Betreuung und Pflege von demenzkranken Menschen müssen dem Deutschen Ethikrat zufolge darauf zielen, ihre Selbstständigkeit und Selbstbestimmung so weit wie möglich zu erhalten. Die Politik müsse die Voraussetzungen für die Betreuung Demenzkranker noch deutlich verbessern, heißt es in den Empfehlungen, die der Ethikrat am Dienstag in Berlin vorlegte. Sie sind Teil einer Stellungnahme des Gremiums zu "Demenz und Selbstbestimmung".
Der Ethikrat lobte die Erhöhung des Pflegegelds, die geplanten Zuschüsse für Pflege-Wohngemeinschaften oder neue Wahlmöglichkeiten bei der Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste als erste Schritte. Die Änderungen sind Teil der Pflegereform. Das sogenannte Pflegeneuausrichtungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) soll am Donnerstag in den Bundestag eingebracht werden.
Der Ethikrat mahnt aber weitere Schritte an. Dazu zählt auch eine bessere Unterstützung der pflegenden Angehörigen und mehr Geld für sie und die Demenzkranken. Pflegezeiten müssten sich bei der Rente genauso auswirken wie Kindererziehungszeiten. Bisher werden sie deutlich niedriger bewertet.
"Der Kranke, ein sozialer Betreuungsfall"
Positiv sieht der Ethikrat auch das Vorhaben der Bundesregierung, einen Nationalen Aktionsplan Demenz zu entwickeln, um die medizinische, pflegerische und soziale Versorgung einer wachsenden Zahl demenzkranker Menschen aufeinander abzustimmen. Jährlich erkranken in Deutschland zwischen 200.000 und 300.000 Menschen neu an einer Demenz. Die Alterung der Gesellschaft führt zu einem Anstieg der Demenzpatienten von 1,4 Millionen im Jahr 2020 auf mehr als zwei Millionen im Jahr 2050. Aktuell wird von 1,2 Millionen Demenzkranken ausgegangen.
Als Alternative zur gesetzlichen Betreuung - der früheren Entmündigung - nennt der Ethikrat Vorsorgevollmachten für Angehörige. Sie entscheiden dann für die Kranken, wenn diese dazu nicht mehr in der Lage sind.
In einem Minderheitenvotum wirft der Berliner Philosoph Volker Gerhardt dem Ethikrat vor, in der Stellungsnahme zentrale ethische Fragen umgangen zu haben. Die "biografische Katastrophe" der Demenz bestehe darin, dass für den Betroffenen sein selbstbestimmter Lebensweg abbreche: "Der Kranke wird zu einem sozialen Betreuungsfall", so Gerhardt.
Selbstbestimmt aus dem Leben scheiden
Angesichts dieser Dramatik hätte sich der Ethikrat dazu äußern müssen, ob Menschen das Recht haben, im Falle einer Demenz aus dem Leben zu scheiden, schreibt Gerhardt im Sondervotum. Angehörige und Ärzte müssten im Zweifel mit diesem Wunsch umgehen, etwa wenn er in einer Patientenverfügung niedergelegt sei. Der Ethikrat werde seinem Auftrag nicht gerecht, wenn er eine Stellungnahme zur Selbstbestimmung bei Demenz erarbeite, "die Selbstbestimmung vor der Demenz aber mit keinem Wort erwähnt."
Vor knapp einem Jahr hatte sich der 78-jährige Millionenerbe Gunter Sachs in der Schweiz das Leben genommen, nachdem bei ihm eine Demenz diagnostiziert worden war. Gerhardt betonte, dass er selbst "kein Verfechter des Suizids" sei. Es gebe keinen ethischen Anspruch auf Hilfe zum Suizid, weil derjenige, der dies verlange, damit zur "Zumutung" werde.