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Alice im Wunderland und die Wasserpfeife rauchende Raupe
Happy Birthday, Alice!
Heute vor 150 Jahren wurden die Abenteuer von "Alice im Wunderland" zu ersten Mal erzählt. Die Hamburger Kunsthalle widmet dem neugierigen Mädchen eine ganze Ausstellung.

Das Erwachsenwerden ist zuweilen anstrengend, der Körper macht groteske Dinge und die Welt ist plötzlich voller bizarrer Kreaturen: Nicht anders ergeht es Alice in ihrem Wunderland, sie schrumpft und kann durchs Türchen klettern, und wächst, bis da kein Platz mehr ist im Haus des weißen Kaninchens. Von Mäusen will sie sich schon mal gar nicht kommandieren lassen und ist doch eingeschüchtert davon, allein entscheiden zu müssen.

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Als eine Raupe sie fragt, wer sie denn sei, antwortet Alice: "Ich - ich weiß nicht recht, diesen Augenblick - vielmehr ich weiß, wer ich heut früh war, als ich aufstand; aber ich glaube, ich muss seitdem ein paar Mal verwechselt worden sein."

Die Wirren der Pubertät – noch einmal erleben kann man die schwierigen Jahre momentan in der Hamburger Kunsthalle mit einem ein Parcours durch Alices Wunderland: Die Künstlerin Pippilotti Rist, zum Beispiel, hat dort einen Erlebnisraum geschaffen, in dem Erwachsene wieder klein sind, inmitten wuchtiger Möbel und einer riesigen Fernbedienung. Auch Stephan Huber zwingt die Besucher in die Knie - wer durch die nur ein Meter hohe Tür seiner Installation krabbelt, kann Alices körperliche Veränderungen direkt nachempfinden.

"Die Frage ist, wer die Macht hat"

Doch Alices "Rite de Passage" in der Traumwelt ist vor allem eine Reise zu sich selbst. "Merkwürdig aktuell", findet Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers diese Suche nach der eigenen Identität. "Nicht zuletzt geht es doch immer wieder um die Frage, wie ich mich in der Gesellschaft, die durch bestimmte Regeln und Verbote strukturiert wird, zurecht finden kann", sagt sie.

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Die Ausstellung fordert dazu auf, die eigene Welt ab und an wieder als Wunderland zu betrachten, so wie Alices Naivität Sprache und Konventionen in Frage stellt: "Die Frage ist doch", sagte Alice, "ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst." "Die Frage ist", sagte das menschenähnliche Ei Humpty Dumpty aus "Alice hinter den Spiegeln" , "wer die Macht hat – und das ist alles."

Der Mathematikprofessor Charles Dodgson hat, so ist es geschichtlich überliefert, vor genau 150 Jahren, am 4. Juli 1862, die Abenteuer der Alice zum ersten Mal erzählt – bei einem Bootsausflug auf der Themse mit der kleinen Namenspatronin Alice Lidell, Tochter seines Freundes. Die Geschichten gefielen der Zehnjährigen so gut, dass Dodgson versprach, sie aufzuschreiben. Drei Jahre später wurden sie unter dem Pseudonym "Lewis Carrol" veröffentlicht.

"Rückschritt in die Kindheit ist ein Fortschritt"

Heute sind die Bücher "Alice im Wunderland" und "Alice hinter den Spiegeln" die wohl am stärksten rezipierten Kinderbücher aller Zeiten, mit Bezügen in Alltagswirklichkeit und Populärkultur, Verschwörungstheorie, Psychoanalyse und Drogenszene: Alices Abenteuer sind mehr als die Begegnung mit der Grinsekatze, dem verrückten Hutmacher und der sadistischen Herzenskönigin.

Alice ist selbst zur Metapher geworden. Von Surrealisten wie Max Ernst, der mit Alices Abenteuer die Flucht aus der bürgerlichen Welt identifizierte, über die Bewusstseinserweiterung, die die Konzeptkünstlerin Adrian Piper in Alices Traumwelt sah, bis hin zu Zitaten in Kultfilmen wie "The Matrix" - Die Ausstellung "Alice im Wunderland der Kunst" zeigt somit auch 150 Jahre Kunstgeschichte.

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Carolls Reflektion des Kindheitszustandes haben viele Künstler aufgegriffen, so Annabelle Görgen-Lammers. "Sie offenbaren: Der Rückschritt in die Kindheit ist eigentlich ein Fortschritt, eine Erweiterung unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten, die auch Erwachsenen gut tut."

Der tschechische Animationskünstler Jan Švankmajer zeigt Alices Traumwelt in ständiger Verwandlung. Denn letztlich bekommen Abenteuer des Mädchens bei jedem Lesen eine andere, neue Bedeutung: Die Auseinandersetzung mit Alice ist ein nie enden wollender Prozess des Verstehens - ein bisschen, wie das Erwachsenwerden.