Knapp 20 Kilometer vor Madrid liegt Mejorada del Campo, ein ruhiger Vorort der spanischen Hauptstadt. Viele der 22.000 Einwohner leben hier und fahren jeden Tag zum Arbeiten in die Millionenmetropole. Kurz gesagt: auf den ersten Blick ein Vorort wie viele andere. Der Grund, warum Mejorada del Campo aber kein Vorort wie jeder andere und weit über seine Grenzen hinaus bekannt ist, heißt Justo Gallego. Der 86 Jahre alte Mann baut hier seit 1961 seine eigene Kathedrale – ein Gotteshaus beachtlicher Größe, nur dass auf der Baustelle keine Arbeiter Stahlträger durch die Gegend tragen, sondern dass er alleine oder mit der Unterstützung eines Helfers jeden Tag in Eigenregie zementiert, lötet oder malt. Selbst den Bauplan hat er ohne professionelle Vorkenntnisse selbst entworfen, die Katholische Kirche Spaniens distanziert sich von dem Projekt und eine Baugenehmigung gibt es natürlich auch nicht.
###mehr-galerien###
Was schon aus Erzählungen unglaublich klingt, wird nicht weniger überraschend, wenn man vor der eigenwilligen Kirche steht. Die halbfertige Kathedrale lässt die Besucher in ihren Ausmaßen nicht auf die Idee kommen, dass hier ein einziger Mann – mit Unterstützung von Verwandten und freiwilligen Helfern, die dem Bauherrn gerade in den Sommermonaten zur Hand gehen – montags bis samstags von morgens bis abends an seinem Lebenswerk arbeitet. Mehr als 50 Meter lang, 20 Meter breit, insgesamt fast 8.000 Quadratmeter groß, die blaue Kuppel ragt 36 Meter in die Höhe. Wenn das Werk vollendet ist, sollen die beiden Türme einmal 58 Meter hoch sein. Schon jetzt überragt das Bauwerk die Kirche des Vororts.
"Hoffentlich hält das alles"
Die Kathedrale ist enorm und doch sieht man ihr an, dass sie anders ist als alles, was man bis dahin an Gotteshäusern gesehen hat.
###mehr-artikel###
Der Do-It-Yourself-Charakter des Gebäudes wird deutlicher, je näher man an das Gebäude herantritt: Die Türme bestehen aus Hohlklinkern, mit Beton nicht ganz regelmäßig in die Höhe gebaut, durch Fenster sieht man im Innern des Gebäudes volle und leere Zementsäcke und verrostete Metallteile, Störche nisten auf den sich im Bau befindlichen Türmen. Besucher können die Kathedrale kostenlos betreten, um eine Spende für den Weiterbau wird gebeten. Man kann Türme besteigen, die Kirchengruft erkunden oder durch den Hof neben der Kathedrale spazieren.
"Hoffentlich hält das alles" – einer der Gedanken, die den Besuchern wahrscheinlich am häufigsten durch den Kopf gehen, wenn sie Gallegos Gotteshaus betreten. Der Bauherr hat zur (juristischen) Sicherheit ein großes Schild aufgestellt: "Der Eintritt ist frei, für mögliche Unfälle sind wir nicht verantwortlich". Das ganze Gebäude ist offensichtlich ohne professionelle Geräte oder fachmännische Anleitung erbaut, gleichzeitig sieht man der unvollendeten Kathedrale aber an, wie viel Zeit und Liebe zum Detail in ihr steckt. Die große Frage ist, was mit dem Gebäude passieren wird, wenn der Bauherr nicht mehr lebt.
Anklänge an Gaudí
Die Geschichte des Kirchenbaus zu Madrid begann vor über einem halben Jahrhundert. Mit 27 Jahren tritt der gläubige Justo Gallego ins Kloster ein und wird Zisterziensermönch. Aber als er nach wenigen Jahren an Tuberkulose erkrankt, muss er das Kloster verlassen – die Angst vor einer Ansteckung der anderen Mönche ist zu groß. Es geht ihm immer schlechter und er hat mit seinem Leben innerlich bereits abgeschlossen, als sich seine Gesundheit unerwartet bessert und er aus Dankbarkeit verspricht, eine Kathedrale zu bauen – auf einem geerbten Grundstück in Mejorada del Campo. Er widmet den Bau der Virgen del Pilar, der ersten Marienerscheinung Spaniens in Saragossa im Jahr 40 nach Christus. Wie keine andere Glaubensfigur symbolisiert die "Jungfrau der Säule", so die wörtliche Bedeutung, da sie auf einer Säule in Erscheinung getreten sein soll, den christlichen Glauben und die spanischsprachige Welt.
Wer sich mit der Geschichte von Justo Gallego und seinem eigenwilligen Tempel befasst, bemerkt schnell zahlreiche Parallelen zu Spaniens bekanntester unvollendeter Kathedrale, der Sagrada Familia in Barcelona. Das Gotteshaus des katalanischen Architekten Antoni Gaudí – der Bau wurde Ende des 19. Jahrhunderts begonnen und soll im Jahr 2026 beendet sein – wurde wegen seines eigenwilligen Baustils lange Zeit belächelt und kritisiert, heute ist es Weltkulturerbe. Genau wie Justo Gallego investierte Gaudí jede freie Minute und all sein Geld in den Bau, ging am Ende sogar betteln; die Fertigstellung erlebte er nicht mehr, als er 1926 von einer Straßenbahn überfahren wurde. Zufall oder Schicksal: Gallegos selbstgebaute Kathedrale in Mejorada del Campo liegt an einer Straße, die nach dem katalanischen Architekten benannt ist.
"Der verrückte Mönch"
Die Geschichte von Justo Gallego wurde in Spanien erst vor einigen Jahren so richtig bekannt, als ein Getränkehersteller den Kirchenbau sponsorte und zum Inhalt eines Werbespots machte. Sein blauer Mantel und die rote Kappe – im Winter auch sein roter Schal – sind zum Markenzeichen des bescheidenen Mannes geworden. Anfangs wurde er in Mejorada del Campo noch als "der verrückte Mönch" belächelt, heute haben die Bewohner des Vororts Respekt vor ihm.
Die Aufmerksamkeit sucht Justo Gallego nicht, aber auf Spenden ist er aber angewiesen, um weiterbauen zu können. Was andere Leute als Bauschutt oder Metallschrott wegwerfen, kann er oft noch für sein Gotteshaus gebrauchen. Die mediale Aufmerksamkeit aus aller Welt – sogar das Museum of Modern Art in New York widmete der Kathedrale eine Ausstellung – interessiert den ehemaligen Mönch nicht. Seine Zeit ist zu kostbar, um sie Journalisten zu schenken: Justo Gallego ist 86 Jahre alt und benötigt noch mindestens zehn Jahre, um sein Lebenswerk zu vollenden.