Foto: epd-bild/Debbie Hill
Der Theologe und Archäologe Dieter Vieweger leitet unter anderem die Forschungsprojekte unter der Erlöserkirche in Jerusalem.
"Was man von der Bibel ausgraben kann ..."
Archäologe Vieweger warnt vor sensationsorientierten Folgerungen bei Grabungsfunden
Auf die Konflikte zwischen biblischer Auslegung und historischer Deutung bei Ausgrabungen im Heiligen Land weist der Altertumswissenschaftler Dieter Vieweger hin. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) wendet sich der Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft in Jerusalem gegen allzu sensationelle Folgerungen aus Grabungsfunden. "Wir graben die Kultur einer Zeit aus, wir lernen, wie die Menschen damals lebten", sagt Vieweger über die biblische Archäologie.
09.07.2012
epd
Susanne Knaul

In Israel streiten Archäologen gegenwärtig über die Bedeutung der Ausgrabungen im Elah-Tal, 30 Kilometer südwestlich von Jerusalem. Yosef Garfinkel von der Hebräischen Universität in Jerusalem, der die rund 3.000 Jahre alten Mauern von Khirbet Qeiyafa ausgegraben hat, glaubt, dass es sich um eine judäische Stadt handelte - um ein regionales Herrschaftsgebiet König Davids, der genau hier seinen Kampf gegen Goliath ausfocht.

Die sieben Jahre dauernden Ausgrabungen in der früheren Grenzregion von Judäa, nicht weit entfernt von der Philisterstadt Gat, brachten auch eine Kiste aus Stein und eine aus Keramik zum Vorschein. Nach Ansicht Garfinkels dienten sie der Aufbewahrung religiöser Kultgegenstände und ließen Schlüsse zu über die in Judäa üblichen Bräuche. Außerdem zeigten sich Übereinstimmungen der Verzierungen an den Kisten und an dem später von König Salomon gebauten Tempel. Garfinkel sieht sich damit in der Annahme bestätigt, dass das Reich Davids genauso prächtig war, wie die Bibel es beschreibt.

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Ihm gegenüber steht Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv, der der Bibel als historischer Quelle misstraut. Die Funde Garfinkels und deren Auslegung bezeichnet er als "unspektakulär". Allein aufgrund kultischer Praxis und Töpferei könne man keine Schlüsse auf die Identität der damals hier lebenden Menschen ziehen. Finkelstein zweifelt die Datierung an und streitet darüber, ob Khirbet Qeiyafa überhaupt zu Judäa gehörte oder nicht viel eher zu "einer frühen nördlichen israelitischen Einheit". Sollte es König David überhaupt gegeben haben, so argumentiert er, dann sei er allenfalls ein Herrscher über eine kleinere Ortschaft gewesen.

Weder das eine noch das andere muss richtig sein, sagt wiederum Vieweger: "Der Kampf von David und Goliath war sicher nicht historisch", gibt er Finkelstein grundsätzlich Recht. Auch die Schlagzeilen, die es um den Fund von Khirbet Qeiyafas gab, findet der Altertumsforscher übertrieben. Dennoch gehe auch Finkelstein in seiner Interpretation oft zu weit. "Archäologen sollten nicht über biblische Texte reden, wenn sie es nicht studiert haben", empfiehlt er.

Herr Professor Vieweger, in Israel streiten die Archäologen über die Bedeutung der Ausgrabungen von Khirbet Qeiyafa. Die einen halten die Funde für Beweise der biblischen Geschichtsschreibung, die anderen bezweifeln die historische Richtigkeit der Aussagen. Wie sind so unterschiedliche Schlussfolgerungen möglich?

