"Keine Rente für arbeitende Gefangene" belegt den ersten Platz auf der Liste der vernachlässigten Nachrichtenthemen in Deutschland, so die Entscheidung der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA). Die Jury hat aus rund 120 eingereichten Themen die Top Ten ausgewählt.
Laut Mitglied Rita Vock ist es ein Missstand, dass deutsche Häftlinge zwar verpflichtet sind, zu arbeiten, aber keinen Rentenanspruch erwerben. Dieses Problem sei lange bekannt, aber seit 30 Jahren habe sich nichts daran geändert. Nach längeren Haftstrafen sorge dieser Umstand dafür, dass Männer und Frauen dann in die Altersarmut entlassen werden.
Dieses Thema hat die Jury überrascht. "Niemand von uns wusste das", so die Hörfunk-Redakteurin. "Da wir fanden, dass dies nicht nur für die Gefangenen, sondern auch für die Gesellschaft relevant ist, in die diese Gefangenen dann ja später wieder entlassen und resozialisiert werden sollen, haben wir dieses Thema auf Platz eins gewählt."
Weitere Themen: HIV, Antibabypille und humanitäre Hilfe
Auch an zweiter Stelle der Liste steht ein sozialpolitisches Thema. "HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt - kein Rechtsschutz gegen Diskriminierung": Grundlage für die Entscheidung der INA-Jury war das Schicksal eines Arbeitnehmers, dem gekündigt wurde, nachdem seine Infizierung bekannt geworden war. Der Gerichtsprozess läuft noch und geht durch mehrere Instanzen, wobei die Rechtslage völlig offen sei, so Vock.
Strittig sei, ob an dieser Stelle das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das sogenannte Anti-Diskriminierungsgesetz, greife. "Dahinter steht die Frage: Ist eine HIV-Infizierung eine Behinderung", erklärt die Journalistin. Darüber würden sich die Gelehrten streiten. "De facto gibt es also für die Betroffenen momentan keinen Rechtsschutz."
Die Berichterstattung zum derzeitigen Einsatz von der Antibabypille als Livestyle-Medikament und dessen Risiken wählten die Wissenschaftler und Journalisten zum dritten vernachlässigten Nachrichtenthema. Laut Vock werben die Pharmaunternehmen gerade mit Pillen der sogenannten neuen Generation und wollen sie jungen Frauen nicht mehr in erster Linie als verhütendes Medikament verkaufen, sondern als Mittel, das schönere Haare und eine schönere Haut mache.
Risiken dieser Dauermedikation, die viele junge Frauen betreffe, würden dahinter zurückfallen, so das Jury-Mitglied. Außerdem stehen auf der Top-Ten-Liste die miserablen Zustände in europäischen Haftanstalten am Beispiel Griechenland sowie die internationale humanitäre Hilfe, die mittlerweile Strukturen einer Industrie angenommen hat.
15 Jahre Nachrichtenaufklärung
Die eingesandten Vorschläge zeigen, dass es in diesem Jahr "ein großes Informationsbedürfnis zu den Bereichen Arbeit, Soziales und Wirtschaft" gebe, stellt Vock nach der diesjährigen Wahl fest. Rund 120 Einsendungen von Bürgern hat es gegeben – im Vergleich zu den Vorjahren, ist die Zahl durchschnittlich gleich geblieben. "Wir wünschen uns natürlich eine Steigerung, da ist noch mehr Potential möglich."
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Seit 15 Jahren beschäftigt sich die Initiative mit den vernachlässigten Nachrichten. Strukturell sei zu beobachten, so berichtet das langjährige Jury-Mitglied, dass generell Themen, die den Alltag, die Lebenssituation von Menschen bestimmen, als wenig nachrichten-wertig gelten und als vernachlässigt betrachtet werden können.
Nach Meinung der Deutschlandfunk-Redakteurin, sind "Nachrichten kaum noch exklusiv zu bekommen sind, die Ware 'Nachricht' ist im Internet überall kostenlos zu haben" – und dies biete eine Chance für die bislang vernachlässigten Themen. Es gebe den positiven Trend der hintergründigen Recherche und Berichterstattung – gerade auch im Printbereich. So versuchen klassische Medien mehr zu bieten als die reinen Nachrichtenmeldungen.
Ein großes Problem ist dabei, "dass dies Ressourcen braucht, viel Geld und Zeit, gut ausgebildete Leute, die die Ruhe haben, solche Recherchen zu betreiben", so die INA-Sprecherin.
So manches Thema wird dann doch eine Nachricht
In manchen Fällen kommt es aber doch anders als gedacht – und so wird ein Thema wird dann doch noch zur Nachricht: "Verbindungen der Gentechnik-Industrie mit den Behörden der EU" stand mit auf der Wahlliste der Jury. Als ein in den Medien vernachlässigtes, aber für die Gesellschaft relevantes Thema.
Laut den Recherchen der INA lehnen viele Europäer den Anbau von gentechnisch-veränderten Pflanzen ab. Doch zahlreiche Experten der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sind eng mit der Gentechnik-Industrie verbunden. Als die Chefin des FoodDringEurope-Verbandes (FDE) als Kandidatin für den Vorstand der EFSA-Behörde vorgeschlagen wurde, kam Kritik auf. Und damit verschwand das Thema wieder von der Auswahlliste der vernachlässigten Nachrichten der INA.
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Die INA-Jury setzt sich aus Wissenschaftlern und Journalisten zusammen, dazu gehören unter anderem Dr. Leif Kramp, Toralf Staud, Professor Horst Pöttker und Rita Vock. Sie entscheiden alljährlich über die von Bürgern, Initiativen, Journalisten und Wissenschaftlern eingereichten und von beteiligten Universitätsseminaren nachrecherchierten Themen. Dabei bemängeln Kritiker, dass die Entscheidung der Jury zu subjektiv ausfällt, da die Auswahl der eingereichten Themen noch zu gering ist.