Foto: epd-bild / Rolf Zöllner
Wüste der Moderne: Berliner Gropiusstadt wird 50
In China schießen Trabantenstädte aus dem Boden, in Deutschland schon längst nicht mehr. Die Berliner Gropiusstadt ist ein sozialer Brennpunkt. Aber für viele auch Heimat. Jetzt wird der 50. Geburtstag dieser einstigen Modellstadt gefeiert.
20.08.2012
epd
Jürgen Heilig

"So sieht also der Westen aus", dachten sich die Ost-Berliner, wenn sie jenseits der Mauer die Hochhäuser der Gropiusstadt erblickten. Das größte zählt 31 Stockwerke - und 228 Wohnungen. Mit 91 Metern ist kaum ein anderes Wohngebäude in Deutschland höher.

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Vor 50 Jahren legten Bauhausarchitekt Walter Gropius und der damalige Regierende Bürgermeister, Willy Brandt (SPD), im südöstlichsten Winkel West-Berlins den Grundstein für diese Trabantenstadt, gedacht für 50.000 Menschen. Bald galt sie als "Ikone der Moderne" und war beispielgebend für viele ähnliche Mega-Projekte, die das Wohnen revolutionieren sollten.

"Unwirklichkeit der Städte"

Fast zeitgleich schoss etwa in Frankfurt am Main die ursprünglich sogar auf 100.000 Bewohner angelegte und dann doch viel kleiner ausgefallene Nordweststadt in die Höhe. In West-Berlin entstanden noch zwei weitere Reißbrett-Siedlungen, das Märkische Viertel und das Falkenhagener Feld. Später folgten etwa Neuperlach in München oder Mümmelmannsberg in Hamburg. Heute leben drei Prozent der Westdeutschen in solchen Trabantenstädten, im Osten ist es allerdings jeder Fünfte. 

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"Es wurde immer gigantischer", resümiert die Chefredakteurin der Städtebau-Zeitschrift "arch+", Sabine Kraft. "Und die Architekten vergaßen die soziale Infrastruktur." Etwa so elementare Bestandteile wie Kindergärten, Schulen oder Geschäfte. Schon 1965 prägte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich das Wort von der "Unwirtlichkeit der Städte".

Mitten in der Wüste

Renate Ahnert zog da gerade in eines der neuen Häuser der Gropiusstadt: "Wir waren die ersten mitten in der Wüste". Zum Einkaufen musste sie den Kinderwagen eine halbe Stunde schieben. Die U-Bahn wurde erst ein Jahrzehnt später fertig. "Ich habe am Anfang nur geheult."

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Allerdings musste Ehemann Wolfgang nicht mehr wie zuvor jeden Samstag vier Zentner Kohle schleppen. Viele Gropiusstädter freuten sich, ihre als unsanierbar geltenden Stadtviertel verlassen und erstmals Bad und warmes Wasser in der Wohnung haben zu können.

Richtig wohnlich wurde es aber erst Anfang der 70er Jahre, erzählen die Ahnerts. Aus dem zweistöckigen Mietshaus mit dem lauschigen Garten vor ihrer Parterrewohnung sind sie bis heute nicht ausgezogen. Im Gegensatz zu anderen Trabantensiedlungen finden sich in der Gropiusstadt keineswegs nur Hochhäuser - und überraschend viel Grün. "Für viele ist das hier ein Stück Heimat", sagt auch Quartiersmanagerin Heike Thöne.

Wenn es nach dem Bauhaus-Architekten Gropius gegangen wäre, hätte es dort sogar noch viel mehr Grün gegeben - und pro Haus höchstens fünf Stockwerke. Doch nach dem Mauerbau hatte West-Berlin kaum Neubauflächen. Die Wohnungsnot war aber ebenso groß wie anderswo. 

Christiane F., Kinderarmut und Hartz IV

In der Gropiusstadt hatte die "Verdichtung" weitreichende Folgen. Den Hochhäusern zum Opfer fielen auch mehrere hufeisenförmige Bauten, die Gropius eigentlich hatte errichten wollen. Das einzige, was tatsächlich gebaut wurde, trägt heute ebenfalls seinen Namen.

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Das Gesamtergebnis nennt Architekturkritikerin Sabine Kraft "Schaschlik hoch drei" - ein eher gesichtsloses Ensemble, wie es sich in vielen Trabantenstädten findet. Die Probleme waren damit vorprogrammiert: Kaum war die Gropiusstadt 1975 fertiggestellt, wurde sie bekannt als Heimat von Christiane F., die sich am Bahnhof Zoo mit Drogen und Prostitution durchs Leben schlug.

Heute macht der soziale Brennpunkt kaum Schlagzeilen mehr mit Junkies - dafür aber mit Kinderarmut. Zwei Drittel der unter 15-Jährigen sind hiervon betroffen. Auch die Zahl der "Aufstocker", die zusätzlich zu ihrem Lohn Hartz IV beziehen, liegt mit 33 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Berliner Durchschnitt.

Die Arbeitslosigkeit hingegen ist nur unwesentlich höher. Ebenso die Kriminalitätsrate, auch wenn das gerade die vielen älteren Bewohner anders empfinden. Das ist Wasser auf die Mühlen der rechtsextremen NPD. In einigen Wahllokalen erreicht sie bis zu 14 Prozent der Stimmen. Jeder vierte Gropiusstädter ist Ausländer, jeder zweite hat einen Migrationshintergrund. Trotz Multikulti sind aber Fluktuation und Leerstand gering.

Kaum Restaurants, nur Imbissbuden

Umfragen zufolge sind die 35.000 Gropiusstädter sogar sehr zufrieden mit ihrer Wohnsituation. Allerdings lasse die "Aufenthaltsqualität" auf den Straßen und Plätzen zu wünschen übrig, bilanziert das Quartiersmanagement. Gemeint ist: Es gibt kaum Restaurants, nur Imbissbuden. Von Kinos und Theatern ganz zu schweigen. Das Leben findet hinter der Wohnungstür statt.

Wer es sich leisten kann, fährt abends nach Kreuzberg. Den anderen bleibt der Blick über Berlin und Brandenburg. "Ab dem 20. Stock" würde auch sie in der Gropiusstadt wohnen, sagt Quartiersmanagerin Thöne. Wegen des Panoramas.