Vieweger: Das Problem hat im Grunde genommen zwei Seiten: die Interpretationsfähigkeit archäologischer Befunde und die Frage des Quellenwertes biblischer Aussagen. Einerseits graben die Archäologen Funde aus - Steine, Scherben und Fußböden. Doch diese reden nicht direkt mit uns. Um ihre Bedeutung zu erkennen, müssen sie interpretiert werden. Das Alte Testament spricht andererseits beispielsweise ausführlich über die Regierungszeit des Königs David. Doch die wenigsten dieser Aussagen stammen von Zeitgenossen. Sie sind auch nicht mit dem Anspruch der Objektivität niedergeschrieben.

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Die Ausgrabung von Khirbet Qeiyafa ist ein gutes Beispiel für solche Konflikte zwischen biblischer Auslegung und archäologischer Interpretation. Die beiden Hauptkonkurrenten - Professor Yosef Garfinkel von der Hebräischen Universität Jerusalem und Professor Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv - streiten nicht allein um die archäologische Interpretation, sondern über die Bedeutung des biblischen David. Finkelstein sieht die Anfänge des judäischen Königtums um 1000 vor Christus in Jerusalem als sehr bescheiden an und weist die biblische Hochschätzung Davids den Jerusalemer Schreibern des 7./6. Jahrhunderts vor Christus zu. Garfinkel hingegen sieht den Ort als den Nachweis dafür, dass die biblische Beschreibung des Königtums Davids klare geschichtliche Belege aufweist.

Gibt es in Deutschland eine größere Distanz zur biblischen Geschichtsschreibung?

Vieweger: Wir wissen seit der Aufklärung in Europa, dass viele biblische Berichte tatsächlich erst deutlich später aufgeschrieben wurden. Die Hebräer lebten zunächst als Beduinen oder Bauern im heutigen Israel und Palästina und konnten weder schreiben noch lesen. Die Sagen und Legenden des Alten Testaments wurden Jahrhunderte später in der Interpretation der Schreiber entsprechend verschriftlicht.

"Die biblische Aussage ist historisch unkorrekt, aber nicht falsch."

Können Sie die Bibel an einem Beispiel widerlegen?

Vieweger: Wir wissen heute genau, dass die Stadt Jericho in der Zeit, in der nach dem biblischen Bericht die Israeliten sesshaft wurden, nur spärlich bewohnt und nicht mit einer Mauer umgeben war. Obwohl die Bibel berichtet, dass Josua mit Posaunenschall die Stadtmauern zum Einsturz brachte und die Bevölkerung Jerichos dem Verderben preisgab. Diese biblische Aussage ist geschichtlich unkorrekt. Sie ist aber offenkundig nicht falsch, sie "widerlegt nicht die Bibel", denn sie sollte den angesprochenen Menschen zur Zeit ihrer Niederschrift einen religiösen Grundsatz verdeutlichen: "Wenn Israel auf Gott vertraut, dann fallen alle Mauern und alle Feinde". Diese Aussage ist auch dann richtig, wenn zur Verdeutlichung aus historischer Sicht ein unzutreffendes Beispiel bemüht wurde.

Heißt das, die Steine, die wir noch in Jericho sehen können, haben mit Josua nichts zu tun?

Vieweger: Genau. Wir finden da den neolithischen Turm und die Mauern der ältesten uns bekannten Stadt, die vor 11.000 Jahren existierte. Es gibt viel Material aus der frühen und mittleren Bronzezeit. Doch das war lange vor Josua oder der Sesshaftwerdung der Israeliten.

Und das wird in Israel nicht wahrgenommen?

Vieweger: Das Problem ist nicht auf Israel allein beschränkt. Es gibt auch viele christliche Fundamentalisten, die entsprechende Interpretationen bevorzugen. In Israel aber kommt manchmal noch eine weitere Dimension hinzu. Zwar gibt es genügend kritische Stimmen wie die von Finkelstein. Aber es melden sich auch national gesinnte Israelis zu Wort, für die sich sehr schnell der Kreis von den Erzvätern oder vom Landeroberer Josua zu ihrer heutigen Existenz schließt: "Gott hat uns das Land gegeben, wir sind jetzt hier. Wir haben mit dem Alten Testament eine Urkunde und die zudem noch direkt von Gott. Dieses Land gehört uns, nur uns."

