Foto: Kuenzig/laif
Mädchen in Kenia, acht Stunden nach ihrer Genitalverstümmelung.
Eine "Beschneidung" von Mädchen ist eine Verstümmelung
Ist die "Beschneidung" bei Jungen und Mädchen dasselbe? Beides ist eine Körperverletzung an den Genitalien - doch damit hört die Vergleichbarkeit schon auf. Eine (erneute) Klarstellung anlässlich des "Internationalen Tages gegen weibliche Genitalverstümmelung" am 6. Februar.

Schon die Bezeichnungen machen deutlich, dass es einen Unterschied gibt: Während für die Entfernung der Vorhaut bei Männern der Begriff "Beschneidung" (medizinisch: "Zirkumzision") allgemein als angemessen gilt, hat sich für das, was Frauen vorwiegend in Afrika angetan wird, die Bezeichnung "female genital mutilation" (FGM), auf deutsch "Weibliche Genitalverstümmelung" (WGV) durchgesetzt. Auch der Frauenarzt Dr. Christoph Zerm hält diese Ausdrucksweise für zutreffend. Für die AG FIDE (Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit) hat Zerm detailliert beschrieben, was bei der Beschneidung von Männern und Frauen jeweils geschieht.

Bei Männern wird die zurückschiebbare Hautfalte vom Penis abgetrennt, so dass die Eichel unbedeckt bleibt. Bei Frauen werden vier Formen der Verstümmelung unterschieden: Typ I bedeutet die Entfernung der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut. Bei Typ II werden zusätzlich die Schamlippen (zumindest die inneren) abgetrennt, bei Typ III, der schlimmsten Form ("Infibulation" genannt), werden die Schamlippen zusammengenäht und die Vagina fast verschlossen - bis auf eine kleine Öffnung für Urin und Blut. Typ IV fasst alle weiteren Formen zusammen.

Der medizinische Vergleich

Dr. Christoph Zerm hat einen entwicklungsgeschichtlichen Vergleich in Bezug auf die Geschlechtsorgane angestellt und kommt zu dem Schluss: "FGM Typ I würde beim Mann die gänzliche oder teilweise Entfernung des Penis bedeuten", FGM Typ II darüber hinaus "auch noch die Entfernung des Hodensacks". Bei Typ III ist kein Vergleich mehr möglich. Fazit: Allenfalls die Entfernung eines kleinen Hautstückchens an der Klitoris wäre das Pendant zur männlichen Beschneidung.

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Nicht selten sterben Mädchen an den Folgen des Eingriffs, weil kein steriles Operationsbesteck verwendet wird. Zusätzlich zu den erheblichen psychischen Folgen des Traumas wird die Sexualität der betroffenen Frauen erheblich eingeschränkt, sie leiden zum Teil dauerhaft unter Schmerzen, enormen Menstruationsbeschwerden und schweren Komplikationen bei Entbindungen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben 25 Prozent der Mädchen und Frauen während des Eingriffs oder an seinen Folgen.

Auch Jungen können ihre Beschneidung als traumatisch erleben. Doch die gesundheitlichen Folgen sind nicht annähernd so gravierend wie bei Mädchen, sofern die Entfernung der Vorhaut sorgfältg von Ärzten oder professionellen Beschneidern durchgeführt wird. Gleichwohl machen Beschneidungsgegner auch auf Grausamkeiten und mögliche Folgen der Beschneidung bei Jungen aufmerksam.

Schätzungen zufolge sind weltweit etwa 140 Millionen Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. In 28 afrikanischen Ländern vor allem südlich der Sahara wird der Eingriff praktiziert (in Eritrea, Dschibuti und Somalia meist nach der extremsten Form, der Infibulation), außerdem in arabischen Ländern wie Oman und dem Jemen. In Europa und Nordamerika lassen Migranten aus den entsprechenden Ländern ihre Töchter beschneiden. In Deutschland sind schätzungsweise 5.000 Mädchen davon bedroht. Die Beschneidung bei Männern ist in Israel, in muslimischen Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und Südostasiens, in Südkorea und in den USA und Kanada verbreitet.

Was sagt der Islam?

