Seit mehr als anderthalb Jahren verzichtet die "Brigitte" auf professionelle Models. Hat das die Produktion einer Mode-Strecke erleichtert oder erschwert?
Es ist weder schwieriger noch leichter, es ist einfach anders. Die Herausforderung besteht zum Beispiel darin, nun nicht mehr Profi-Models an einen Ort zu schicken, die dann alles anziehen. Heute kommt beispielsweise eine Frau ans Set, der die Hose nicht gefällt, die sie tragen soll. Anders als ein Model bringen die Frauen ganz klar auch ihren individuellen Stil am Set mit ein. Und sie möchten sich in der Mode, die sie präsentieren, auch wohlfühlen.
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Warum arbeiten Sie nicht mit professionellen Models mit größeren Kleidergrößen?
Bei der Entscheidung gegen Models ging es ja nicht nur um die Frage, ob wir größere Größen zeigen wollen. Das Verhältnis zwischen Mode und Frauen hat sich in den letzten Jahren grundsätzlich gewandelt. Frauen brauchen heute keine Platzhalter mehr und möchten kein Rollenbild vorgesetzt bekommen, das ihnen suggeriert, wie sie aussehen sollten. Attraktivität hat heute viele Gesichter, und die Frauen möchten selbst am Entwurf beteiligt sein. Designer sind nicht mehr die alleinigen Initiatoren von Trends. Ob Schauspielerinnen, Musikerinnen, Präsidentengattinnen oder die Frauen auf den Straßen der Metropolen – sie alle prägen die aktuellen Mode- und Beauty-Trends.
Wie haben Ihre Leserinnen reagiert?
Die überwiegende Mehrheit unserer Leserinnen ist begeistert. Sie findet es klasse, dass "Brigitte" sich von einem vorgegebenen Schönheitsideal verabschiedet hat. Wir wurden und werden von den Frauen förmlich überrannt und haben mittlerweile eine Kartei mit mehr 30.000 Frauen aus ganz Deutschland mit unterschiedlichsten Berufen, die gern bei einer Modeproduktion dabei sein möchten.
"Brigitte"-Fashion Director Anne Petersen. Foto: Brigitte
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Frauen für die Fotoshootings denn aus der Kartei aus?
Persönlichkeit und natürliche Ausstrahlung stehen dabei im Vordergrund, darüber hinaus brauchen unsere Teams ein Gespür dafür, wie eine Frau zum jeweiligen Thema passt.
Was für Reaktionen kamen aus der Modebranche? Was sagen Sie zum Beispiel dazu, dass Karl Lagerfeld 2009 sagte, Mode habe immer etwas mit Träumen und Illusionen zu tun und es sei absurd, wenn dicke Muttis dünne Models verurteilten?
Mode hat immer etwas mit Träumen zu tun. Aber eben auch mit Schönheit und Freude an Ästhetik. Wie genau man diese Schönheit definiert, bleibt jedem selbst überlassen. Wir finden, Frauen werden nicht für die Mode gemacht, sondern die Mode für die Frauen. Das sehen manche Modedesigner anders.
In einem früheren Interview sagte Chefredakteur Andreas Lebert, dass Modemarken Kleidermuster in sehr kleinen Größen an Modemagazine verschicken, wodurch diese gezwungen sind, Mager-Models zu buchen. Wie gehen Sie heute damit um?
Die Mustergrößen sind immer noch klein, also Größe 36. Mittlerweile gibt es aber auch Hersteller, die für uns direkt größere Muster produzieren. Das ist dann natürlich ideal.
Plus-Size-Modeblogs von selbsternannten "Fatshionistas" feiern in den USA und auch in Deutschland Erfolge, die übergewichtige Sängerin Beth Ditto gilt als Stil-Vorbild. Glauben Sie, dass es ein Umdenken in der Modebranche hin zu mehr Gewichts-Vielfalt gibt oder sind das Randerscheinungen?
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Das sind sicherlich Randerscheinungen. Die Mode sucht sich immer wieder neue Ikonen, das kann Lady Gaga genauso sein wie Beth Ditto. Relevant ist in diesem Fall nicht das Gewicht, sondern die Exzentrik. Daraus scheint sich kein Trend zu entwickeln. Wir finden auch, dass man weder extremes Untergewicht noch extremes Übergewicht propagieren soll. Beides ist nicht ideal und nicht gesund. Viel wichtiger ist, dass eine Größe 40 oder 42 von allen Frauen als eine sehr gute und völlig normale Kleidergröße angesehen wird.