Foto: dpa/Jens Büttner
Asylbewerberinnen in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes für Flüchtlinge in Nostorf/Horst bei Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern.
Urteil zu Leistungen für Asylbewerber weithin begrüßt
Die niedrigen Geldleistungen für Asylbewerber verstoßen gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt und klargestellt: Die Menschenwürde gilt für alle, auch für Flüchtlinge. Kirchen und Menschenrechtler sehen sich bestätigt.

Die Geldleistungen für Flüchtlinge müssen sofort erhöht werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe entschieden. Auch Leistungen für Asylbewerber müssen das Existenzminimum erreichen, weniger ist nicht verfassungsgemäß. Die neuen Sätze gelten rückwirkend zum 1. Januar 2011 für Asylbewerber, deren Leistungsbescheide noch nicht bestandskräftig sind, die also etwa Widerspruch eingelegt haben. Auch Bundesländer wie Bayern, die vor allem Sachleistungen gewähren, müssen einem erwachsenen Asylbewerber ab sofort 130 Euro monatlich auszahlen, das sind 90 Euro mehr als bisher.

Das Gericht urteilte, die Höhe der Geldleistungen sei unzureichend, weil sie seit rund 20 Jahren nicht erhöht worden ist. Zudem seien die Leistungen weder nachvollziehbar berechnet noch realitätsgerecht, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof. Das Bundesverfassungsgericht berief sich in seiner Entscheidung auf Artikel 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist.

Politische Erwägungen, die Leistungen niedrig zu halten, um "Wanderungsbewegungen" zu vermeiden, seien nicht zu rechtfertigen: "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren", betonte Kirchhof. Die Bundesregierung erklärte, sie werde zügig ein Gesetz vorlegen, nannte aber keinen Termin.

Kirchen loben das Urteil

Der Präsident des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche, Johannes Stockmeier, nannte das Urteil ein "politisches Signal". Das Gericht habe klargestellt, dass Sozialleistungen für Flüchtlinge nicht als Abschreckungsinstrument fungieren dürften, sagte Stockmeier dem epd. Die Kirchen seien seit 20 Jahren gegen diese Politik vorgegangen. Der Urteilsspruch sei "ein guter Tag für die Humanität in Deutschland".

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Die katholische Deutsche Bischofskonferenz forderte die komplette Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. "Es gibt keinen sachlich überzeugenden Grund, warum Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge anders behandelt werden sollen als diejenigen, die Sozialhilfe erhalten", sagte der Vorsitzende der Migrationskommission der Bischofskonferenz, Norbert Trelle.

Auch Flüchtlingsorganisationen begrüßten das Urteil. "Das Gericht beendet ein jahrelanges Unrecht", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhard. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte: "Seit langem war offensichtlich, dass die bisher gewährten Leistungen für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen." Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) sprach von einer richtungsweisenden Korrektur. Deutschland habe mit dem Asylbewerberleistungsgesetz auch gegen das Völkerrecht verstoßen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, begrüßte das Urteil aus Karlsruhe. Das Verfassungsgericht habe deutlich gemacht, dass in Deutschland jeder Mensch einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum habe. Dies gelte auch für Asylsuchende und Geduldete, sagte Böhmer. Der seit 1993 nicht erhöhte Regelsatz für Asylbewerber reiche dafür schon lange nicht mehr aus.

Das Urteil beendet die politische Uneinigkeit

Wann das nun verfassungswidrige Gesetz überarbeitet werden kann, konnte das zuständige Arbeitsministerium in Berlin noch nicht sagen. Eine Sprecherin verwies auf Abstimmungsprobleme zwischen dem Bund, der für die Gesetzgebung zuständig ist, und den Bundesländern, die sich die Kosten mit den Kommunen teilen.

Bereits nach dem Hartz-IV-Urteil des Verfassungsgerichts von 2010 war eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen worden, die sich über eine Neufassung des Asylbewerberleistungsrechts verständigen sollte. Die Arbeitsgruppe sei zu keinem Ergebnis gekommen, sagte die Sprecherin.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erhielten Ende 2010 rund 130.000 Menschen Geld- oder Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von insgesamt 815 Millionen Euro. Der Deutsche Landkreistag rechnet mit Mehrkosten für die Kommunen von 130 Millionen Euro im Jahr. Das Arbeitsministerium wollte keine Summe nennen.