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Dirk Niebel macht sich auf den Weg nach Japan, um Afghanistan zu helfen.
Niebel: "Afghanistan braucht einen Marshallplan"
Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) will für bessere Lebensperspektiven in Afghanistan sorgen. Deshalb reist er mit einer Milliardenzusage zur Internationalen Afghanistan-Konferenz nach Tokio. Politische Rückschläge dürfe es nicht geben. Niebel warnt zugleich davor, erzielte Erfolge kleinzureden, auch wenn die Taliban wieder an die Macht kommen könnten. Die Zivilgesellschaft Afghanistans werde verhindern, dass Erreichtes zunichtegemacht werde, sagte der 49-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd).
06.07.2012
epd
Elvira Treffinger

Herr Niebel, was haben Sie im Gepäck, wenn Sie zur Afghanistan-Konferenz am Sonntag in Tokio reisen?

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Niebel: Wir werden Afghanistan beim Aufbau weiter mit knapp einer halben Milliarde Euro jährlich unterstützen. Das hohe Niveau ist notwendig. Denn es bedarf einer Art Marshall-Plan, um Afghanistan auf Dauer stabilisieren zu können. Wir wollen auf keinen Fall einen politischen Rückschlag erleben. Afghanistan braucht nicht nur eine gute Sicherheitsarchitektur, sondern auch bessere Lebensperspektiven für die Menschen.

Für welchen Zeitraum gilt die deutsche Hilfszusage?

Niebel: Auf den Abzug der internationalen Kampftruppen 2014 wird eine Übergangsdekade folgen. Für diese zehn Jahre soll in Tokio ein Fahrplan erstellt werden. Für 2012 beträgt die deutsche Hilfe bis zu 430 Millionen Euro. Dieses Niveau wollen wir zunächst bis 2016 halten - bis dorthin reicht augenblicklich die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung. Dabei wird der Anteil meines Hauses gegenüber dem Auswärtigen Amt zukünftig steigen, weil vor allem langfristige Entwicklungsaufgaben wichtig werden.

"Die afghanische Regierung muss ihre Hausaufgaben machen."

Was sind die Kernelemente des Afghanistan-Fahrplans, der in Tokio beschlossen werden soll?

Niebel: Tokio ist nicht nur eine Geberkonferenz. Die Staatengemeinschaft will zeigen, dass sie sich auch nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte weiter um bessere Lebensverhältnisse in Afghanistan bemühen wird. Zugleich fordern wir der afghanischen Regierung mehr und mehr Gegenleistungen ab. Sie muss ihre Hausaufgaben machen.

Um welche Gegenleistungen geht es genau?

Niebel: Die afghanische Regierung muss ein Umfeld schaffen, das Investitionen ermöglicht, um wirtschaftliches Wachstum zu erzielen und Armut zu bekämpfen. Es geht um die Bekämpfung der Korruption, aber auch um den Abbau von Rohstoffen zum Wohl der Bevölkerung. Die afghanische Regierung hat bereits ein kluges Abkommen mit China über den Abbau von Kupfer geschlossen, das auch die Schaffung von Infrastruktur und die Weiterverarbeitung umfasst. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit half durch Beratung mit, dass Afghanistan einen höheren Mehrwert erzielen kann.

"Ich habe hohes Vertrauen in die Abgeordneten des afhanischen Parlaments."

Die Ära von Präsident Karsai geht zu Ende. Spätestens 2014 stehen Wahlen an, bei denen er nicht mehr kandidieren kann. Ist Karsai der richtige Mann, um den Übergangsprozess nach dem Truppenabzug zu gestalten?

Niebel: Hamid Karsai ist der gewählte Präsident. Er ist im Amt und deshalb ist es seine Verantwortung, den Übergangsprozess zu gestalten. Ich habe den Eindruck, dass er ganz aktiv daran arbeitet. Und ich habe hohes Vertrauen in die Abgeordneten des afghanischen Parlaments.

Karsai erwägt, die Wahlen vorzuziehen, damit sie nicht mit dem Truppenabzug zusammenfallen. Halten Sie das für klug?

Niebel: Es steht mir nicht an, der afghanischen Regierung Vorschläge zu machen, wann die Wahlen durchzuführen sind. Es gibt dafür einen rechtlichen Rahmen. Wenn Herr Karsai innerhalb dieses Rahmens den Spielraum hat, die Wahlen früher abzuhalten, spricht vieles dafür, nicht zeitgleich mit dem Truppenabzug zu wählen.

