Wie wird man eigentlich ein Mohel, ein Beschneider nach jüdischer Tradition?
Rabbiner Reuven Unger: Man lernt das von einem anderen Mohel, den man für eine längere Zeit begleitet und beobachtet. Und wenn man sich zutraut, eine Beschneidung zu machen, macht man sie. Natürlich kommt es auch auf das Talent des Schülers und des Lehrers an.
Und wie übt der Schüler?
Unger: Der Schüler übt das richtige Anfassen. Es gibt so eine Art Schild, die Schneidevorrichtung. Wenn wir dann wissen, dass er den Penis am richtigen Teil anfasst und das Schild richtig setzt, dann zeigen wir ihm, wie er schneiden muss. Also wenn er diese zwei Sachen richtig macht, dann ist er schon, wie man sagt, "auf der Fährt". Der eigentliche Schnitt ist keine große Sache. Das könnte eigentlich jeder machen.
"Der Richter hat vor dem Urteil nicht seine Hausaufgaben gemacht"
Haben Sie denn Beschneidungs-Lehrlinge?
Unger: Ein wichtiges Kriterium ist die Anzahl der Beschneidungen, die der Mohel-Lehrer hat. Ich habe durchschnittlich alle zwei Wochen eine Beschneidung. Von mir kann man also so viel nicht lernen, beziehungsweise es würde sehr lange dauern. Ein guter Mohel in Israel hat fünf oder sechs Beschneidungen am Tag. Bei ihm kann man gut lernen.
Mohel Reuven Unger. Foto: privat
Und die gesamte Beschneidung dauert wie lange?
Unger: 15 Minuten dauert es mit dem Händewaschen, mit den ganzen Vorbereitungen. Die Beschneidung selbst dauert eine oder zwei Minuten. Maximal. Mit dem Anlegen des Verbands zwei Minuten. Das soll und darf nicht länger dauern. Wenn sie das bei jemandem sehen, dann ist der wahrscheinlich nicht ausgebildet.
Der Säugling muss dabei doch Schmerzen empfinden.
Unger: Ich kann Ihnen nicht versichern, dass es nicht weh tut, wenn ich schneide. Aber in dem Moment stecke ich dem Säugling einen in süßen Wein getränkten Wattebausch in den Mund. Den lutscht er und schon ist er abgelenkt und ruhig. Nach der Beschneidung bekommt er etwas zu essen. Die Beschneidung geschieht auf leeren Magen. Anschließend schläft er sich ruhig. Dass er überhaupt nichts merkt, kann man nicht sagen. Aber es ist nicht so schlimm. Ich weiß nur eines, wenn ein Kind wirklich Schmerzen hat, dann kann man es nicht beruhigen.
Was sagen Sie zu dem Kölner Urteil?
Unger: Ich denke dieser Richter ist auf einen sehr hohen Baum geklettert und nun kann er nicht mehr so leicht hinunter. Der Richter hat vor dem Urteil nicht seine Hausaufgaben gemacht. Er sagt: "Ich verbiete Ihnen doch nicht die Beschneidung, ich sage nur, warten sie bis das Kind alt genug ist, um es zu fragen." Das Problem ist nur, im Judentum ist die Beschneidung so streng geregelt, man darf sie nicht um einen Tag verschieben, außer das Kind ist krank.
"In dieser Sache können wir nicht nachgeben"
Eine knappe Mehrheit in Deutschland ist gegen das Ritual der Beschneidung.
Unger: Aber das sind Menschen, die haben überhaupt nichts damit zu tun. Was interessiert die das? Es ist vielleicht ein altes Ritual, genau wie die Kopfbedeckung. Schöner ist, man geht ohne Kopfbedeckung. Aber es ist unser Ritus und unser Ritus schreibt uns vor, was mir machen sollen. Es gibt Dinge, da muss man vielleicht nicht hundertprozentig sein. Aber in dieser Sache können wir nicht nachgeben.
