Foto: dpa/Tass/Mitya Aleshkovsky
Der Skandal-Auftritt von "Pussy Riot" in der Moskauer Kathedrale am 21. Februar 2012.
Unerschrocken oder unerhört? Pussy Riot und der Luther-Preis
"Pussy Riot" als mögliche Träger des Luther-Preises polarisieren in Kirche und Politik
Der Vorschlag, der Punkband "Pussy Riot" einen Luther-Preis zu verleihen, spaltet die Öffentlichkeit. Bis zur Jurysitzung wird gestritten, wie weit Protest in einer Kirche gehen darf - und ob er dann auch noch eine Auszeichnung verdient.
06.11.2012
epd
Karsten Wiedener

Wohl niemand aus dem Wittenberger Hauptausschuss hätte es sich im September träumen lassen, dass das mehrheitliche Votum des Gremiums einen Sturm entfacht, dessen Ausläufer sogar das Europäische Parlament erreichen. Die Nominierung der russischen Punkrock-Band "Pussy Riot" ausgerechnet für den Luther-Preis "Das unerschrockene Wort" spaltet Politik und Kirchen - und das scheinbar mehr außerhalb der Grenzen von Wittenberg, wo nur etwa jeder fünfte Einwohner einer Religion angehört. Dass die Debatte immer noch einen weiteren Mosaikstein erhält, zeigte das vergangene Wochenende.

Da hatte sich als Prominente die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, zu Wort gemeldet und die Nominierung begrüßt. Und am Montag gab die Stadt Magdeburg die Rücknahme ihres Vorschlags bekannt: Die evangelische Theologin Waltraut Zachhuber wollte nicht mit ihrem Namen in einer Reihe mit der Band stehen.

Unerschrockenes Wort oder Gotteslästerung?

Eine Kernfrage ist, wie weit in einer Kirche vorgebrachter Protest gegen Missstände gehen darf, wenn dabei auch Menschen in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden. Vor Göring-Eckardt hatten schon die EKD-Reformationsbotschafterin Margot Käßmann sowie Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge ihre Sympathien für den "Pussy Riot"-Vorschlag erklärt. Zwar hätten die jungen Frauen zweifellos religiöse Gefühle verletzt, sagte er. Die massive Kritik von einigen protestantischen Theologen an der Nominierung sei für ihn aber nicht nachvollziehbar. Und der Band "Gotteslästerung" vorzuwerfen, gehe zu weit.

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Dröges Abweisung der Kritik zielte wohl auch auf den Wittenberger evangelischen Theologen Friedrich Schorlemmer, der empört von einem verheerenden Zeichen sprach, wenn die Band den Preis erhalten würde. In Bezug auf den Liedtext forderte Schorlemmer, dass eine Lutherstadt keine "Gotteslästerung" ehren sollte.

Auch die Politik mischte sich mit Für und Wider ein - quer durch die Parteien und bis in das Europäische Parlament. So ermutigte der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz den Stadtrat von Wittenberg, an der Nominierung festzuhalten. Gerade am Ursprung der Reformation sollte das Bewusstsein dafür wachgehalten werden, dass die Kirche ein geeigneter Ort sei, um gegen Unterdrückung, Unfreiheit und Demütigung zu protestieren, schrieb er in einem Offenen Brief an die fernen Kommunalpolitiker. Das unerschrockene, freie Wort und die Suche nach Wahrheit dürften nicht vor der Kirchentür haltmachen.

Heiner Geißler: Gott fühlt sich nicht gelästert

Indirekt pflichtete ihm Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und Bundesminister, bei: Gott fühle sich nicht durch die Auftritt der Mädchen gelästert. Von der SPD-Seite verteidigte der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, "Protest unter dem Dach der Kirche". Dagegen nannte Geißlers Parteikollege Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, eine mögliche Vergabe des Preises an die Musikerinnen "abwegig". Die Band habe die Verletzung religiöser Gefühle in Kauf genommen, um eine politische Botschaft zu transportieren.

Die Band "Pussy Riot" (übersetzt etwa "Muschi-Krawall") hatte im Februar den allein Priestern vorbehaltenen Bereich der Moskauer Kirche gestürmt. Dort riefen sie in einem "Punkgebet" die Gottesmutter Maria unter anderem dazu auf, Präsident Wladimir Putin zu verjagen. Ihr Protest richtete sich auch gegen die Verquickung von Kirche und Politik in Russland. Die Band-Mitglieder wurden wegen Rowdytums aus religiösem Hass verurteilt.

Der mit 10.000 Euro dotierte Preis der 16 deutschen Lutherstädte wird im April 2013 in Luthers Geburtsort Eisleben zum neunten Mal verliehen. Ausgewählt wird der Preisträger am Samstag in Eisleben. Halle favorisiert Michael Beleites, Mitbegründer der Umweltbewegung in der DDR und ehemaliger sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Als Jurymitglied hat der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm die Regensburger Gastronomen-Initiative "Keine Bedienung für Nazis" empfohlen.