"Die Friedensverhandlungen müssen ein afghanischer Prozess sein."

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist weiter schwierig. Warum kommen die Friedensgespräche mit moderaten Taliban nicht in Gang?

Niebel: Die Sicherheitslage ist instabil, aber nicht in allen Regionen schwierig. Hohe Barrieren und verletzte Persönlichkeiten erschweren oft notwendige Gespräche zwischen Aufständischen und Regierung. Die Friedensverhandlungen müssen aber ein afghanischer Prozess sein, nur dann trägt er auch.

In ihrem jüngsten Fortschrittsbericht räumt die Bundesregierung ein, dass der Afghanistan-Konflikt militärisch nicht gewonnen werden kann. Ist der Truppeneinsatz nach zehn Jahren Krieg gescheitert?

Niebel: Wenn der Konflikt militärisch nicht entschieden werden kann, heißt das nicht, dass der Truppeneinsatz gescheitert ist. Er hat vielmehr den Spielraum geschaffen für gesellschaftliche Veränderungen, von denen schon jetzt viele nicht mehr umkehrbar sind.

"Die Würde des Menschen hat wieder einen höheren Stellenwert."

Welche Veränderungen denn?

Niebel: Dazu gehören die hervorragende wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans und die Rechte der Frauen, die zwar noch nicht unseren Maßstäben genügen, aber weit besser sind als zu Taliban-Zeiten. Auch der Zugang zu Wasser, Energie, Bildung und Gesundheitsdiensten ist besser geworden. Die Freiheit der Gesellschaft, politische Diskurse zu führen, hat es zu Taliban-Zeiten nicht gegeben. Und die Würde des Menschen hat einen höheren Stellenwert - alles Dinge, die man nicht kleinreden darf. Aber die Lage ist noch nicht so, dass wir uns zurückziehen können.

Sind diese Errungenschaften nicht gefährdet, wenn die Taliban wieder an die Macht kommen?

Niebel: Die afghanische Zivilgesellschaft, die ich in Tokio auch treffen werde, ist sehr aktiv. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Regierung an dieser Zivilgesellschaft vorbei Entscheidungen treffen könnte, die Erreichtes wieder zunichtemachen würde.

Sie sind also durchaus optimistisch?

Niebel: Ich bin in der FDP.

"Die Aufständischen sind nicht mehr in der Lage, den offenen Konflikt mit den Sicherheitskräften zu suchen."

Im vergangenen Jahr zählten die Vereinten Nationen mehr als 3.000 zivile Opfer in Afghanistan, die höchste Zahl seit Beginn des Krieges 2001. Ein Alarmzeichen?

Niebel: Das ist furchtbar für die Betroffenen, zeigt aber auch, dass die Aufständischen nicht mehr in der Lage sind, den offenen Konflikt mit den Sicherheitskräften zu suchen. Deshalb werden sogenannte weiche Ziele ins Visier genommen. Die Opferzahlen sind besonders hoch, wenn die Aufständischen auf ungeschütztem Terrain wie auf Marktplätzen Anschläge verüben. Aber so paradox das klingt: Es ist ein Zeichen dafür, dass die Terroristen eher geschwächt als gestärkt sind.

Brauchen wir in Zukunft bewaffnete Entwicklungshelfer?

Niebel: Nein, das haben wir zu keinem Zeitpunkt gebraucht. Unsere Mitarbeiter und die von nichtstaatlichen Hilfswerken werden geschützt durch die Gesellschaft, die sie trägt. Wir machen Projekte zusammen mit der afghanischen Gesellschaft, Projekte, die von ihr gewollt und mitgestaltet werden. Zudem haben wir ein eigenes Sicherheitssystem, das bei Gefahr rechtzeitig Warnungen ausgibt.

Aber es gibt doch Entwicklungshelfer mit Begleitschutz?

Niebel: In einigen Gegenden Afghanistans können sie nur mit besonders gesicherten Fahrzeugen fahren. Einige Organisationen haben auch private Sicherheitsfirmen beauftragt. Das wird weiter notwendig sein, bis sich die Sicherheitslage weiter stabilisiert hat. Auch in Deutschland haben wir Geldtransporte mit bewaffnetem Begleitschutz.