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Muslim beim Beten
Beten und Kopftuch am Arbeitsplatz - eine Frage des Privilegs
Viele Arbeitgeber sind nicht auf betende Mitarbeiter eingestellt
Zwei Gerichtsurteile haben bestätigt, dass Arbeitgeber das religiös vorgeschriebene Gebet am Arbeitsplatz zulassen müssen. Doch viele Muslime wollen Ärger am Arbeitsplatz vermeiden, beten deshalb heimlich oder gar nicht.

Seit 15 Jahren ist Ahmet Yavuz bei einer Tiefbau-Firma im Umland von Hannover tätig. Lange Zeit konnte der türkischstämmige Muslim auch während seiner Schicht beten. Doch dann wurde das Unternehmen verkauft und leitende Stellen neu besetzt. Für Yavuz hatte das nichts Gutes zur Folge: Der neue Polier erlaubte es dem Bauarbeiter nicht, während der Arbeitszeit das rituelle Gebet zu verrichten. Yavuz ist aber ein frommer Mann und fühlt sich verpflichtet, den religiösen Geboten zu folgen; eine der fünf Grundpfeiler des Islam beinhaltet das fünfmalige Beten am Tag, wobei sich Zeiten am Sonnenaufgang und Sonnenuntergang orientieren und dementsprechend verschieben.

Ahmet Yavuz mit seinem Anwalt Jens Klinkert. Foto: Thomas Nagel

Weil sich Yavuz mit seinem neuen Chef nicht auf Gebetspausen einigen konnte, ging der 37-Jährige vor Gericht. Das religiös vorgeschriebene Gebet muss vom Arbeitgeber ermöglicht werden, entschied die Richterin. Mit dem Thema Gebet in der Arbeitszeit haben sich deutsche Arbeitsgerichte bislang kaum befasst. Bekannt ist ein vor zehn Jahren am Landesarbeitsgericht Hamm gefälltes Urteil. Danach haben Gläubige das Recht zur Gebetspause, müssen jedoch begründen, warum dies während der Arbeitszeit geboten ist. Nur wenige Muslime gehen den Weg der juristischen Auseinandersetzung. Das berichtet auch Rechtsanwalt Jens Klinker, der Yavuz vor Gericht vertrat. "Viele kennen sich mit Ihrem Recht gar nicht aus, und selbst wenn, wollen sie Ärger mit dem Arbeitgeber vermeiden", sagt der auf Arbeitsrecht spezialisierte Jurist.

Eine Ausnahme ist zweifelsohne auch ein Fall aus Schleswig-Holstein. Dass Bundesarbeitsgericht musste sich im vergangenen Jahr mit der Frage befassen, ob die Kündigung eines Ladenmitarbeiters rechtmäßig ist, der sich geweigert hatte, alkoholischen Getränke ins Verkaufsregal einzuräumen. Der Mann hatte damit argumentiert, dass er Moslem sei und für ihn somit nicht nur das Trinken von Alkohol, sondern jeglicher Umgang damit Sünde sei. Sein Arbeitgeber hatte ihm daraufhin gekündigt. Ein grundsätzliches Urteil fällten die Richter nicht. Stattdessen solle im Einzelfall entschieden werden. 

Beten im Umkleideraum

Der Großteil praktizierender Muslime arrangiert sich mit den Gegebenheiten und zieht nicht vor Gericht, weil religiöse Gebote und das Recht darauf, danach zu leben, in der Arbeitswelt nicht in Einklang zu bringen sind. "Man muss realistisch bleiben", sagt beispielsweise Mohammad Yousaf. Der 37-Jährige hat im Rhein-Main-Gebiet in den vergangenen zehn Jahren in unterschiedlichen Restaurants als Küchenhilfe gearbeitet. Sich für's Gebet zurückzuziehen, auch wenn es nicht mehr als fünf Minuten sind, das ist nach seiner Einschätzung in der Gastronomie kaum möglich. Gerade abends ist immer so viel los, dass das gar nicht machbar ist, ohne Streit mit den Chefs zu bekommen", sagt der aus Pakistan stammende Muslim. Wenn es sich ergab, dann habe er im Umkleideraum gebetet. Das Problem, seine Gebetszeiten einzuhalten, hat Yousaf derzeit nicht. "Weil ich arbeitslos bin", erklärt er. Seine neue Stelle werde er sich nicht danach aussuchen können, ob er beten kann oder nicht.

