###mehr-artikel### Der Gedanke, dass Schüler kaltblütig Klassenkameraden und Lehrer töten, an einem Ort, der junge Menschen eigentlich auf das Leben vorbereiten soll, bleibt schier unvorstellbar. Die Schuld daran wird immer bei den Anderen gesucht. Die Medien weisen auf das Versagen der Familien- und Sozialpolitik hin, die Jugendliche sich selbst überlässt. Die Politik wiederum sieht in den Medien die Schuldigen, die täglich neue Gewaltbilder verbreiten: im Fernsehen, der Musik, in Videospielen. Auch das Kino hat sich in den vergangenen zehn Jahren verstärkt dem Thema des Amoklaufs an Schulen gewidmet und dabei Fragen aufgeworfen, auf die schon die Öffentlichkeit keine Antwort gefunden hatte.
Nachfolgend fünf Filme, die das Thema "Amoklauf an Schulen" aufbereitet haben:
"Amok" (2011)
Der deutsche Filmemacher Christoph Baumann hat mit seinem preisgekrönten Kurzfilm "Amok" (2011) gar nicht erst versucht nach Gründen für einen Amoklauf zu suchen. Er zeichnet in knapp fünfzehn Minuten das skizzenhafte Porträt einer Gesellschaft, die zu einer solchen Verzweiflungstat verleiten könnte. Baumann schildert das Verbrechen aus der Sicht einer Förderklasse an einer deutschen Hauptschule. Die Lehrerin hat Probleme mit ihren Schülern, von denen die meisten dem Unterricht fernbleiben. Einige von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Die Null Bock-Stimmung ist offensichtlich. Niemand glaubt daran, später einen Ausbildungsplatz zu bekommen. In das Streitgespräch hinein fallen plötzlich Schüsse vom Schulfhof. "Amok" beschreibt hautnah die Todesangst der Opfer, die sich in der Klasse verbarrikadiert haben. Der vermummte Täter ist nur wenige Sekunden im Bild zu sehen. Auf diese Weise ist Baumann ein beklemmendes Drama vor dem sehr realen Hintergrund des deutschen Schulsystems gelungen.
"Bowling for Columbine" (2002)
Der Amoklauf an der Columbine High School im amerikanischen Littleton im Jahr 1999 ist zum Symbol für die Gewalt an öffentlichen Schulen geworden. Das Massaker beschäftigt das amerikanische Kino bis heute. Der Dokumentarfilmer Michael Moore hat mit seinem Beitrag "Bowling for Columbine" (2002) seinerzeit eine öffentliche Diskussion über die laxen amerikanischen Waffengesetze ausgelöst. Seine Dokumentation nimmt das Columbine-Massaker lediglich als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit den tiefgreifenden gesellschaftlichen Ängsten, die viele Amerikaner dazu veranlasst, sich Schusswaffen zum persönlichen Schutz zuzulegen. Auf gewohnt polemische Weise untersucht er die Zusammenhänge von Columbine, der Lobbyarbeit des amerikanischen Waffenverbandes NRA, der Rüstungsindustrie, der amerikanischen Außenpolitik und den Medien. Er verortet den Amoklauf von Littleton damit in einem größeren gesellschaftlichen Kontext.
"Elephant" (2004)
Ganz anders geht der Filmemacher Gus van Sant in "Elephant" (2004) vor. Van Sant erzählt in langen, ruhigen Einstellungen vom Alltag an einer amerikanischen High School, die Tatort eines Amoklaufs sein wird. Zunächst aber konzentriert sich der Film auf die Jugendlichen mit all ihren Problemen. Ganz beiläufig fängt er die Atmosphäre an der Schule ein, die ein liberales Erziehungsmodell verfolgt. So nimmt er indirekt auch den Handlungsort der Schule aus dem Schussfeld der Kritik. Van Sant interessiert sich auch gar nicht für Schuldfragen. Die Täter spielen Ballerspiele, aber ohne große Motivation. Im Fernsehen läuft eine Hitler-Dokumentation, doch einer der Jungen meint, man müsse ja blöd sein, Hitler zu wählen. So bleiben viele Fragen offen, aber Van Sant zeichnet das einfühlsame Porträt einer Jugend, die schwer verunsichert ist, ob sie den Erwartungen der Erwachsenen überhaupt gewachsen ist. Mitten in diesem Ohnmachtsgefühl nimmt die Tragödie ihren Lauf.
"April Showers" (2009)
Der Filmemacher Andrew Robinson war Schüler an der Columbine High School, als sich das Massaker ereignete. Zehn Jahre später hat er seine Erfahrungen in einem Film verarbeitet. "April Showers" (2009) handelt von zwei Schülern, die mit den psychischen Folgen eines Amoklaufs zu kämpfen haben. Sean hat seine Freunde Ben und April verloren. Ben betrat eines morgens seine High School und schoss wahllos um sich. Jason hingegen wird als Held gefeiert, weil er ein verwundetes Mädchen rettete. Er fühlt sich dennoch schuldig am Tod eines anderen Mitschülers. Robinson erzählt mit behutsamen Bildern von der Traumatisierung der Schüler; der Amoklauf selbst wird nur in kurzen Rückblenden gezeigt. Der Film thematisiert die Schwierigkeit, nach einem solch traumatischen Ereignis wieder in den Alltag zurückzufinden. Und wie viele ähnliche Filme beschäftigt ihn die Frage, was einen jungen Menschen, den besten Freund, zu einer so schrecklichen Tat veranlasst haben könnte.
"Beautiful Boy" (2011)
Dieselbe Frage umkreist auch Shawn Kus Film "Beautiful Boy" (2011), nur dass Ku die Nachwirkungen eines Amoklaufs aus der Sicht der Eltern schildert. Das Ehepaar Bill und Kate steht nach zwanzig Jahren Ehe kurz vor der Trennung. Als eines morgens die Polizei vor der Tür steht und ihnen mitteilt, dass ihr Sohn unzählige Mitschüler getötet und anschließend Selbstmord begangen hat, bricht für die Eltern eine Welt zusammen. Auch in "Beautiful Boy" spielt die Schuldfage eine zentrale Rolle. Die Eltern machen sich Vorwürfe, ihren Sohn vernachlässigt zu haben. Und auch die Öffentlichkeit hat in den Eltern schnell die Schuldigen ausgemacht. Die Medien veranstalten eine regelrechte Hetzjagd. Hin- und hergerissen zwischen der Scham für die Tat ihres Sohnes und der Trauer über seinen Verlust, versuchen die Eltern, die Situation zu meistern. Mit sparsamen dramatischen Mitteln findet Ku genau den richtigen Ton für ihren ohnmächtigen Schmerz.
Dieser Text erschien das erste Mal am 20. April 2012.