Foto: dpa/Nadeem Khawer
Unterstützer der islamischen, politischen Partei Jamat-e-Islami zeigen in Hyderabad (Pakistan) Bilder der Opfer in Birma. Das pakistanische Militär hatte gedroht Birma anzugreifen, wegen der anhaltenden Verfolgung der ethnischen Minderheit Rohingyar.
Hetze gegen ein staatenloses Volk: die muslimischen Rohingya
Die Rohingya sind ein Volk wie die Roma in Europa. Kein Land Südostasiens will sie haben, keiner will ihnen helfen. Die ehtnische Minderheit wird in Bangladesch, Thailand und Birma schikaniert. In Birma - offiziell Myanmar - leben die meisten Rohingyas.

"Wir haben ihre Häuser niedergebrannt und dann die Rohingya unsere. Aber in einigen Gegenden, wo ihre Häuser neben Häusern von Arakanesen lagen, haben wir kein Feuer gelegt. Das wäre ja dumm gewesen", beschreibt ein 45 Jahre alter Arakanese aus dem Dorf Bhumi die Spirale der Gewalt im birmanischen Arakan. Ein 28-jähriger Mann von der ethnischen Gruppe der Rohingya berichtet: "Die Lon Thein (Anm.: paramilitärische Einheiten) rückten an, angeblich zu unserem Schutz. Als aber die Arakanesen unsere Häuser in Brand setzten, haben sie uns daran gehindert die Flammen zu löschen. Zuerst haben sie in die Luft geschossen, dann auf Menschen aus meinem Dorf. Mindestens 50 Menschen wurden getötet."

Diese und andere Aussagen von Augenzeugen des zweiwöchigen blutigen Konflikts zwischen buddhistischen Arakanesen und muslimischen Rohingya, der 78 Menschen das Leben kostete, hat Human Rights Watch (HRW) für eine Dokumentation der Ereignisse zusammengetragen. Die Welle der Gewalt war Anfang Juni über Arakan am Golf von Bengalen hereingebrochen. Auslöser war Ende Mai die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Arakanesin durch drei Rohingya.

"Bewahrung der nationalen Einheit" durch Militärputsch

Der Vorfall zeigt, wie angespannt die Beziehungen zwischen den buddhistischen Arakanesen und muslimischen Rohingya sind. Obwohl die Polizei umgehend die Täter verhaften konnte, begann sich mit der Ermordung von zehn Rohingya durch einen aufgebrachten buddhistischen Mob die Spirale der Rache zu drehen. In dem Report "Die Regierung hätte das verhindern können: Sektiererische Gewalt und daraus folgende Willkür in Birmas Staat Arakan" wirft HRW Militär, Polizei und Lon Thein vor, in Arakan am Golf von Bengalen aktiv und einseitig auf der Seite der Buddhisten an der Gewaltorgie gegen die Muslime mitgemischt zu haben.

Menschenrechtsverletzungen in Reformbirma betreffen vor allem die ethnischen Völker. Die Gewalt und Verfolgung ethnischer Minderheiten, betonte der UN-Menschenrechtsbeauftragte Tomás Ojea Quintana am vergangenen Samstag am Ende seines einwöchigen Birmabesuchs, stellten ein "schweres Problem" für Birmas Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft dar.

###mehr-links###Die entscheidende Frage für die Zukunft der Reformen in Birma lautet: wird eine Integration der ethnischen Völker gelingen? Die Vision eines föderalen Birma mit einer weitgehenden Autonomie der ethnischen Völker von Birmas Unabhängigkeitsheld Aung San (dem 1947 ermordeten Vater der heutigen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi) war nationalistisch gesinnten Offizieren ein Gräuel. Zur Bewahrung der "nationalen Einheit" putschte sich die Armee 1992 an die Macht und setzt seitdem auf eine militärische Lösung der ethnischen Probleme. Die Folge sind bis heute – wie aktuell in Kachin im Norden Birmas – Kriege zwischen der Armee und den Milizen der ethnischen Völker.

Hetze erinnert an antijüdische Zeiten in Deutschland

Die inzwischen nicht mehr ganz so neue zivile Regierung Birmas von Ex-General Thein Sein setzt erklärtermaßen auf politische Verhandlungen mit den Karen, den Shan und anderen ethnischen Minderheiten. Politische Abkommen sind inzwischen zumindest denkbar, wie die in einem ersten Schritt vereinbarten Waffenstillstandsabkommen hoffen lassen.

Einzige Ausnahme: die muslimischen Rohingya in Arakan im Westen Birmas an der Grenze zu Bangladesch. Die Rohingya sind verachtet und verhasst. Selbst weite Teile des demokratisch gesinnten Birma beteiligten sich während des blutigen Konflikts im Juni an der Hetze gegen schätzungsweise 800.000 Rohingya. In Blogs und Medien wurde in einem schrillen Ton Stimmung gegen die Rohingya gemacht, der an die düstersten Zeiten der antijüdischen Hetze in Deutschland erinnert. "Selbst ein Berater des Präsidenten verbreitete auf Facebook Hetze gegen die Rohingya", erinnert sich Phil Robertson, Birmaexperte von HRW in Bangkok.

