Das Kölner Landgericht hat die religiöse Beschneidung eines Jungen als Körperverletzung gewertet und damit eine heftige Debatte ausgelöst, auch der Ethikrat befasst sich mit dem Thema. Sehen Sie einen Ausweg, das Recht auf körperliche Unversehrtheit mit dem Recht auf freie Religionsausübung in Einklang zu bringen?
Schneider: Wie mit religiös begründeten Beschneidungen umzugehen ist, sollte in gesetzlichen Bestimmungen geregelt werden. Mich irritiert in der öffentlichen Debatte, dass die religiöse Erziehung nicht auch als eine Dimension des Kindeswohls wahrgenommen wird. Kinder haben ein Recht auf religiöse Identität, sie kommt ihnen zugute. Menschen entscheiden sich ja nicht irgendwann in einem intellektuellen Akt für einen bestimmten Glauben, sondern sie wachsen in diesen Glauben hinein.
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Wo verläuft die Grenze des Rechts auf religiöse Erziehung durch die Eltern?
Schneider: Sie verläuft da, wo religiöse Erziehung mit Traumatisierungen und körperlichen Schädigungen verbunden ist. Mit zwanghaften Mitteln, die die kindliche Seele verbiegen. Das ist meines Erachtens bei der Beschneidung von Jungen nicht der Fall. Die Beschneidung von Jungen ist im Judentum identitätsstiftend. Wenn ihnen die Beschneidung verwehrt wird, müssten Juden von Deutschland aus ins Ausland fahren, um dort die Beschneidungen vornehmen zu lassen. Wenn man diese Art der religiös begründeten Beschneidung hierzulande nicht mehr akzeptiert, ist das durchaus ein Angriff auf die jüdische Identität.
Ist das Kölner Urteil ein Indiz für ein Zurückdrängen von Religion in Deutschland?
Schneider: Das lässt sich an einem einzelnen Urteil nicht festmachen. Man kann die Frage der Beschneidung in der Gesellschaft ja kontrovers diskutieren. Aber eine jahrtausendealte religiöse Praxis zu kriminalisieren, irritiert mich angesichts der Geschichte und unserer deutschen Geschichte mit dem Judentum schon sehr.