Foto: epd-bild / Rolf K. Wegst
Studenten des Archäologischen Seminars der Philipps-Universität in Marburg bei einem Tauchgang in der Lahn.
Tauchen nach der Vergangenheit: "Nautische Archäologie"
An Schiffswracks können Forscher eine Menge ablesen. Doch dafür müssen sie erst einmal abtauchen, bis auf den Meeresboden. In Marburg wird das Tauchen im Fluss Lahn geübt, geforscht wird dann vor der Küste Saudi-Arabiens.
25.08.2012
epd
Stefanie Walter

Wie ein typischer deutscher Professor sieht er nicht aus: Pferdeschwanz, buntes Hemd, weite Hose. Was der Amerikaner Ralph K. Pedersen an der Marburger Universität macht, ist einzigartig in Deutschland: Er lehrt Nautische Archäologie, die sich mit der antiken und mittelalterlichen Seefahrt beschäftigt. Und dazu gehören regelmäßige Tauchgänge. Denn die Forschungsobjekte sind Schiffswracks, tief unten auf dem Meeresboden.

Seit zwei Jahren ist Pedersen Gastdozent in Marburg, vor wenigen Monaten startete er vor der Küste Saudi-Arabiens ein neues Projekt. Bei ersten Untersuchungen stießen die Wissenschaftler auf ein Wrack, "von dem wir glauben, dass es aus der römischen Zeit stammt", sagt Pedersen, der einer der wenigen Spezialisten für Unterwasser- und Schifffahrtsarchäologie auf der Welt ist.

Schiffe helfen, antikes Leben zu verstehen

An den antiken Wracks, die in den Tiefen der Meere, Seen und Flüsse ruhen, kann man eine Menge ablesen, wie Pedersen erklärt: "Wer waren die Leute, warum bauten sie so ein Schiff, wie haben sie es gebaut und wie konnten sie das mit den damaligen Mitteln schaffen?"

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Das wohl berühmteste Wrack der Antike wurde in den 80er Jahren vor der Küste der Türkei gefunden, das Schiff ging im Jahr 1.320 vor Christus unter. Damals herrschte in Ägypten der Pharao Tutanchamun. "Es war ein königliches Schiff", sagt Pedersen. Das Schiff transportierte Gold, Glas und tonnenweise Kupfer - aus dem Bronze hergestellt wird, etwa für Waffen. "Schiffe wurden schon früh genutzt, um Kultur und Ideen zu transportieren." Mit dem Schiffbau begann auch der internationale Handel.

Pedersen hat schon Tausende Stunden im Wasser verbrachte, ist vor den amerikanischen Küsten, in Bahrain, Indien und Eritrea getaucht. Direkt am Archäologischen Seminar in Marburg vorbei fließt nur die Lahn - doch auch hier tauchte Pedersen mit einigen Studenten und fand immerhin Keramiken aus dem 19. Jahrhundert sowie die Reste einer mittelalterlichen Brücke.

Schiffe als die Flugzeuge von damals

Die Marburger Archäologen beschäftigen sich allerdings vor allem mit dem Mittelmeer. Das war in römischer Zeit wichtigster Verkehrsweg, erklärt der Archäologe Winfried Held. "Das Römische Reich gäbe es nicht ohne Schiffe", ergänzt Pedersen. Nur so konnten sie ihre weit verteilten Truppen unterhalten. "Die Römer bauten spezielle Schiffe für Getreide, Wein oder Pferde."

Mit dem Schiff zu reisen war in römischer Zeit vermutlich so alltäglich wie heute das Fliegen - allerdings wesentlich riskanter. Deshalb dürften am Meeresgrund noch Tausende Wracks lagern. "Das Mittelmeer hat seine Tücken", weiß der Segler Held, der von "abrupten Wetterumschwüngen" in der Region erzählt. Werden die Schiffe schnell nach dem Sinken von Schlamm bedeckt, überdauern sie auch Jahrhunderte.

Reichtümer sind unbedeutend für die Wissenschaft

Die größte Gefahr für die Nautische Archäologie geht nach Worten der Wissenschaftler von Sporttauchern aus. In der Hoffnung auf wertvolle Schätze zerstörten sie kulturelles Erbe. Gold, Schmuck, Edelsteine: So etwas interessiert Pedersen nicht: "An Goldbarren können wir nichts ablesen."

Dass Pedersen ausgerechnet in Marburg lehrt, ist einem Zufall zu verdanken: Er und Held lernten sich kennen, als beide Gastprofessoren in Beirut waren. "Wir haben die Chance gesehen, die Nautische Archäologie nach Deutschland zu holen", erinnert sich Held.

Die besitzt eine unglückliche Vorgeschichte: Zu den Anfangszeiten der Unterwasserarchäologie entwickelten sich parallel zwei Gruppen in Deutschland und den USA. Bei einem Tauchunfall kam 1969 der deutsche Pionier der Unterwasserarchäologie, Helmut Schläger, ums Leben. Das Deutsche Archäologische Institut stellte daraufhin die Forschungen ein, die US-Amerikaner entwickelten die Wissenschaft weiter und sind heute weltweit führend.

Mehr Sicherheit mit genauer Planung

Pedersen hält das Risiko des Tauchens heutzutage für überschaubar. Die Tauchgänge seien minuziös geplant. Darüber hinaus arbeiten die Forscher mit modernen Methoden wie dem "Side Scan Sonar", das Objekte auf dem Meeresboden ortet. Trotzdem: Die Arbeit ist erheblich aufwendiger als bei archäologischen Grabungen an Land.

Pedersen bleibt voraussichtlich bis März 2013. Noch suchen die Archäologen nach einer weiteren Finanzierung der Arbeit. Gibt es keine, endet die universitäre Nautische Archäologie in Deutschland wieder.