Foto: Sven Brauers
Der Grünen-Politiker Belit Onay aus Hannover.
"Ich bin in der Mitte der Demokratie"
Der Grünen-Politiker Belit Onay ist am 14. März am Flughafen Hannover in eine "Racial Profiling"-Kontrolle geraten. Beamte fragten ihn unter anderem nach Kontakten zu Islamisten. Onay war völlig perplex - und schämte sich, weil andere Fluggäste die Befragung mithören konnten.
14.08.2012
evangelisch.de

Was passierte am Flughafen?

Belit Onay: Ich war auf der Rückreise von einer Spendenaktion für die Opfer des verheerenden Erdbebens in der Türkei. Ein deutscher Kollege und ich hatten Hilfsgüter in die Region gebracht. Nachdem wir in Hannover gelandet sind, haben wir uns in die Schlange der Passkontrolle eingereiht. Mit meinem deutschen Pass stand ich dann auch in der Schlange für EU-Bürger. Es war unter der Woche, so dass viele Geschäftsleute unterwegs waren. Es ging ratzfatz. Wenn man hier in Deutschland seinen Pass vorzeigt, dann ist das in der Regel eine Sache von zwei, drei Sekunden. Da wird geprüft, ob der echt ist oder nicht und ob man wirklich die Person ist, die auf dem Bild zu sehen ist. Und dann darf man eigentlich auch schon durch.

"Angeblich nur eine Routinekontrolle"

Und bei Ihnen war es dieses Mal anders?

Onay: Bei mir hat es irgendwie tierisch lang gedauert. Allein schon die Kontrolle. Bestimmt ein paar Minuten. Was mich schon gewundert hat, weil es vorher immer total schnell ging. Ich habe dann den Sicherheitsbeamten gefragt, ob alles in Ordnung sei und der sagte, dass es nur eine Routinekontrolle sei.

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Plötzlich hat er sich in seiner Kabine umgedreht, meinen Pass durchgereicht und meinte dann, dass ein Kollege sich mit mir unterhalten wolle. Dann kam ein Beamter in zivil nach vorn, stellte sich als Verfassungsschutz vor und fragte mich, ob er mir ein paar Fragen stellen dürfte. Und dann ging es los. So bin ich an diesem Tag in das Racial Profiling geraten.

Könnten Sie das kurz genauer erklären?

Onay: Ich weiß nicht, wie die auf mich gekommen sind, es kann nur das Racial Profiling, das Rassenprofil sein. Männlich, 31 Jahre, ursprünglich aus dem Nahen Osten oder aus der Türkei stammend.

Was war mit ihrem deutschen Kollegen?

Onay: Ein weiterer Verfassungsschützer hat sich mit meinem Reisebegleiter befasst und noch mal abgeglichen, ob meine Story stimmt oder nicht.

Was wurden Sie gefragt?

Onay: Ich wurde gefragt, ob ich Islamist sei oder nicht, ob ich Konvertiten bemerkt oder gesehen hätte, ob ich Kontakt zu Islamistenvereinen in der Türkei gehabt hätte oder in Moscheevereinen organisiert sei. Warum ich in die Türkei geflogen wäre. Warum ich so oft fliegen würde. Und so weiter, die ganze Palette.

"Die anderen Passagiere waren mehrheitlich biodeutsch"

Haben Sie eventuell verdächtig gewirkt?

Onay: Also ich habe in meinem Pass mehrere türkische Reisestempel, weil ich Verwandte habe, die ich besuche. Aber ich war normal gekleidet, trug weder Turban noch Pluderhose. Ganz normal Jeans, Hemd, Schuhe und eine Winterjacke. In der Schlange waren wenige Passagiere und die waren mehrheitlich biodeutsch. Ich bin weder in einem Moscheeverein noch habe ich ein Strafregister, ich hab auch keine besonders religiösen Tendenzen.

Wie haben die anderen Passagiere reagiert?