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Die Beschneidung muss am 8. Tag passieren. Das steht in der Genesis, ich zeige Ihnen die Stelle in der Torah. Gott hat zu Abraham gesagt: "Du sollst makellos sein." Wenn ein Mensch nicht beschnitten ist, dann ist er nicht ganz. Wenn er beschnitten ist, dann wird er ganz.
Was würde passieren, wenn es am 9. Tag ist?
Unger: Was wird passieren, passieren wird gar nichts. Es ist ein Verstoß gegen die Regel. Wenn wir eine Vorschrift haben, dass es am 8. Tag geschehen muss und wir das nicht machen, dann sind wir nicht unserer Pflicht nachgekommen. Okay, was passiert Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die das 80, 90 Jahre lang überhaupt nicht gemacht haben, weil es in manchen Regionen verboten war? Viele kommen jetzt und holen das nach.
Muss ein Mohel gleichzeitig auch ein Rabbiner sein?
Unger: Nein. Ich bin zwar Rabbiner im Alltag, aber es ist nicht unbedingt notwendig. Aber es ist ein religiöser Akt par excellence, deshalb darf er auch nur von einem Juden gemacht werden. Wenn ein Nichtjude das macht, müsste man das dann später korrigieren.
"Früher waren die Leute nur beim Mohel"
Wie viele Mohels gibt es denn in Deutschland?
Unger: Es gibt in Deutschland einen offiziellen Mohel und das bin ich. Ich bin der einzige, der eine Lizenz hat, eine offizielle Erlaubnis aus Israel. In Jerusalem gibt es ein Gremium bestehend aus Vertretern des Oberrabbinats, des Gesundheitsministeriums und des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten. Sie vergeben die Lizenzen und überwachen Beschneidungen.
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Was unterscheidet Sie von einem Mediziner?
Unger: Noch nicht allzu lange her, da waren die Leute nur beim Mohel und nicht bei Ärzten und in Krankenhäusern. Als ich vor 27 Jahren nach Deutschland kam, habe ich mehrere Beschneidungen in der Uniklinik gemacht. Da war ein Professor, der sagte: "Sie machen das viel besser als wir". Und das, obwohl ich kein Arzt bin. Wenn Mütter nachfragten, sagte er immer: "Du brauchst keine Bedenken haben, das macht der Unger." Ich mache eben nichts anderes. Ich mache nur Beschneidungen und habe eine solche Routine. Ich kann das einfach. Vielleicht auch besser als die Ärzte.
Fühlen Sie sich benachteiligt?
Unger: In Köln, das war ja auch ein Arzt. Und da ist etwas schief gelaufen. Aber wenn bei einem Mohel etwas passiert, dann wird jeder sagen: "Er ist kein Arzt." Wir sind gut ausgebildet, wir machen genau das was wir können.
"Sie machen alles, damit ihr Kind beschnitten wird"
Sind die Juden in Deutschland jetzt gerade verunsichert?
Unger: Nein, das kann ich nicht feststellen.
Ist die Beschneidung nicht nur ein religiöses, sondern auch ein kulturelles Ritual?
Unger: Es gibt viele Menschen, die halten die Gebote nicht ein, die sind nicht fromm, die sind nicht orthodox. Aber wenn es zur Beschneidung kommt, dann machen sie alles, damit ihr Kind beschnitten wird.
Aber es gibt ja auch säkulare Juden, die beschnitten sind, und da würde ich denken, dass das eben nicht religiös motiviert ist sondern einfach aufgrund einer traditionellen Verbundenheit zur eigenen Geschichte.
Unger: Am Shabbat fährt ja auch ein Säkularer kein Auto. Es ist ein rein religiöser Akt.
Hätte ein nicht beschnittener Junge in Israel oder auch hier soziale Nachteile?
Unger: Es kann sein, aber das ist nicht der Grund, warum man das macht. Der Grund, warum die Mehrheit das macht, ist ein religiöser. Nur ein kleiner Prozentsatz macht es aus kulturellen oder gesundheitlichen Gründen.