich hier den ganzen Abend einsam stehen!'"

Was wie ein Albtraum klingt, wurde dann aber doch ein schönes Weihnachtsfest: Später konnte Christian bei einer Familie mitfahren. "Sie nahmen mich mit auf ihre Familienfeier und haben mich total warm aufgenommen", erinnert sich der 29-Jährige. Immer wieder wurde er von der Herzlichkeit der Menschen überrascht.

Christian musste schon als Schüler "fast zwangsläufig" trampen. "Ich habe auf dem Land gewohnt und da kam ich einfach nicht weg!" Später, mit 18, entwickelte sich daraus ein Hobby. "Das war nicht nur Beförderung, sondern einfach Spaß", erzählt der Reiseverkehrskaufmann. Als er dann immer wieder gefragt wurde, wie man das denn eigentlich so macht, entschied er sich, sein Wissen zusammenzufassen und online zustellen. 

Neue Fahrt, neues Abenteuer

Seine Homepage "Anhalterfreunde" trägt den Untertitel "Sozial. Ökonomisch. Ökologisch". Dieser Slogan macht den Reiz des Trampens deutlich: Es kostet nichts, verringert die Umweltbelastung, da mehr Menschen in einem Auto fahren, und lässt neue Kontakte entstehen.

###mehr-info### Dies ist auch Thomas Weber vom Anhalterverein "Abgefahren e. V." wichtig. "Durch das Trampen lernt man Menschen kennen, mit denen man sonst nicht in Kontakt kommen würde", sagt der 30-Jährige. Als Tramper lerne man andere Welten kennen, als Zuhörer und Gast. "Es ist egal, ob die Zuhälter sind, ob mich ein Vorstandsmitglied einer Bank mitnimmt oder ein erzkonservativer Bayer – ich kann von jedem Menschen, der mich mitnimmt, selbst etwas mitnehmen."

Thomas Weber weiß, wovon er redet, denn er trampt schon seit sechs Jahren. Fast genauso lange ist er bei "Abgefahren e.V.". Die Deutsche Autostop-Gesellschaft soll "das ganze Trampen wieder attraktiver und bekannter machen." Ungefähr 200 aktive Mitglieder gibt es in Deutschland, zusätzlich pflegt der Verein Kontakte zu anderen Clubs in Europa. Dort finden ganz unterschiedliche Menschen zusammen: Die "absoluten Hippies" mit Dreadlocks, aber auch unauffälligen Normalos. "Es gibt keinen typischen Tramper", sagt Thomas Weber. Im Club können Anhalter sich austauschen, an gemeinsamen Treffen oder Rennen teilnehmen.

Zu den "Tramp-Rennen" treffen sich die Anhalter an einem vorher ausgemachten Platz. Das Ziel wird ihnen erst am Tag des Rennens genannt – und dann geht es los. Wer als erstes am Treffpunkt ist, gewinnt. Oft trampen sie in Teams, gerade für Neulinge sei dies eine gute Möglichkeit, von den "alten Hasen" zu lernen, sagt Thomas Weber. Er hat viele Rennen für "Abgefahren e. V." organisiert.

Nicht bei jedem einsteigen

Der Verein hilft Anfängern auch, sich zu orientieren. Zum Beispiel sei es wichtig, einen gepflegten und sympathischen Eindruck zu machen. "Wenn man auf Leute zugeht und lächelt, wird man gut und erfolgreich mitgenommen", sagt Thomas Weber. Viele fingen an zu trampen, weil der Sprit so teuer sei. "Manche machen auch die Erfahrung, dass Mitfahrgelegenheiten relativ unsicher sind", erklärt der 30-Jährige.

Um gut zu trampen, gibt "Abgefahren e. V." auch Ratschläge. Denn auch wenn das Abenteuer lockt: ein Risiko bleibt immer. Thomas Weber betont, dass es schon seit den 80ern keine negativen Meldungen mehr gegen habe. "Die, die mich mitnehmen, sind fast immer nett", sagt er. Um sich zu schützen, könne man eine SMS mit dem Nummernschild an die Familie oder Freunde schicken. Außerdem müsse man darauf sich so hinstellen, dass Autos anhalten können, ohne andere zu gefährden. "Und ganz wichtig: Nicht einsteigen, wenn der Fahrer betrunken oder übermüdet ist", rät Thomas Weber. Die größte Gefahr beim Trampen sei ein Autounfall. "Über alles andere kann man sich Gedanken machen, das ist aber vernachlässigbar klein", sagt er.

Christian sieht das anders: "Wenn man bei wildfremden Leuten ins Auto steigt, lässt sich nie ganz ausschließen, dass die was Böses im Schilde führen!" Auf seiner Seite "Anhalterfreunde" warnt er auch vor den Risiken, teilweise auch, weil er schon eine brenzlige Situation erlebt hat, als er von einem älteren Mann mitgenommen wurde. "Er hat Annäherungsversuche gemacht und mich wirklich angefasst!", erzählt Christian. "Ich habe ihm dann gesagt, er soll seine Finger von mir lassen." Das habe er dann zum Glück auch gemacht, aber hätte der Fahrer Gewalt angewendet, wäre es vielleicht anders gelaufen.

Minirock und tiefer Ausschnitt werden falsch verstanden

Besonders Frauen und Mädchen fürchten solche Situationen beim Trampen, sagt Carla Schweizer. Die 23-jährige Studentin ist Gleichstellungsbeauftragte bei "Abgefahren e. V." und wird oft um Ratschläge gebeten. "Man sollte sich generell nicht zu sehr aufstylen. Ich würde nicht im Minirock und Top mit tiefem Ausschnitt am Straßenrand stehen", rät Carla Schweizer. Das werde falsch verstanden.

###mehr-links###Außerdem sei ein gesunder Menschenverstand wichtig. "Man sollte die Leute erst mal anschauen und nicht bei jedem einsteigen." Ihr sei in den drei Jahren, in denen sie schon trampt, noch nie etwas passiert. "Ich finde es nicht so wahnsinnig gefährlich – es kann theoretisch immer etwas passieren, auch wenn man alleine im Bus oder Taxi sitzt", sagt Carla Schweizer.

Christian findet: "Die beste Waffe ist der Mund." Man müsse einfach klar machen, was man nicht wolle. Durch echte Waffen dagegen könne man die Situation nur noch mehr zum Eskalieren bringen.

"Jedes Jahr noch meine 3000 Kilometer"

Bald will Christian nicht mehr trampen. Für ihn gehört das zum Erwachsenwerden: "Ab einem gewissen Alter entspricht man mit dem Trampen nicht mehr der Seriosität." Außerdem heiratet er in einem Monat seine Freundin. Gerade weil er die Gefahren beim Trampen schon erfahren hat, will er sie jetzt vermeiden. "Wenn man Verantwortung hat für einen Ehepartner, wenn man Kinder bekommen möchte, dann passt das nicht mehr, auf der Raststätte zu stehen und den Daumen rauszuhalten."

Auch Thomas Weber will sich langsam aus den verantwortungsvollen Positionen bei "Abgefahren e. V." verabschieden. Er will den jüngeren Trampern Platz machen. Eins ist aber klar: "Ich will jedes Jahr noch meine 3000 Kilometer trampen!"