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Vor 50 Jahren starb Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse
Schriftsteller voller seelischer Leiden: In seiner Geburtsstadt Calw im Schwarzwald hielt man Hermann Hesse zunächst für einen Tagedieb, seine Werke für "unsittlich". Seine pietistische Umgebung setzte ihn moralisch unter Druck, öffnete ihm aber gleichzeitig den Blick für die weite Welt.
09.08.2012
epd
Marcus Mockler

In Hermann Hesses letzten Lebensjahren fielen sie über ihn her. Der Literaturkritiker Karlheinz Deschner bescheinigte dem Schriftsteller 1957, "viele völlig niveaulose Verse veröffentlicht" und damit "literarische Barbarei" betrieben zu haben. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" belächelte ihn ein Jahr später in einer Titelgeschichte wegen seiner "Kleingärtnerfreuden" vor seinem Häuschen im Tessin. Dabei war es Hesse (1877-1962), der ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1946 den Literaturnobelpreis bekam und damit dem Ansehen Deutschlands nach der Nazi-Diktatur neuen Auftrieb verlieh. Vor 50 Jahren, am 9. August 1962, starb der Schriftsteller in der Schweiz.

Der tragische Schülerroman "Unterm Rad" und "Steppenwolf" - die Geschichte eines einsamen Künstler-Ichs - werden noch heute an vielen Schulen im Deutschunterricht gelesen. Das zweibändige "Glasperlenspiel" (1943) gilt bis heute als schwer zu interpretieren. Hesses Leitthema war die Auseinandersetzung eines Jüngeren mit Autoritäten - älteren Freunden, Pädagogen, Meistern, dem Vater, Gott. An der Entwicklung des Menschen, an seiner Reifung und seinem Widerstreit zu vorgegebenen Denk- und Moralsystemen arbeitete sich der Literat Zeit seines Lebens ab.

Pietistische Enge

Hesses Familie streute eine brisante Mischung in das Herz des Kindes. Einerseits war der kleine Hermann von einer großen geistigen Weite umgeben: der Großvater, Hermann Gundert, hatte als protestantischer Missionar in Indien gedient und wird dort für seine Sprachforschung und Bibelübersetzung bis heute verehrt. Auch die Eltern hatten in Indien missioniert, mussten dann aber aus gesundheitlichen Gründen zurückkehren. Die Erzählungen am Essenstisch von dieser anderen Welt waren ebenso faszinierend wie Großvaters Bibliothek voller Weltliteratur. Die Vorfahren inspirierten Hesse später zu einer Indienreise, die ihn zwar enttäuschte, aus der aber mit Jahren Abstand sein erfolgreicher Roman "Siddharta" erwuchs.

Andererseits waren Familie und auch das Schwarzwälder Geburtsstädtchen Calw von pietistischer Enge geprägt - mit hohen moralischen Ansprüchen und dem stetigen Zwang zur Selbstbeobachtung und Vervollkommnung. Der junge Missionarssohn litt zutiefst an seiner menschlichen Begrenztheit im Angesicht von Geist und Kultur.

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"Dass man stiehlt und onaniert und dass das nicht passt zu den edlen Stimmungen, mit denen man Nietzsche liest und selber dichtet, das empfand ich als Jüngling von 21 Jahren oft stark", schreibt er im Rückblick. Calw benannte erst 1967 eine Schule nach Hesse - vorhergehende Anträge waren gescheitert, weil man dort seine Literatur für "unsittlich" und ihn für einen "Tagedieb "und "unbotmäßigen Schüler" gehalten hatte.

An den Ansprüchen seiner Familie und seiner inneren Unausgeglichenheit wäre Hesse fast gescheitert. Einen Suizidversuch hat es offenbar gegeben, dazu eine Flucht aus dem theologischen Seminar in Maulbronn, auch ein Aufenthalt in der damaligen Nervenheilanstalt in Stetten im Remstal.

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne"

Seine seelischen Probleme setzten sich nach seinem Durchbruch als Schriftsteller mit dem Roman "Peter Camenzind" 1904 in seinen Frauenbeziehungen fort. Die Ehe mit der Fotografin Maria Bernoulli, mit der er drei Söhne hatte, ging in die Brüche. Ebenso das eheliche Intermezzo mit Ruth Wenger, mit der er nur wenige Wochen unter einem Dach wohnte. Erst die dritte Ehe mit der Kunsthistorikerin Ninon Dolbin erwies sich als haltbar.

Als Poet erreichte Hesse nie den Publikumserfolg, den er mit seinen Romanen und Erzählungen hatte. Ausnahme ist das Gedicht "Stufen", das bis heute als eines der beliebtesten im deutschsprachigen Raum gilt. Die berühmte Zeile "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" darf bei keiner Einsetzungsfeier für Menschen in neuen Ämtern fehlen. Nach dem Literaturnobelpreis 1946 veröffentlichte Hesse keinen Roman mehr. Im Alter nahm das Briefeschreiben immer mehr Raum ein, 35.000 soll er insgesamt verfasst haben. Auch stammen rund 3.000 Buchrezensionen aus seiner Feder.

Hesse starb im Alter von 85 Jahren in Montagnola am Luganersee. Nach Angaben seines Arztes hatte er einen aufgeschlagenen Band der "Bekenntnisse" in der Hand, in dem Kirchenvater Augustinus die Geschichte seiner Bekehrung zum Christentum erzählt. Die Frage nach Gott als dem Meister, dem Vater aller Dinge, ließ ihn wohl auch in seiner Sterbestunde nicht los.