Foto: photocase/fraueva
Mit dem Küssen kann man nie früh genug anfangen.
Küssen erwünscht!
Im wahren Leben wie im Kinofilm ist er heiß begehrt, jetzt wird er mit einem eigenen Tag geehrt: Heute ist der Tag des Kusses.
06.07.2012
epd
Birgit Vey

"A kiss is still a kiss", singt der Pianospieler Sam in "Casablanca" für Ingrid Bergman: Ein Kuss bleibt ein Kuss, die grundlegenden Dinge bleiben. Wobei Kuss nicht gleich Kuss ist: Es kann der nette Wangen-Begrüßungskuss sein, der schreckliche Schmatzer der Tante oder der leidenschaftliche Kuss der Verliebten. "Der Kuss hat viele Bedeutungen. Er vermittelt Intimität und Freundschaft, aber auch Ehrfurcht und Distanz", meint Christiane Cantauw, Volkskundlerin aus Münster.

Frühchristliche Geste für Begegnung und Frieden

So ist beispielsweise der Adorationskuss, bei dem der Saum, die Füße oder der Boden geküsst werden, ein Zeichen der Verehrung, die Päpsten oder anderen hochgestellten Personen entgegengebracht wird. "Bei diesen Küssen geht es um soziale Unterschiede. Deshalb schaut der Rangniedere dem Ranghöheren nicht ins Gesicht und küsst Bereiche, die weit von seinem Gesicht entfernt sind", erklärt sie.

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Mit einem solchen Kuss sei wohl auch das Jesuskind geehrt worden, meint der Althistoriker Alexander Demandt in seiner Übersetzung der Weihnachtsgeschichte im Matthäus-Evangelium. Statt von "Anbetung" der Weisen aus dem Morgenland zu sprechen, geht er von einem Fußkuss für den neugeborenen König der Juden aus. 

Und auch am Ende von Jesu Leben steht ein Kuss: der Judaskuss. Eine andere Form des Küssens, wie Cantauw sagt: "Er fand auf Augenhöhe statt. Es war eine frühchristliche Geste für Begegnung und Frieden. Ein Ritual, das perfide gebrochen wurde, mit dem Hintergedanken des Verrats."

"Brandkugeln der Unzucht"

Küsse auf Augenhöhe, da dürfte der Begrüßungskuss der häufigste sein. Und der älteste. Denn ihn kannten schon die Perser, er ist im alten Griechenland üblich gewesen und hielt auch im antiken Rom Einzug - aber nicht von Anfang an. Unter dem römischen Kaiser Tiberius (14 bis 37 nach Christus) wurde er gesellschaftsfähig. Nun gab es auch das römische Kussrecht, ius osculi. "Darin wurde festgelegt, bis zu welchem Verwandtschaftsgrad man sich küssen durfte", sagt Cantauw. Beispielsweise war geregelt, dass eine verheiratete Frau mit ihrer Eheschließung die Geschwister des Ehemanns küssen darf.

"Dieses römische Kussrecht strahlte bis ins Mittelalter", erklärt die Volkskundlerin. Dabei sei nicht alles über Gesetze bestimmt gewesen, sondern ebenso über Sitten, die es einzuhalten galt. Ein Verlobungskuss etwa war bindend.

Dass Lippenbekenntnisse damals aber generell einen eher schlechten Ruf hatten, fand die Bremer Kulturanthropologin Ingelore Ebberfeld heraus: "Brandkugeln der Unzucht" wurden die Küsse genannt. Und Ebberfeld hat in ihrem Buch "Küss mich" auch ein Beispiel parat, wie ein unerlaubter Schmatz enden kann: Der Bischof zu Speyer hatte im 13. Jahrhundert ungefragt die Ehefrau von Rudolf I. von Habsburg geküsst. Ein harmloser Wangenkuss, der zur Konsequenz hatte, dass der Bischof des Landes verwiesen wurde.

In manchen Kulturen tabu

Bis heute wird die zärtliche Geste ganz unterschiedlich gewertet, zeigt Cantauw auf: "In manchen Kulturen ist das Küssen tabu". Der Kuss in der Öffentlichkeit etwa gilt oft als allzu plakatives Zeichen für Sexualität. "In asiatischen Ländern gehört der Kuss ins Schlafzimmer". Dagegen seien die Deutschen und Franzosen eine "Bussi-Gesellschaft", findet Cantauw.

Als unhygienisch wird zuweilen der Austausch von Speichelflüssigkeit empfunden. So gebe es Völker, die Angst vor der Übertragung von Bakterien hätten. Statt leidenschaftlicher Küsse gibt es in einigen Kulturkreisen andere Formen der Nähe: etwa den Nasen-Kuss oder das Berühren der Augenwimpern.

Wissenschaftler betonen aber die gesundheitsfördernde Wirkung des Küssens: Es stimuliert die Immunabwehr und tut der Seele gut. Und die meisten brauchen wohl weder den Segen der Wissenschaft noch den Tag des Kusses für die Erkenntnis: Küsse sind etwas Wunderbares.