Der Weg zu Fifa-Präsident Sepp Blatter geht vorbei an noblen Häusern am Zürichberg. Die Gärten in dieser Edellage sind top gepflegt, es herrscht vornehme Ruhe. Hier, in einer parkartigen Umgebung, steht es: Das "Home of Fifa", dessen Firmensignet blau vom Dach leuchtet. 145 Millionen Euro teuer, ein anthrazitgrauer, drahtverhangener Monolith. Dennoch von schwebender Eleganz. Die Architektur der Zentrale des Weltfussball-Verbandes, der mehr als zweihundert Mitgliedsländer repräsentiert, beeindruckt. Angekommen in der lichtdurchfluteten Eingangshalle, steht man mitten drin in der Fifa-Welt.
Hinab ins Nervenzentrum des Fußballs
Seit einiger Zeit schreiben Medien vom geplanten Raum der Stille im neuen Fußballstation Hardturm in Zürich. Im "Home of Fifa" gibt es bereits einen solchen Ort, wo Fußballfunktionäre und ihre Gäste in sich gehen können. Der Andachtsraum liegt tief unten, denn ein Großteil des Weltkonzerns befindet sich unter der Erde. Der Weg zu ihm ist verschlungen. Der Besucher geht vorbei an Wänden, die mit edlen Materialien wie amerikanisches Nussbaumholz und Schieferstein ausgestaltet sind.
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Wie im Film "The Fifth Element" von Luc Besson gleiten Liftkabinen als glimmende Leuchtkörper geräuschlos auf und ab. Im dritten Untergeschoss, hermetisch abgeschossen, befindet sich der große Sitzungssaal das Exekutivkomitees, der "Gral", wo unter anderem über die Vergabe von Weltmeisterschaften entschieden wird. In der Mitte des Saales, im Boden eingelassen, liegt ein Betonkubus, der einen überdimensionalen Fußball umfasst.
Oase für gestresste Funktionäre
In diesem spirituell aufgeladenen Atmosphäre, gleich neben dem Grundstein des "Home of Fifa", befindet sich der Andachtsraum. Die Wände des sich nach oben öffnenden Raumes sind aus weissem Onyx. Indirektes Licht lässt den Raum kristallartig von innen erstrahlen. Der Raum ist auf zwei Seiten begehbar, Türen fehlen bewusst. Die zurückgenommene architektonische Gestaltung und spartanische Einrichtung - es gibt nur zwei Bänke– erinnern an klösterliche Ruhe und Einkehr. Geschaffen wurde der Ort von Tilla Theus, die diesen Auftrag mit Freude umsetzte. "Themen wie Transzendenz, Religion und Spiritualität sind wichtige Aspekte in meinem Leben", sagte die Zürcher Star-Architektin dem "Forum"-Pfarrblatt. Der Andachtsraum in der Fifa-Zentrale sei für sie "ein Ort der inspirierenden Stille."
Immer wieder schaut auch Sepp Blatter, der Hausherr des "Home of Fifa", vorbei. Dem rastlosen Botschafter des Fußballs ist der Meditationsraum, wie er ihn lieber nennt, sehr wichtig. Der Walliser sagt: "Für mich ist es wesentlich, dass es in einem Gebäude mit dieser Größenordnung einen Ort gibt, wo man sich zurückziehen kann. So ist dieser sehr schöne Raum entstanden. Hier hält man inne, hier betet man."
Einige Medien schrieben bei der Einweihung dieses Raumes von einer "Kuriosität". Sie zeigten sich erstaunt, ja geradezu irritiert, dass ausgerecht hier, in der Firmenzentrale des Weltfußballs, gebetet und nachgedacht werden soll. Doch exakt dies tut der Hausherr. Nicht nur, wenn in der Fifa-Welt der Sturm tost und Medienangriffswellen anrollen oder anstrengende Gespräche mit Politikern, Managern und Medien anstehen. Der Spitzenfunktionär, der seit 1998 als Präsident des Weltfussballverbandes Fifa agiert, schätzt die Stille. Denkt er hier darüber nach, was ihn eigentlich antreibt, welche Ziele er noch hat und woher er die Kraft dafür nimmt? Sepp Blatter sagt über sein Beten hier: "Das ist etwas sehr Persönliches, etwas, was man sehr diskret macht und nicht an die große Glocke hängt."
"Mir kommt heute noch die Gänsehaut"
Das Schönste was er hier je erlebt hat? "Am Ende der Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich haben sich Vertreter aller Religionen, die an dieser EURO teilgenommen haben, in diesem Raum getroffen – Katholiken, Protestanten, Juden und Muslime. Mit Christoph Sigrist, dem Pfarrer des Grossmünsters in Zürich, wurde gebetet und am Schluss haben alle gemeinsam gesungen: 'Großer Gott wir loben dich' Da war eine Akustik in diesem Saal. Wenn ich nur daran denke, dann kommt mir heute noch die Gänsehaut. Das war großartig!", erinnert sich Sepp Blatter.
FIFA-Präsident Sepp Blatter geht gern zum Beten und Singen in den Andachtsraum. Foto: dpa
Dass der 76-Jährige am Andachtsraum in der Zentrale dieses Milliardenunternehmen Gefallen findet, erstaunt nicht, denn Blatter ist – was wenigen wohl bekannt ist - praktizierender Katholik. Er, der bei wichtigen Lebensereignissen das Kloster Einsiedeln aufsucht, sagt: "Ich bin katholisch erzogen worden und glaube an Gott. Ich glaube an Gott, ich glaube aber auch an mich selbst. Beides ist wichtig." Wichtig ist dem Vielgereisten, dass der Andachtsraum für alle Religionen geschaffen ist. Dies, so die Absicht der Gestalter dieses Raumes, weil bei der Fifa Menschen aller religiösen Bekenntnisse anzutreffen seien. Auf religiöse Symbole wurde in diesem Raum bewusst verzichtet. Es gibt nur ein Pfeil des US-Land-Art-Künstlers James Turrell, der die Richtung von Mekka anzeigt.
Religion und Fußball
In diesem Andachtsraum kommt man auch darüber ins Sinnieren, dass es zwischen Fussball und einer katholisch geprägten Frömmigkeit mit ihren Ritualen einige Parallelen gibt, denn: Für viele ist der Fußball, dieser archaische Kampf, mehr als nur ein Spiel von 90 Minuten. Er ist Religion. Mancher ist davon überzeugt: Gott ist rund. Zu Stadien wird in Fahnenzügen "hingepilgert", begnadete Kicker gelten als "Fußballgötter" und Schalke 04-Fans tauften ihre Fan-Postille "Schalke Unser". Auserlesene Spieler werden in die Startelf eines wichtigen Spiels "berufen".
Glaube und Religion haben auch für Sepp Blatter einen hohen Stellenwert im Fussball, allein die Symbolik. Er nennt Spieler, die sich bekreuzigen, wenn sie aufs Spielfeld laufen oder den Boden berühren oder küssen. Solche, die ihre Arme zum Himmel strecken, wenn sie ein Tor geschossen haben. Menschlich beindrucken ihn Fußballer wie Lionel Messi, der jedes Tor seiner verstorbenen Großmutter widme. Sepp Blatter sagt: "Der Fußball ist das Spiel des Volkes. Jedes Volk hat seine eigene Kultur. In jeder Kultur spielt die Religion eine große Rolle. Deshalb hat auch der Fussball eine wesentliche und wichtige soziokulturelle Aufgabe."