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Onay: Die Befragung wurde direkt neben dem Schalter durchgeführt, also konnte jeder mithören. Es war in Zimmerlautstärke und alle haben geschaut, was das los ist. Und ich hatte da auch noch einen leichten Bart, weil ich mich wegen des Stresses in der Türkei nicht rasiert hatte. Vielleicht bin ich paranoid aber danach hatte ich das Gefühl, dass mich die anderen Passagiere angestarrt oder meine Nähe gemieden haben. Was ich auch irgendwo verstehen kann. Nach dem Motto, wo Rauch ist, da ist auch Feuer.

Wie haben Sie sich gefühlt bei der Befragung?

Onay: Als er plötzlich so loslegte, das war schon ein komisches Gefühl. Ich habe mich ertappt gefühlt, obwohl ich nichts damit zu tun habe. Ich dachte nur noch, bloß nichts Falsches sagen, sonst stellen die Dich in eine bestimmte Ecke. Ich habe wirklich überlegt: Warst du irgendwo, wo es hätte falsch sein können? Ich war total perplex in dem Moment. Ich meine es war total abwegig –  aber als ich da so ausgefragt wurde –  hinterher habe ich mich tierisch geärgert.

"Polizeiaufgebot wie bei den Hells Angels"

Haben Sie Verständnis für solche Stichproben?

Onay: Also ich habe da überhaupt kein Verständnis. Wenn man nun meinen Fall nimmt: ich bin in der Mitte der Demokratie, ich bin im Rat der Stadt Hannover, ich bin bei den Grünen tätig. Und die stehen nicht gerade unter Verdacht, antidemokratische Tendenzen zu haben. Ich bin voll und ganz Teil der demokratischen Gesellschaft in Deutschland. Menschen wie ich werden befragt und geraten unter Generalverdacht. Und der wird dann auch noch vor der Gesamtheit der Bevölkerung zelebriert. Wie in meinem Fall, als ich vor allen Leuten befragt wurde.

Aber man hofft ja trotzdem durch solche Routinekontrollen Verdachtsmomente auszuräumen. Gerade jetzt, wo wir über die Gefahr durch Salafisten in Deutschland reden.

Onay: Erstens bin ich mir ziemlich sicher, dass man so keinen Islamisten schnappt. Wenn jemand wirklich etwas plant, dann wird derjenige nicht so auffällig mit einem Linienflugzeug hin und herfliegen. Und zweitens werden Menschen wie ich stigmatisiert. Das wird nur für die ein Erfolg, die stigmatisieren wollen. In Niedersachsen gab es verdachtsunabhängige Razzien vor Moscheen. Natürlich ohne Fahndungserfolg. Islamisten gab es da keine. Der einzige Effekt war, dass die Anwohner ein riesengroßes Polizeiaufgebot gesehen haben, wie es bestenfalls bei den Hells Angels in Hannover aufschlägt. Das ist wirklich fatal, wenn man überlegt welche gesellschaftspolitische Wirkung das langfristig hat.

"Die Logik von der ganzen Sache wäre, alle Ostdeutschen zu fragen, ob sie radikal sind"

Wie gehen Sie heute damit um?

Onay: Seit dieser Geschichte habe ich einen anderen Blick auf Polizisten. Wenn ich einen sehe, habe ich jedes Mal Sorge, dass die mich wieder befragen. Vor allem nach dieser NSU-Geschichte. Die Logik von der ganzen Sache wäre ja, dass jetzt alle Ostdeutschen, die in die alten Bundesländer kommen, sich ebenso befragen lassen müssten. Ob sie denn radikal sind, ob sie in Chemnitz oder Jena waren, ob sie in irgendeiner Vereinigung sind, ob sie bei irgendwelchen Demos waren, warum sie jetzt gerade nach Westdeutschland reisen, was sie da machen oder was sie da gemacht haben. Aber auf diesen Gedanken kommt ja auch kein Mensch. Also warum dann bei mir? Nur weil ich türkische Wurzeln habe? Da erschließt sich mir die Logik überhaupt nicht.