Herr Wesseler, sind solche Debatten über Kosten, Auftrag und Verantwortung zu begrüßen?
Wesseler: Auseinandersetzungen mit dem Programm sind grundsätzlich gut. Aber man sollte es nicht zu einseitig tun.
Das TV-Genre "Scripted Reality"(SR) steht unter Druck von Medienbeobachtern und Aufsichtsgremien. Der Vorwurf: Viele SR-Formate seien ethische "Problemfälle".
Wesseler: Wir bei filmpool sprechen nicht von SR, sondern von "Scripted Entertainment" (SE), weil der Begriff SR viel zu schwammig ist. Was wir machen ist eine moderne Art der Fiktion. Die Darsteller in unseren Produktionen laufen daher zum Beispiel nicht Gefahr, unter den Verdacht der Vorführung von Menschen zu geraten. Sie sind auch nicht "Kleindarsteller", wie es manchmal abschätzig heißt. Manche avancieren zu Hauptdarstellern wie in unserer Produktion "Berlin Tag und Nacht".
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SR-Formate sind kostengünstige Produktionen, die gleichwohl hohe Quoten versprechen. Ist der Boom dieser Formate allein ökonomisch zu erklären?
Wesseler: Wir sollten beim Publikum anfangen. "Familien im Brennpunkt" etwa erzielt in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen Einschaltquoten von über 30 Prozent. Der Erfolgsfaktor besteht darin, dass wir gute Geschichten erzählen, anders als andere. Für Produzenten und Sender bedeutet der Faktor "scripted" eine bessere Planbarkeit als etwa bei Dokusoaps. Natürlich sprechen wir aber auch von effizienten Produktionen. Die Kosten von einer Stunde "Familie im Brennpunkt" liegen bei der Hälfte des Budgets für eine klassische Soap oder Telenovela.
Gezeigt werden Studien zufolge mit Vorliebe Tölpel und Primitive, Schläger und Trinker. Medienexperten sprechen von "Verachtung" als kleinstem gemeinsamen Nenner solcher Formate, von einem "Mangel an Barmherzigkeit". filmpool wendet sich öffentlich gegen eine solche generelle Abqualifizierung. Warum?
Wesseler: Es gibt ja viele Arten von Kritik. Stichwort: Unterschichten- oder Brüll-Fernsehen. Nun hat eine gerade vom Verein Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorgestellte Studie das Pauschalbild korrigiert. Danach spielen nur acht Prozent der Geschichten im Unterschichtenmilieu; in noch weniger Prozent des Angebots wird herumgebrüllt. Wir erreichen damit die Ebene der Normalitätskonzeption. Was ist normal? Und wer bestimmt das? Wir zeigen in unseren Sendungen etwas Neues, nämlich auch Menschen außerhalb der Ober- und Mittelschichten.
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Es ist doch langweilig, immer nur schöne und reiche Menschen zu sehen, weil sie ein Ideal darstellen, das für viele Menschen gar nicht erreichbar ist. Und zum Kritiker-Vorwurf von "downward comparison", also des sozial abwärts gerichteten Vergleichs, möchte ich die Kritiker nur fragen, ob sie auch nur ausschnittweise die Kommentare der Facebook-Fans von "Berlin Tag und Nacht" registriert haben. Da spricht keine Verachtung heraus. Im Gegenteil – es reicht bis hin zur Bewunderung.
SR-Formate sind also keine Festivals der organisierten Häme?
Wesseler: In keinster Weise. Die Sendungen kommen vielmehr deshalb an, weil sie einen Bezug zur Lebensrealität der Zuschauer haben.
Einige Kritiker mahnen die Medienkompetenz an. Manche Zuschauer seien überfordert, zwischen fiktiven und nicht fiktiven Formaten zu unterscheiden.
Wesseler: Nach verschiedenen repräsentativen Umfragen wissen über 80 Prozent der Zuschauer sehr wohl, dass die Sendungen "gescripted" sind. Aus dem Vorwurf spricht auch eine gewisse Arroganz der Kritiker dem Zuschauer gegenüber: "Ich sehe etwas, was ein anderer nicht sieht."
Wie stehen Sie zur Frage der Kennzeichnung von fiktiven Sequenzen?
Wesseler: Wir bei filmpool halten die Kennung im Nachspann und zum Teil bei Produktionen auch im Vorspann für ausreichend. Schon bei "Barbara Salesch" haben wir Bemühungen um Aufklärung durch Orientierungsmaterial für Schulen unterstützt. Um das auch mal klar zu sagen: Das alles passiert nicht im Verborgenen. Wir casten jetzt seit zwölf Jahren Darsteller bundesweit. Unsere Kartei umfasst über 150.000 Darsteller.
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Diese Castings bewerben wir in Zeitungen, im Internet. Meines Erachtens ist die eigentliche Frage im Hintergrund die, warum das Publikum diese Formate schaut, und nicht, ob es "gescripted" ist oder nicht. Der Zuschauer will in erster Linie gut unterhalten werden. Es ist für ihn zweitrangig, ob es nur authentisch oder eben echt ist, was er sieht.
Das dramaturgische Konzept vieler SR-Formate lässt sich so fassen: Handeln auf Probe. Sie sind auf Lösungsansätze angelegt. Könnte man sie, weil sie gerade von jungen Leuten akzeptiert werden, nicht daher auch für positiv besetzte Themen einsetzen?
Wesseler: Das tun wir bereits. Etwa bei einem Thema wie Gewalt in der Ehe. Das lösungsorientierte konstruktive Ende wäre dann zu zeigen, wie die geschlagene Frau die Kraft findet, sich von ihrem gewalttätigen Mann zu trennen. Auf dem Weg dahin lassen wir Experten zu Wort kommen, die Hilfestellungen für solche Situationen beschreiben.
Zu den Stichworten Markt und Moral - wo beginnt, wo endet die Verantwortung des Produzenten?
Wesseler: Das Drehbuch für jede Sendung wird dem Jugendschutzbeaufragten beim Sender vorgelegt und besprochen. Natürlich kommt es dabei auch zu Interventionen, wenn die Auffassung besteht, etwas könne beispielsweise verstörend wirken. Wir lernen praktisch auch durch jedes Drehbuch. Aber generell: Wir empfinden eine Verantwortung, die wir ernst nehmen, veranstalten Ethikseminare für unsere Autoren, für unsere Mitarbeiter, um sie zu sensibilisieren.