Die Mehrheit der Mitglieder im Deutschen Ethikrat hat sich am Donnerstag für eine Erlaubnis religiöser Beschneidungen ausgesprochen. Die Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen hält sogar einen schnellen Kompromiss zwischen allen Mitgliedern für möglich. Dieser werde sicher Regeln für die traditionelle Praxis von Juden und Muslimen enthalten, sagte sie nach einer öffentlichen Sitzung. Als Beispiele nannte sie eine Pflicht zur Aufklärung der Eltern und zur Einwilligung beider Eltern sowie Richtlinien zur fachgerechten Anwendung.
###mehr-artikel### Der jüdische Arzt Leo Latasch, der seit diesem Jahr dem Ethikrat angehört, sagte, solche Regeln, insbesondere zur Schmerzminderung bei den Säuglingen, könne er sich vorstellen. Nach jüdischem Ritus wird Jungen am achten Tag nach der Geburt die Vorhaut entfernt. Die Beschneidung sei für Juden das höchste Rechtsgebot, betonte Latasch. Auch der muslimische Rechtsmediziner Ilhan Ilkilic argumentierte für die Praxis. Im Islam ist der Zeitpunkt der Beschneidung nicht festgelegt. Ilkilic zufolge wird sie bis zur Geschlechtsreife, üblicherweise zwischen dem achten und zehnten Lebensjahr vorgenommen.
Eindeutig gegen Beschneidung hat sich nur der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel ausgesprochen. Es sei "bizarr", wenn Religionsgemeinschaften eine Definitionsmacht darüber hätten, wann und wie sie einen Körper von Personen verletzten könnten. Gleichwohl gebe es eine "weltweit singuläre Pflicht gegenüber allen jüdischen Belangen", ergänzte er. Im Konflikt zwischen dem körperlichen Eingriff und der Verpflichtung gegenüber dem Judentum entstehe ein "rechtspolitischer Notstand".
Kompromiss: Betäubung und Eltern aufklären
Einem auf die praktischen Details gerichteten Kompromiss des Ethikrats könne auch er deswegen zustimmen, sagte Merkel. Er regte an, nur geschulte Beschneider oder Ärzte für Beschneidungen zuzulassen sowie die Anwesenheit eines Anästhesisten und eine ausführliche Elternaufklärung zur Pflicht zu machen.
Der Verfassungsrechtler Wolfram Höfling mahnte, die Diskussion um Beschneidung ernst zu nehmen. Sie sei eine Stellvertreterdebatte über die Rechte von Religionsgemeinschaften sowie Rechte von Kindern allgemein. "Es ist keine Komikerdebatte", sagte Höfling mit Verweis auf eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie hatte erklärt, Deutschland mache sich zur "Komikernation", wenn der Staat Beschneidung verbiete.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, warnte vor der Sitzung des Ethikrats vor einem "Angriff auf die jüdische Identität". Das Kölner Urteil, das die religiöse Beschneidung als Körperverletzung bewertet hatte, irritiere ihn "angesichts der Geschichte und unserer deutschen Geschichte mit dem Judentum schon sehr", sagte er dem epd.
Mehr Verständnis für andere Religionen
Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock, Mitglied des Ethikrates, appellierte, Verständnis für die "fremde Religiosität" von Judentum und Islam aufzubringen. Dafür warb auch der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, der dem Gremium ebenfalls angehört.
###mehr-links### Resigniert äußerte sich indes die Rabbinerin und Medizinerin Antje Yael Deusel. Sie glaube nach dem Beschneidungsurteil "nicht mehr so ganz an ein normales jüdisches Leben in Deutschland", sagte die Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Bamberg dem epd.
Seit dem Urteil des Landgerichts Köln, das die religiöse Beschneidung als Körperverletzung gewertet hatte, herrscht bei Juden und Muslimen Rechtsunsicherheit. Der Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Beschneidung erlaubt.