Mitglieder der Widerstandsbewegung "Studenten der 88er Generation", Urgestein der demokratischen Opposition, beteiligten sich an der Hetzkampagne. Die Rohingya seien "keine birmanische ethnische Gruppe" verbreiteten sie ganz im Stil der Anti-Rohingya-Propaganda ihrer früheren Nemesis, der Militärjunta.

Soldaten setzten Bootsflüchtlinge auf offenem Meer aus

Wer sind die Rohingya? Die Antwort auf diese Frage hängt ganz davon ab, wen man fragt. In Birma gelten sie als illegale Einwanderer aus Bangladesch. Anfang der 1980er Jahre wurden ihnen per Gesetz die Staatsbürgerschaft Birmas genommen. Seitdem sind die Rohingya vogelfrei, von staatlichen Sozialleistungen und von (höherer) Bildung ausgeschlossen. Pässe werden ihnen verweigert und selbst für Reisen innerhalb Birmas müssen sie Genehmigungen beantragen. Die Rohingya selbst sehen sich als ein seit Jahrhunderten in Arakan lebendes Volk, das noch zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft die Bevölkerungsmehrheit in Arakan stellte, was sich aber inzwischen durch eine gezielte Zuwanderung von buddhistischen Birmanen in sein Gegenteil verkehrt hat.

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Laut der Vereinten Nationen gehören die Rohingya zu den am stärksten verfolgten ethnischen Minderheiten der Welt. Selbst bei ihren muslimischen Vettern und Cousinen im mehrheitlich islamischen Bangladesch sind sie verhasst. Als Rohingya sich vor der Gewalt im Juni über den Golf von Bengalen in Sicherheit bringen wollten, wurden ihre Boote von der Luftwaffe Bangladeschs beschossen. Ende vergangener Woche wies Bangladesch drei internationale Hilfsorganisationen an, ihre "illegale" humanitäre Hilfe in den provisorischen Flüchtlingslagern im Distrikt Cox’s Bazaar einzustellen, in denen seit über zwei Jahrzehnten schätzungsweise 250.000 Rohingyas leben. Es wird geschätzt, dass seit der Unabhängigkeit Birmas etwa eine bis anderthalb Millionen Rohingya ins Exil gingen.

Rohingya-Flüchtlinge sind auch in den Mitgliedsstaaten des südostasiatischen Staatenbunds ASEAN (dem Birma angehört) nicht willkommen. 2009 waren Rohingya-Bootsflüchtlinge bei ihrer Ankunft in Thailand erst von thailändischen Soldaten geschlagen und gefesselt worden. Dann entfernten die Marinesoldaten die Motoren aus den Booten, schleppten sie aufs offene Meer, kappten die Leinen und überließen die Rohingya ohne Wasser und Lebensmittel ihrem Schicksal.

Kein Halt vor dem Tod: Missachtung islamischer Begräbnissitten

Am vergangenen Sonntag, nur einen Tag nach dem Besuch von Quintana in Arakan, ging die Gewalt weiter. Zweihundert Häuser von Rohingya gingen in Flammen auf. Unterdessen steigt der internationale Druck auf Birma die, wie Quintana es nennt, "systematische Diskriminierung"der Rohingya zu beenden. Birmas Regierung kann in der Rohingya-Frage aber nur verlieren. Ignoriert Thein Sein die lauter werdende Kritik westlicher Länder, der Vereinen Nation und vor allem  islamischer Staaten wie Indonesien verliert seine Reformpolitik an Glaubwürdigkeit. Gibt der Präsindet aber dem Druck nach, kann es ihm angesichts des tief sitzenden Hasses gegen die Rohingya innenpolitisch schaden und die Reformpolitik gefährden. Birma ist in der Rohingya-Frage zu einem Gefangenen seiner eigenen, jahrzehntelangen Propaganda geworden.

Ein 65 Jahre alter Rohingya aus Sittwe ist entsetzt über die Grausamkeiten der birmanischen Sicherheitskräfte, die selbst vor den Toten nicht Halt machte. "Die Behörden haben uns nicht die Leichname unserer Angehörigen zurückgegeben. Sie haben sie in ihrem (buddhistischen) Tempel verbrannt", erzählt der Mann mit Verbitterung über die Missachtung der islamischen Begräbnissitten, die keine Kremierung zulassen. Dann fährt er fort: "Meine beiden Schwäger wurden von Arakanesen vor meinen Augen umgebracht. Die Polizei schaute zu und hat nichts unternommen."