Foto: NDR/Wolfgang Borrs
In der Sendung am Mittwochabend: Holm Putzke, Angelika Kallwass, Seyran Ates, Anne Will, Yitshak Ehrenberg und und Khola Maryam.
"Beschneidung" bei Anne Will: Religion oder Grundrecht?
Anne Will diskutierte in ihrer Talkshow das Kölner Beschneidungs-Urteil unter anderem mit einer islamischen Frauenrechtlerin, einem Rabbiner und einem Strafrechtler. Fazit: Es scheint schwierig zu sein, einander zu verstehen oder auch nur zuzuhören.
12.07.2012
evangelisch.de

Lange bevor die Sendung begann, war die Diskussion auf dem Blog von Anne Will in vollem Gang. Unter dem Titel "Streit ums Beschneidungs-Urteil - Religionsfreiheit ade?" wurde hier bereits heftig gestritten. Der Ankündigungstext der ARD lieferte hierfür eine gute Vorlage. Vor allem die Formulierung "Ist das Urteil skandalös oder muss das Kindeswohl in jedem Fall vorgehen?" wurde dankbar aufgegriffen.

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So war anzunehmen, dass auch die Sendung selbst vor allem lauten Talkshow-Streit produzieren würde. Mit der Auswahl der Gäste schien man darauf achten zu wollen, möglichst viele Blickwinkel auf das Kölner Beschneidungsurteil zu richten. Die "Islamkritikerin", der Jurist, der Rabbiner, die muslimische Journalistin und die Psychotherapeutin saßen im Studio. Nun sind Talkshows nicht dazu ersonnen, möglichst einen Konsens unter den Diskutierenden zu erzielen. Doch in dieser Konstellation war selbst das Verstehen der anderen Position kaum möglich.

Jeder Schuster bleibt bei seinen Leisten

Anne Will gibt zunächst dem Juristen, Holm Putzke, das Wort. Er hatte sich bereist vor dem Kölner Urteil dafür eingesetzt, die Beschneidung aus religiösen Gründen verbieten zu lassen. Putzke nennt die Beschneidung eine "rechtswidrige Körperverletzung". Rabbiner Yitshak Ehrenberg, der sich als nächste äußern darf, spricht von einem "Geschenk", das Eltern ihrem Kind machen. Für die islamische Journalistin Khola Maryam Hübsch ist die Beschneidung "ein minimaler Eingriff", der die Gesundheit fördert. Die Psychotherapeutin und TV-Talkerin Angelika Kallwass sieht vor allem die Gefahr der Traumatisierung.

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In der Diskussion scheinen alle Schuster bei ihrem Leisten zu bleiben. Fast klischeehaft erfüllen die Teilnehmenden ihre Aufgabe. Lediglich die Rechtsanwältin, Autorin und ebenfalls Muslimin Seyran Ates schafft es, sich dem Thema von mehreren Seiten anzunähern. Vielleicht liegt es daran, dass sie in ihrer Person eben genau diese verschiedenen Sichtweisen in sich vereint, mit denen man auf das Beschneidungsurteil blicken kann: Juristisch und religiös.

Rabbiner Ehrenberg bleibt bis zum Schluss ganz in seiner innerjüdischen Sichtweise. Er macht deutlich, dass er auch in keiner Weise bereit ist, auf die Beschneidung anders zu schauen, denn als Gebot Gottes. Jurist Putzke kann nur juristisch argumentieren. Für ihn bedeutet Religionsfreiheit nichts anderes als das Recht des Individuums, sich für oder gegen eine Religion zu entscheiden. Seiner Meinung nach stärkt das Urteil die Religionsfreiheit – nur eben nicht der Religionsgemeinschaft sondern des Kindes. Khola Maryam Hübsch, die sicherlich schon häufig erleben musste, dass ihre Religion als rückständig oder gar gefährlich dargestellt wird, kommt ebenfalls nicht über diesen Punkt hinweg. Die Psychologin Kallwass wittert grundsätzlich Peniszentrierung.

Wer kann diese Diskussion führen?

Anne Will schafft es gelegentlich, Fragen zu stellen, die die Diskussion voranbringen könnten, wenn sie beispielsweise den Rabbiner fragt, warum die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt für das Judentum so eine große Bedeutung hat oder ob es nicht problematisch sei, dass dieses Urteil ausgerechnet in Deutschland gefällt wurde. Doch immer wieder gleitet das Streitgespräch ab in die Frage, ob Beschneidung denn nun Traumata auslöst.

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Hübsch versteigt sich zu Sätzen wie "Sie hängen alles an diesem kleinen Stück Haut auf!", Kallwass gefällt sich in ihrer Rolle als aufgeklärte Bürgerin eines fortschrittlichen Landes, Putzke fragt: "Was hat die größere Bedeutung? Die Religion oder das Grundrecht?", Ehrenberg spricht vom "Töten des Judentums".

Lediglich, wenn die drei ausdrücklich religiösen TeilnehmerInnen miteinander reden, keimt so etwas wie ein gegenseitiges Verstehen oder zumindest ein Zuhören auf. Nach der Sendung stellt sich die Frage, wer denn in unserem Land in der Lage sein könnte, die nötige Diskussion über Religionsfreiheit in Deutschland zu führen. Vielleicht ist das der Beitrag, den die Sendung liefern konnte.