Foto: Lilith Becker
So nah und doch so fern: Leben im Hochhaus
Der Taubenkot und die Gesellschaft von Drogendealern stören Patricia sehr. Doch sie hat keine Wahl. Die Hochhauswohnung ist für sie und ihre Familie die günstigste Lösung.
10.08.2012
evangelisch.de

Patricia spuckt gerne auf die Tauben. Damit rächt sie sich ein bisschen an ihnen, denn das ganze Jahr über hat sie viel Arbeit mit ihrem Kot. Der ganze Balkon ist ständig damit voll, unter Patricias Liegestuhl haben die Tauben versucht ein Nest zu bauen. Kein Baum lockt die Vögel hier im 14. Stockwerk von ihrer Brüstung weg.

"Das einzig Schöne an diesem Haus ist der Blick nach draußen", sagt Patricia. Seit neun Jahren wohnt sie jetzt schon mit ihrem Mann und ihren zwei Mädchen in diesem Hochhaus im hessischen Langen. Vor vier Wochen hat Patricia einen kleinen Jungen geboren, nun leben sie zu fünft in der Dreizimmerwohnung: "Ich würde gerne woanders hin", sagt Patricia, aber die Mieten für größere Wohnungen seien zu teuer und viele Vermieter wollten keine Eltern mit kleinen Kindern. "Diese Stadt ist kinderfeindlich", sagt Patricia über die Stadt auf die sie seit Jahren mit großer Übersicht blickt.

Es ist ein bisschen wie fernsehen

Das Setzkastenhaus gegenüber von Patricias Balkon. Foto: Lilith Becker

Früher sei das Haus voller Junkies und Zuhälter gewesen, auf den Fluren boten Dealer ihr und ihrem Mann Drogen an, es gab viele Einbrüche. "Doch wir hatten Glück", obwohl die furnierte Tür mit Sperrholzkern keinen besonders robusten Eindruck macht. Mittlerweile hat die Hausverwaltung Kameras im Eingangsbereich aufgehängt, die Bewohner sind aufgefordert fremde Leute zu melden. Manchmal klappt das, besser als noch vor neun Jahren sei es schon, findet Patricia. Doch die Polizei sei trotzdem ständig im Haus.

Der Taunus und die Frankfurter Skyline im Norden, der Flughafen im Westen, Darmstadt und in der Ferne der Odenwald im Süden. Das alles sieht man bei gutem Wetter von Patricias Balkon aus. Und viel, viel Himmel. "Ich gucke immer raus, egal in welchem Zimmer ich bin", sagt Patricia. Gegenüber vom Balkon, aber ein paar Stockwerke niedriger, ragt ein weiteres Hochhaus aus der Stadt heraus. "Der Mann da drüben, mit der Deutschlandfahne im Fenster, schaut mich immer so böse an", sagt Melissa, Patricias elfjährige Tochter. Die Menschen hinter den Fensterfronten des gegenüberliegenden Hauses bieten sich dar wie in einem Setzkasten. Es ist ein bisschen wie fernsehen.

Die Menschen in den Reihenhäusern kennen das nicht

"Da ist ein Pärchen neu eingezogen", erzählt Patricia und zeigt auf eine Wohnung im Setzkastenhaus, "die hatten dann erstmal Sex auf der Fensterbank". Ohne Vorhänge bleibt man auch in einer Hochhauswohnung nicht alleine. Der Himmel, die Ferne, die eigene Stadt, der Nachbar: Sie alle sind ganz nah in dieser Hochhauswohnung im 14. Stockwerk.

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Patricia liebt den Blick auf die Stadt im Winter, wenn alles weiß ist. Ihr Mann findet das Feuerwerk an Silvester von hier oben toll: "Auch, wenn man von drinnen aus dem Fenster gucken muss - auf dem Balkon ist es zu gefährlich", und auch, wenn die Leute früher mehr Kracher in die Luft geschossen hätten als in den vergangenen Jahren. Es bleibt immer spannend: "Immer wird irgendwo gebaut oder etwas abgerissen", sagt Patricias Mann. Die Stadt verändere sich ständig.

Ein Hochhaus ist eine Stadt in der Stadt durch die vielen Menschen, die dort zusammen und nebeneinander her leben. Aber das Hochhaus bietet auch einen übersichtlichen Blick auf eine Stadt, den die Menschen in ihren Villen, Reihen- und Mehrfamilienhäusern nicht kennen.

Gibt es dort unten etwas Passenden?

Patricia und ihr Mann sehen, wenn es irgendwo brennt. Sie könne, sagt Patricia, mittlerweile normalen Rauch von einem Brand unterscheiden. Das Obdachlosenheim und eine Parkgarage brannten in den vergangenen Jahren, in den Schrebergärten oberhalb der Langener Altstadt verbrennt öfter mal jemand illegal seinen Müll.

Im Westen besteigen Passagiere ihr Flugzeug und fliegen davon. Auch Patricia möchte gerne weg und irgendwo dort unten in Langen ist sie vielleicht, die neue Wohnung. Doch ob sie etwas Passendes und Bezahlbares findet, ist ungewiss. "Wenn wir hierbleiben", sagt sie, "möchte ich aber die ganze Wohnung renovieren." Von hier oben ist die Ferne so nah, das Nahe so fern.