Foto: epd-bild/Herby Sachs
Nach der Halacha werden jüdische Jungen am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten.
Beschneidungs-Urteil verunsichert Juden, Muslime und Ärzte
Ist die Beschneidung von muslimischen und jüdischen Knaben eine Körperverletzung oder ist das Ritual Teil der Religionsfreiheit? Vertreter von Judentum und Islam aber auch die Ärzteschaft suchen einen Weg aus dem Dilemma.

Das Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung sorgt bei Juden und Muslimen weiter für Unsicherheit. Auch Mediziner fordern Klarheit für die Praxis zur Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen. Die Europäische Rabbinerkonferenz rief jüdische Gemeinden in Deutschland auf, die religiöse Tradition fortzuführen. Ein Verbot wäre ein "fundamentales Problem für die weitere Existenz der jüdischen Gemeinden" in Deutschland, sagte deren Präsident Pinchas Goldschmidt am Donnerstag in Berlin zum Abschluss mehrtägiger Beratungen der orthodoxen Rabbiner Europas.

Die Beschneidung sei "ein Grundgesetz der jüdischen Religion". Deshalb dürfe nach dem Kölner Urteil nicht einfach abgewartet werden, bis weitere Gerichtsentscheidungen getroffen oder neue Gesetze geschaffen werden, betonte Goldschmidt. Die Rabbinerkonferenz kündigte die Gründung eines Verbandes für jüdische Beschneider an. Die jüdischen Gemeinden vertrauten auf die Ankündigung des deutschen Botschafters in Israel, dass die Bundesregierung alles tun werde, um eine gesetzliche Basis dafür zu schaffen, dass die Religionsfreiheit in Deutschland weiter gewährleistet wird.

Ärzteverband für Zulassung religiöser Beschneidung

Unterstützung erhielten die Rabbiner am Donnerstag vom niedersächsischen Hartmannbund der Ärzte. Der Verband setzt sich dafür ein, Beschneidungen an jüdischen und muslimischen Jungen weiterhin zuzulassen. Der Hartmannbund forderte nach einem Bericht der "Hannoversche Allgemeine Zeitung" die Ärztekammer Niedersachsen auf, bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung klarzustellen, dass Ärzte nicht berufsunwürdig handeln, wenn sie Beschneidungen aus religiösen Gründen vornehmen.

Der Verband reagierte damit unter anderem auf einen Appell des Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, vorerst keine Beschneidungen mehr auszuführen. Der Hartmannbund vertritt etwa 9.000 Ärzte in Niedersachsen, ein Viertel der Ärzteschaft in dem Bundesland.

Debatte versachlichen

Von der SPD-Bundestagsfraktion kritisierten die stellvertretende Vorsitzende, Christine Lambrecht, sowie die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz das Beschneidungsurteil. Lambrecht erklärte: "Wir müssen die Debatte dringend versachlichen. Das Urteil hat keinerlei bindende Wirkung und müsste erst höchstrichterlich in Karlsruhe bestätigt werden." Niemand wolle in Deutschland ernsthaft die Religionsfreiheit beschränken.

Özoguz warnte davor, dass Eltern diese religiöse Praxis zukünftig nur noch im Ausland ausführen lassen. "Noch schlimmer wäre es, wenn Eltern alternativ bei Personen, die nicht als Arzt zugelassen sind, illegal den Eingriff in Deutschland vornehmen lassen würden. Das schadet erst recht dem Kindeswohl", sagte die SPD-Politikerin.

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Der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July nannte das Urteil zur Beschneidung "unverhältnismäßig". Religionsfreiheit und das elterliche Recht der Personensorge, das auch den religiösen Bereich umfasse, seien nicht in angemessener Weise berücksichtigt worden, erklärte July bei einer Podiumsdiskussion in Stuttgart.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) verteidigte das Ritual der Beschneidung. "Wir dürfen uns nicht angewöhnen, zu meinen, erlaubt sei nur das, was allen plausibel erscheint", sagte sie am Mittwochabend in Bückeburg. "Was manchen nicht plausibel erscheint, ist anderen heilig", unterstrich Schavan beim Jahresempfang der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe. Viele Menschen müssten lernen, auch das zu respektieren, was ihnen selbst fremd sei.

Das Landgericht Köln hatte die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung gewertet. Der Eingriff sei medizinisch nicht notwendig und entspreche nicht dem Kindeswohl, hieß es zur Begründung.