"Eine kritische Auslegung des Alten Testamtens verunsichert viele Menschen - nicht nur in Israel."

Ist es tatsächlich so banal?

Vieweger: Vielleicht sagt man es nicht so banal, aber ich glaube, dass diese schlichten Gedanken manchmal im Hintergrund stehen. Ich erlebe auf alle Fälle, dass kritische Gedanken der historischen Auslegung des Alten Testaments, die danach fragt, wer was wann und mit welchem Ziel aufschrieb, viele Menschen verunsichert. Nicht nur in Israel.

Und was hat das mit Khirbet Qeiyafa zu tun?

Vieweger: Hier kommt für viele die Faszination der Archäologie ins Spiel. Was wäre, wenn die Archäologie nun doch die Wahrheit "der Bibel" beweisen könnte? Vor reichlich hundert Jahren sagte man: "Jeder Spatenstich ist ein Argument gegen den Unglauben." Und so beziehen sich heute viele Menschen auf Khirbet Qeiyafa. Selbst Menschen, die die Ausgrabungsstätte nie sahen oder das Material nie begutachteten.

Wäre es bei der Interpretation solch bedeutender Ausgrabungsstätten dann nicht sinnvoll, ausländische Experten zurate zu ziehen?

Vieweger: Auch die Diskussion in der christlichen Welt ist von diesen Fragen zutiefst geprägt. Schauen Sie sich die Ausgrabungen von Jericho an. Es waren ja die deutschen Archäologen Ernst Sellin und Carl Watzinger, die die Mauern von Jericho "fanden". Das heißt: Sie fanden Mauern, die sie gegen die Regeln der archäologischen Schichtenabfolge in die biblischen Zeiten setzten und damit den ersten großen Skandal der biblischen Archäologie auslösten.

Davids Palast: Kein archäologischer Nachweis, aber ein "großer PR-Erfolg"

Glauben Sie, dass schon die Wahl der Ausgrabungsstätte die Gesinnung des Archäologen verrät?

Vieweger: Nein. Vor jeder Ausgrabung steht die wissenschaftliche Fragestellung: Was will ich überhaupt erforschen? Was gilt es zu prüfen, zu hinterfragen und zu klären? Dann suche ich nach dem passenden Ort, an dem ich diese Fragen klären kann. In wenigen Einzelfällen mögen auch andere Gründe eine Rolle spielen. In der Davidstadt (südlich der Jerusalemer Altstadt) ist meines Erachtens klar, dass national-politische Absichten ein wichtiges Motiv für die Ausgrabungen sind. Da hieß es denn auch sehr bald, dass man den Palast Davids gefunden habe. Das ist archäologisch weder nachgewiesen noch wahrscheinlich. Aber ein großer PR-Erfolg. Hier geht es eher um Politik. Das lässt sich von Khirbet Qeiyafa nicht sagen.

Wenn die Archäologie so sehr auf Interpretationen angewiesen ist, warum sollte dann überhaupt gegraben werden?

Vieweger: Es ist sinnvoll zu graben, weil es uns nicht um willkürliche Interpretationen geht. Die Archäologie ist eine Wissenschaft und sie hat ein festes methodisches Repertoire. Folgt man dem, wird man zu weniger sensationellen, dafür aber gut belegbaren Folgerungen kommen! Und fragt man, was die biblische Archäologie kann oder nicht kann, dann wird man bescheiden antworten: Wir graben die Kultur einer Zeit aus, wir lernen, wie die Menschen damals lebten, welche Häuser sie bauten, was sie aßen, welche Tiere sie hielten, welche Handwerke sie kannten und mit wem sie welche Güter handelten - aber die Geschichten der Bibel, die Erlebnisse der Erzväter, die Fußstapfen Davids oder der Stein, mit dem der noch jugendliche Held einst Goliath erschlug, sind nicht Gegenstand einer sinnvollen Beschäftigung mit archäologischen Fragen.