Eine pragmatische Lösung hat Inci für sich gefunden. Sie ist Ärztin am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und möchte anonym bleiben. Die Endzwanzigerin ist eine der muslimischen Frauen, die ihren Glauben für andere sichtbar lebt: Sie trägt ein Kopftuch, auch auf der Arbeit. Damit gehört sie zu denen, die "privilegiert" sind, ist sich Inci sicher. Denn als Kopftuchträgerin eine Anstellung zu bekommen, weiß sie aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, ist schwer. Zwar werde nicht das Kopftuch als Ablehnungsgrund genannt, doch betroffene Frauen wüssten, was wirklich hinter einer Absage steckt.

Inci geht ihrem Beruf als Ärztin mit Kopftuch nach und sie betet in ihrer Arbeitszeit, das allerdings zurückgezogen in ihrem Dienstzimmer. Sie möchte nicht, dass ihre Kollegen es mitbekommen, "um mir negative Reaktionen und Kommentare zu ersparen", erklärt die junge Frau. Deswegen hat sie sich auch nicht, als sie vor knapp einem Jahr ihre Stelle antrat, nach einem Gebetsraum erkundigt. Hätte sie gefragt, dann wüsste sie, dass es am Klinikum Gebetsräume für Muslime und Christen gibt, "die von Mitarbeitern und Patienten, Angehörigen genutzt werden können", wie Klinikum-Sprecherin Ricarda Wessinghage auf Anfrage mitteilt. 

Schweinefleisch in der Betriebskantine

Im Gebetsraum ihrer Firma verrichtet Incis Schwester Sema ihr Gebet. Die 31-Jährige ist Softwareingenieurin und bei der Firma Ericsson in Eschborn beschäftigt. Das internationale Unternehmen hat sich multireligiöse Belegschaft eingestellt und einen Gebetsraum eingerichtet. Inci berichtet, dass sie sich ohne Probleme dorthin zurückziehen kann und niemand ihr vorhalte, dass sie ihre Arbeitszeit "zweckentfremdet". "Ich hänge die Minuten ran, die ich mit dem Beten verbringe", sagt sie.

Hilal Akdeniz in Offenbach. Foto: Canan Topçu

Dass Firmen und Fabriken der Belegschaft Räume fürs Gebet zur Verfügung stellen, ist hierzulande noch nicht selbstverständlich. Die meisten Muslime nehmen sich in Dienstzimmern, Umkleideräumen und an anderen Orten, wo sie für andere nicht sichtbar sind, eine Pause fürs das religiöse Ritual, die einen mit Erlaubnis des Arbeitgebers, andere ohne dessen Wissen.

Einen Gebetsraum gibt es auch in dem Unternehmen, in dem Incis Freundin Hilal Akdeniz beschäftigt ist. Das wiederum ist nicht verwunderlich, denn die 33-Jährige ist in Offenbach bei einem muslimischen Medienkonzern angestellt. Das hat auch einen weiteren Vorteil für die 33-jährige Muslima. In der Betriebskantine kann sie ruhigen Gewissens ihren Hunger stillen. 

Der Verzehr von Schweinefleisch ist Muslimen laut Koran nicht erlaubt. So mancher Muslim kann sich daher nicht überwinden, Gerichte zu essen, die aus einer "herkömmlichen" Großküche stammen. Bei der Vorstellung nämlich, dass in den selben Töpfen auch Schweinefleisch zubereitet wird und die Speisen auf den selben Tellern serviert werden, bekommen sie keinen Bissen runter. Ganz so extrem ist es bei Sema und Inci nicht. Sie haben keinen sozialisationsbedingten Ekel vor dem Essen aus der Betriebskantine und stillen dort ihren Hunger. Um sicher zu sein, dass sie dem muslimischen Speisegebot folgen, bedienen sie sich an der Salatbar oder wählen ein vegetarisches Gericht.