Die Gewalt in Syrien eskaliert. 17.000 Menschen sind ihr bisher nach neuesten Schätzungen zum Opfer gefallen. Die Vereinten Nationen rechnen mit Hunderttausenden von Flüchtlingen in die Nachbarländer. Es gibt zahlreiche Hinweise auf Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit: zunächst auf Seiten der Regierung und der ihr zuarbeitenden Milizen, jetzt zunehmend auch auf Seiten der Rebellen.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind neben Völkermord und ethnischen Säuberungen die Tatbestände, bei denen die internationale Gemeinschaft gehalten ist, zum Schutz Unbeteiligter einzugreifen. Mit nicht-militärischen Mitteln hat sie das bereits versucht. Aber der Kofi Annan-Plan zur Beendigung der Gewalt und zur Vorbereitung einer Übergangslösung ist schneller gescheitert als er entworfen wurde. Bleibt nur noch die Anwendung von Gewalt?
Eine Gipfelkonferenz zur Reform der Vereinten Nationen hat im Jahre 2005 die sogenannte Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) beschlossen. Sie besagt, dass jede Regierung die Verantwortung für den Schutz ihrer Bevölkerung vor den vier oben genannten Tatbeständen trägt. Kann oder will sie das nicht tun, geht die Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft über.
Libyen sollte nicht als Beispiel dienen
Die "internationale Gemeinschaft" – das ist der UN-Sicherheitsrat. Der ist aber in Sachen Syrien, anders als im Falle Libyens, blockiert. Russland und China lassen nicht einmal eine Verurteilung des Assad-Regimes zu, weil sie fürchten, dass dies nach libyschem Muster der erste Schritt zu einer militärischen Intervention wäre, die den Rebellen zum Sieg verhilft.
Nicht nur die meisten Mitgliedstaaten der Arabischen Liga, sondern auch die westlichen Demokratien kritisieren die Blockade des Sicherheitsrates heftig. Ist diese Kritik wirklich ernst gemeint? Was würde geschehen, wenn es kein Veto gäbe? Wäre es überhaupt möglich, militärisch so in den Konflikt einzugreifen, dass die Zivilbevölkerung wirkungsvoll geschützt würde?
Die bisherigen Erfahrungen mit militärischen Eingriffen in innerstaatliche Konflikte sind gemischt. Das gilt selbst für Libyen. Zwar gelang es dort, im Zusammenwirken von einheimischer Opposition und intervenierenden Staaten das Regime zu beseitigen, aber eine der Folgen dieses Erfolgs ist die Destabilisierung des gesamten Sahelraumes mit der Konsequenz, dass dort neue Konfliktherde entstehen, in die eingegriffen werden müsste. Wie es in Libyen selbst weitergeht, ist ebenfalls offen.
Die Risiken einer Intervention sind fast gar nicht kalkulierbar
Im Falle Syriens sind die politischen, sozialen, topographischen und militärischen Rahmenbedingen sehr viel komplizierter. Das heißt nicht unbedingt, dass eine Intervention unmöglich wäre. Sie wäre aber auch für die intervenierenden Staaten mit hohen politischen und militärischen Kosten verbunden (das gilt allein schon für den Versuch, die syrischen Chemiewaffen unter Kontrolle zu bringen).
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Wären die westlichen Staaten (eventuell im Verbund mit Staaten der arabischen Liga) bereit, diese Kosten zu tragen? Sollte eine auf die Eigeninteressen bezogene Kosten-Kalkulation zugunsten des Schutzes von Menschen vor Gewalt zurückgestellt werden?
Die Frage ließe sich erst beantworten, wenn die Risiken einer Intervention für die betroffenen Menschen selbst besser kalkulierbar wären als das der Fall ist. Zu berücksichtigen wäre außerdem, inwieweit ein militärisches Eingreifen von außen überhaupt von den Betroffenen gewollt wird. Die Antwort ist nach allen vorliegenden Berichten vollkommen offen.
Noch sehr viel komplizierter wäre die Sachlage, sollten sich einzelne Staaten oder Staatengruppen entscheiden, ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat einzugreifen. Damit würden die Kosten eines Eingriffs weiter steigern – und zwar auch mit Blick auf die Weiterentwicklung der globalen Ordnung und die zukünftige Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft.
Wir brauchen Standards für die Beilegung von Konflikten
Die Welt befindet sich im Umbruch. Die bisher vorherrschenden weltpolitischen Kräfteverhältnisse verschieben sich. Soll das nicht zu neuen internationalen Kriegsgefahren führen, kommt es darauf an, die Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft zu stärken. Dazu gehört der Ausbau von Standards und Verfahrensweisen für die kollektive Bearbeitung von Konflikten. Eine solche Entwicklung würde durch einen erneuten Bruch des Gewaltverbots, wie es die UN-Charta (PDF) unzweideutig formuliert, sicherlich nicht gefördert. Schon die eigenmächtige Ausweitung des UN-Mandats im Falle Libyens durch die intervenierenden Nato-Staaten hat in dieser Hinsicht eher Misstrauen geschürt als die internationale Kooperationsbereitschaft gestärkt.
Also muss man die syrische Bevölkerung sich selbst überlassen? Unter den gegebenen Verhältnissen kann man zum Schutz der unbeteiligten Bevölkerung tatsächlich nur die humanitäre Hilfe (einschließlich der Hilfe für die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten) ausbauen. Aber natürlich beschränken sich die externen Aktivitäten nicht auf die humanitäre Hilfe.
Angesichts der weitgehenden Blockade diplomatischer Aktivitäten gewinnen Formen der indirekten militärischen Intervention an Bedeutung. Dazu gehören zum Beispiel Waffenlieferungen an die Aufständischen (durch arabische Staaten) und die Ausbildung von Ausständischen durch die CIA in der Türkei. Solche Formen der indirekten Intervention könnte man damit zu begründen versuchen, dass sie letztlich zur Verkürzung der Auseinandersetzungen beitragen. Das ist aber keineswegs sicher. Sicher ist nur, dass sie die Eskalation der Gewalt vorantreiben.