"Freifrau von Droste-Vischering, Vi-Va-Vischering zum heil'gen Rock nach Trier ging" , heißt es in einem antiklerikalen Spottlied aus den Vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Autor Rudolf Löwenstein schrieb es anlässlich der großen Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844. Über 500.000 Pilger aus ganz Deutschland zogen in die alte Römerstadt, um an der in einem Stück gewebten Tunica Jesu Christi zu beten.
Seit der französischen Revolution hatte die katholische Kirche ihre alten Territorien und ihren Stand als Reichsfürsten verloren. Innerkirchlich mischten sich die meist evangelischen Landesherren in das Kirchenregiment ein und sahen die katholische Kirche als ihre "Landeskirche", was dem weltkirchlichen Anspruch der Kirche widersprach. Bekannt ist der als "Kölner Wirren" bekannte Eingriff des Staates in das kirchliche Eherecht, der 1837 zur Gefangennahme des Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering führte. Eine große Laienbewegung traf sich 1844 in Trier, um unter dem Symbol des Heiligen Rocks im Gebet ein Zeichen für die Treue zum Papst und gegen staatliche Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten zu setzen.
Reliquien mit fremder DNA verunreinigt
Motto der aktuellen Trierer Wallfahrt ist das Wort "…und führe zusammen, was getrennt ist". Unter dem Symbol des ungeteilten Gewandes Christi (Joh. 19,23-24) lädt das Bistum Trier die eigenen Gläubigen und zum zweiten Mal seit 1996 die Geschwister aus der Ökumene ein, über ihre Einheit im einen Herrn Jesus Christus nachzudenken. Was hat es eigentlich mit diesen Reliquien auf sich, deren berühmteste zu jeder Zeit tausende Pilger anziehen, um vor ihnen zu beten? Reliquien sind zunächst Spuren, die Jesus Christus oder Heilige in der Welt gelassen haben. Das können Knochensplitter, Nägel aus dem Kreuz Christi, Hautpartikel oder Kleidungsstücke sein. Reliquien stillen ein urmenschliches Bedürfnis. Menschen wollen sehen und anfassen. Ein Stück des "ungläubigen Tomas" steckt offenbar in uns allen. Wohl auch aus diesem Bedürfnis heraus ist bis heute in jedem katholischen Altar eine Reliquie eingesetzt, die auf die Verbindung zum Heiligen hinweist. Sie erinnern an ihren Träger und rufen dazu auf ihn zu verehren.
Für die Reformatoren waren sie Teufelszeug. Luther predigte gegen den "Reliquienkram" und unter Calvin und Zwingli wurden sie sogar verbrannt. Richtig ist, dass in der Zeit der Vorreformation mit der Reliquienverehrung übertrieben wurde. Es wurden sogar Leichen von Menschen die im Ruf der Heiligkeit standen gefleddert, um Reliquien zu gewinnen, wie etwa bei der heiligen Elisabeth. Reliquien wurden auf fast schon magische Weise als Wunderproduzent, Amulett oder Heilsgarantie gesehen. In dieser Sicht des Glaubens ist auch jede Reliquie "echt". Die Frage, ob Jesus Christus tatsächlich diese Trierer Tunica getragen hat, und ob Kaiserin Helena sie tatsächlich aus Konstantinopel mitgebracht hat, stellt sich in dieser Sicht nicht. Niemand pilgert zu einem Stück Stoff, sondern geht einen Weg mit Christus.
"Eine Sache der evangelischen Freiheit"
Doch diese Sicht gilt auch nach katholischem Verständnis keinesfalls immer. "Reliquien sind Zeichen, die die Menschen auf Christus selbst, wie etwa der Heilige Rock oder auf bestimmte Heilige hinweisen", sagt Pfarrer Herbert Thönes, langjähriger Vorsitzender der Aachener Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. So gibt es bis heute keinen naturwissenschaftlichen Beweis, ob der Heilige Rock tatsächlich antik ist. Einen solchen Beweis zu führen ist schwierig. Die großen Tuchreliquien in Turin, Rom, Aachen, Trier und anderswo wurden über die Jahrhunderte hinweg immer angefasst, mit Weihrauch inszeniert, umwebt und standen im Ruß der Kerzen. Sie sind deshalb immer mit fremder DNA und jüngerem Kohlenstoff verunreinigt, was moderne Analyseverfahren unsicher macht.
Das aber ändert nichts an deren Symbolkraft. Die Tatsache, dass der Heilige Rock in einem Stück gewebt ist, ist ein Zeichen für die Einheit der Christen. Christus hat keine verschiedenen Konfessionen gewollt, er wollte eine Kirche. Von daher ist die Tunica Christi auch ein Hoffnungsträger für die Ökumene und es verwundert daher nicht, dass der Trierer Bischof Stephan Ackermann ausdrücklich die Geschwister aus der Ökumene nach Trier einlädt. Und in Christus selbst liegt das Verbindende, das auch evangelische Christen nach Trier pilgern lässt, um zu schauen, "was Christum treibet" (Luther). Nicht nur die rheinische Landeskirche, auch Freikirchen, Orthodoxe und Altkatholiken haben die Einladung des Bischofs angenommen und beteiligen sich mit ökumenischen Andachten, Vorträgen und Impulsen. Höhepunkt ist der Tag der Ökumene am 5. Mai.
Nikolaus Schneider: "Kein Verrat am evangelischen Glauben"
Für den rheinischen Präses Nikolaus Schneider soll die Wallfahrt evangelischen Christen "eine Möglichkeit erschließen, eine Frömmigkeit zu leben, die uns Protestanten bisher nicht zur Verfügung stand", sagte er in einem Interview. Für ihn stellt sich die Frage, was in dem anderen, dem "Knatschkatholischen", das für Evangelische bereichernde, zu Christus weisende ist. In diesem Sinne sei die Wallfahrt zwar nicht evangelisch, wohl aber evangeliumsgemäß und daher keinesfalls ein Verrat am evangelischen Glauben.
Die ökumenische Dimension hat Superintendent Horst Höppel aus Simmern im Blick. Gerade im gemischtkonfessionellen Hunsrück sei es ein gutes Zeichen, dass katholische und evangelische Dorfgemeinschaften, die jahrhundertelang nebeneinander leben, sich jetzt gemeinsam auf den Weg machen. Die Rheinische Landeskirche hat eine ausführliche Dokumentation zur Wallfahrt erstellt, wo die Wallfahrt aus evangelischer Sicht gedeutet wird.
Natürlich gibt es auch Stimmen, die die überzogene Reliquienverehrung als noch nicht überwunden betrachten. So beispielsweise die Superintendentin Marion Obitz aus Wied, die nicht zum Heiligen Rock fahren wird. Oder es gibt Christen wie den Luxemburger Konsistorialpräsidenten Karl Georg Marhoffer, die zwar nach Trier fahren, aber nur um anderen Christen zu begegnen, nicht jedoch, um die Reliquie zu besichtigen. Letztlich, so sagt auch Schneider, sei es eine Sache der evangelischen Freiheit, sich aus guten theologischen Gründen dafür oder dagegen zu entscheiden.