Für die Beschneidung der beiden Geschlechter gibt es völlig unterschiedliche Motive. Juden und Muslime praktizieren die Beschneidung bei Männern aus religiös-kulturellen Gründen. Die Praktik geht für Juden auf das 1. Buch Mose, Kapitel 17 zurück, wo die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk eingeführt wird. Auch für Muslime ist die Beschneidung ein Zeichen der Zugehörigkeit. Der Brauch wird in der islamischen Überlieferung, aber nicht explizit im Koran erwähnt.

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Die Genitalverstümmelung bei Mädchen wird "oft als religiös verstanden, das ist das Problem", sagt Sabine Frankenberger, Ethnologin und Gründungsmitglied des Vereins INTACT. Es gibt dafür allerdings nur eine sehr schwache Grundlage. Die weibliche Beschneidung wird in einer muslimischen Prophetenüberlieferung erwähnt, die aber eher zurückhaltend klingt ("Nimm ein wenig weg, aber zerstöre es nicht") und die unter islamischen Gelehrten unterschiedlich bewertet wird.

Im Jahr 2006 geschah eine kleine Sensation im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung: Auf Einladung von Rüdiger Nehbergs Menschenrechtsorganisation Target trafen sich islamische Gelehrte und Mediziner in Kairo zu einer Konferenz. In ihrer Abschlusserklärung schreiben sie: "Weibliche Genitalbeschneidung ist eine ererbte Unsitte [...] ohne textliche Grundlage im Koran, respektive einer authentischen Überlieferung des Propheten." Sie füge "der Frau physische und psychische Schäden zu" und müsse daher unterbunden werden.

"Mädchen werden in ihren Rechten beschnitten"

Keine Religion fordere explizit die weibliche Genitalverstümmelung, sagt Anja Stuckert, Gender-Referentin der Organisation Plan Deutschland. Religion werde manchmal nachträglich als Begründung angeführt, um die Verstümmelung der Mädchen zu legitimieren. Tatsächlich seien die Motive sehr komplex und regional unterschiedlich. Für den Brauch werden zum Beispiel ästhetische und hygienische Gründe vorgebracht. "Insgesamt beruht die Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung auf der Vorstellung, dass Frauen weniger wert seien", ist Anja Stuckert überzeugt. "Es führt bei Mädchen dazu, dass sie in ihren Rechten beschnitten werden."

Der Verein INTACT nennt auf seiner Homepage die Tradition als stärkstes Motiv für die Genitalverstümmelung: "Mädchen müssen beschnitten werden, damit ein Mann sie heiratet. Nur durch eine Ehe kann die Frau ihre Existenz sichern. Somit beugt sie sich dem sozialen Druck. Die Beschneidung, insbesondere die Infibulation, soll garantieren, dass die Frau vor der Ehe Jungfrau und in der Ehe treu bleibt." Die Frauen selbst stellen den Brauch in der Regel nicht in Frage.

Seit 2013 auch in Deutschland verboten

Die Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen wird international als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Laut Amnesty International verletzt sie Gesundheits-, Frauen- und Kinderrechte, der Brauch müsse als grausam, sogar als Folter, als unmenschlich und entwürdigend bezeichnet werden. In zahlreichen internationalen Abkommen wird diese Einordnung übernommen.

In einigen europäischen Ländern ist die Verstümmelung weiblicher Genitalien ein eigener Straftatbestand, seit September 2013 auch in Deutschland, wo sie mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden kann.

Um hier lebende bedrohte Mädchen zu schützen, fordert die "Task Force weibliche Genitalverstümmelung" eine Meldepflicht, eine Untersuchungspflicht, um die Unversehrtheit der Genitalien zu überprüfen, und familienrechtliche Maßnahmen, um zu verhindern, dass die Mädchen in das Heimatland ihrer Eltern reisen. Im EU-Projekt "Change" werden Mitglieder afrikanischer Gemeinschaften als sogenannte Change-Agents ausgebildet. Sie wollen die Gemeinden davon überzeugen, mit der Tradition der Genitalverstümmelung zu brechen.

 

Dieser Artikel erschien bereits am 5. Juli 2012 auf evangelisch.de. Anlass war die Debatte um das Kölner Beschneidungsurteil. Der Artikel wurde am 5. Februar 2015 überarbeitet.