Foto: epd-bild/Stephen´s Children
Die koptische Christin Maggie Gobran arbeitet unter Ägyptens Ärmsten und ist deshalb für den Friedensnobelpreis nominiert worden.
Die Mutter Teresa von Ägypten
Maggie Gobran kümmert sich um die Kinder aus den Müll-Slums von Kairo
Für die Kinder aus den Müll-Slums in Kairo heißt sie nur "Mama Maggie". Die koptische Christin Maggie Gobran arbeitet unter Ägyptens Ärmsten und ist deshalb für den Friedensnobelpreis nominiert worden.
21.07.2012
epd
Judith Kubitscheck

Dieses Erlebnis wird Maggie Gobran nie vergessen. Es sollte das Leben der ägyptischen Informatikprofessorin grundlegend ändern: Eine Frau sitzt in Kairo zitternd auf der Straße und verkauft Kohlestücke, neben sich ihre neunjährige Tochter mit zerschlissenen Schuhen. "Möchtest du neue Schuhe?" fragt Gobran sie. Das Mädchen nickt, wählt im Geschäft aber Schuhe in Erwachsenengröße: "Meine Mutter braucht die Schuhe dringender als ich."

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Maggie Gobran hat die Großzügigkeit des Kindes die Sprache verschlagen, mehrere Nächte schlief sie kaum, wie sie auf einer Deutschlandreise erzählt. "Ich hätte diese Mutter sein können, meine Kinder hätten ihre sein können." Zu dieser Zeit arbeitete Gobran, selbst Mutter zweier Kinder, als Professorin an der Amerikanischen Universität in Kairo. "Ich unterrichtete die Elite Ägyptens", sagt die 62-Jährige im Rückblick. Sie kommt aus einer wohlhabenden Akademikerfamilie, bis zu diesem Erlebnis hatte sie kaum Kontakt zu Kairos Ärmsten.

"Die Menschen dort arbeiten, schlafen und essen mitten im Müll"

50.000 bis 70.000 sogenannte Müllleute, "Zabaleen", gibt es in Kairo - Menschen, die seit mehreren Generationen vom Müll der ägyptischen Hauptstadt leben, ihn sammeln und recyceln. Fast alle Zabaleen sind koptische Christen. Die meisten leben am Rande Kairos in der "Müllstadt" Mokattam. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 40 Jahre. "Das erste Mal, als ich in die Müll-Slums kam, wurde mir von dem Gestank dort übel", erinnert sich Maggie Gobran. "Die Menschen dort arbeiten, schlafen und essen mitten im Müll."

Sie sah ein Kind vor lauter Hunger eine Bananenschale essen. "Die Kinder weinen sich in den Schlaf. Hunger ist ihr ständiger Begleiter. Sie hungern nach Brot, Kleidung aber auch nach Liebe, Anerkennung und Würde." Die Professorin Gobran hatte den Eindruck, Gott habe sie aufgerufen, ihr bequemes Leben hinter sich zu lassen und in die Müllslums zu gehen. Deshalb gründete sie 1989 mit drei weiteren Mitarbeitern die Organisation "Stephen's Children". Ihr Wunsch, wie sie formuliert: Sie möchte den Ärmsten der Armen eine Mutter sein. Und die Ungeliebten mit der Liebe Gottes lieben.

Mädchen werden Näherinnen, Jungen Schuster

Gobran begann mit ihrem Team, regelmäßig Familien zu Hause zu besuchen, ihnen mit Essen oder Kleidung zu helfen oder sich an den Schulgebühren für die Kinder zu beteiligen. "Wenn du uns helfen willst, dann hilf unseren Kindern", sagte eine Mutter ihr. Deshalb gründete sie mit ihrem Team Kindergärten, in denen kleine Jungen und Mädchen Hygieneunterricht und medizinische Hilfe erhielten sowie erstes Wissen in Arabisch und Mathematik.

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Schnell hat sich die Arbeit der Hilfsorganisation ausgeweitet: Junge Mädchen, die bisher noch keine Schule besucht hatten, lernen nun in Alphabetisierungsklassen lesen und schreiben, Mütter werden geschult. In Berufszentren erlernen Kinder ohne Schulbildung einen Beruf: Mädchen werden zu Näherinnen, Jungen zu Schustern ausgebildet.

Mehr als 25.000 Familien konnte Stephen's Children nach eigenen Angaben bisher helfen. Heute arbeiten rund 1.500 Menschen bei der Organisation, viele von ihnen sind selber ehemalige Zabaleen, wie Gobran erzählt. Die Frau mit den durchdringenden Augen ist überzeugt: Sie hat in den Slums Gott gefunden. "Jedes Mal, wenn ich ein Kind umarme, dann fühle ich Gottes Arme um mich."

"Ich verdiene eine solche Ehrung nicht"

Luxus für sich lehnt sie ab, "Mama Maggie" trägt immer nur ein einfaches, weißes Gewand. "Ich möchte zeigen, dass es nicht auf den äußeren Reichtum ankommt, sondern auf unsere inneren Schätze." Einer dieser inneren Schätze ist für die überzeugte Christin die Hoffnung: Seit der ägyptischen Revolution habe es viele Unruhen und Ausschreitungen gegeben.

Doch mitten in der "Müllstadt" hätten sich in der Höhlenkirche in Mokattam regelmäßig Zehntausende Christen aus ganz Ägypten zum Friedensgebet für das Land getroffen. Dass ein Muslimbruder nun Präsident ist, ängstige sie nicht, sagt sie. "Wir beten, dass wir Hoffnung und Frieden haben - unabhängig von den Umständen."

Schon zum fünften Mal ist Maggie Gobran für den Friedensnobelpreis nominiert worden, in diesem Jahr ist sie sogar unter den letzten zehn Kandidaten. "Ich verdiene eine solche Ehrung nicht", sagt sie, "die Kinder, die jeden Tag hungrig sind, die verdienen den Preis. Wir wollten den Armen helfen, dass sie ein besseres Leben haben, aber sie haben uns geholfen, bessere Menschen zu sein."