"Pauline Tu... geb. 11. Juli 1907, gest. 19... . Der Name und das Sterbedatum auf dem Mosaik der Grabplatte sind unvollständig. Sie liegt auf dem alten evangelischen Friedhof des Dörfchens Wiardunki, deutsch Werdum, in Westpolen. Zusammengesetzt wurden die zerstörten Fragmente der Grabplatte von polnischen Freiwilligen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Friedhöfe der deutschen Protestanten im Kreis Oborniki, deutsch Obornik, zu restaurieren.
###mehr-artikel### "Es war einfach beschämend, dass hier Deutsche herkamen und nach ihren Vorfahren suchten, und die Gräber waren so verwüstet", sagt der 32-jährige Roman Trzesimiech, Gründer des Freiwilligenverbandes "Vereinigung zur Sanierung der evangelischen Friedhöfe". 18 Mitglieder hat der Verein, manchmal wird er von Schulklassen unterstützt. Seit 2009 suchen die Freiwilligen zerstörte Grab-Elemente, errichten neue Kreuze, räumen mit Schaufel und Spitzhacke auf. Gelegentlich braucht es auch einen Bagger, der von einem Bauern ausgeliehen wird. Die Gräber der Protestanten, die der unierten Kirche in Preußen angehörten, stammen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Lange waren sie in Polen ein ungeliebtes Erbe.
Vor Ende des Ersten Weltkriegs gehörte der Kreis Oborniki zur Provinz Posen im Deutschen Reich. Um die Jahrhundertwende war dort etwa ein Drittel der Bevölkerung deutschsprachig und evangelisch, zwei Drittel polnischsprachig und katholisch. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Provinz an die neu gegründete Zweite Polnische Republik; Spannungen traten auf, viele Deutsche emigrierten.
Vergeltung für die Verbrechen der NS-Zeit
Als Vergeltung für die Verbrechen der Nationalsozialisten im besetzten Polen internierte die Verwaltung des kommunistischen Polen 1945 die verbliebenen Deutschen in der Region. Später wurden sie meist ausgewiesen.
Die politische Führung des Landes versuchte, in der Nachkriegszeit jegliche Erinnerung an die deutschen Bewohner zu tilgen. "Auch Vandalismus auf deutschen Friedhöfen wurde geduldet, es wurde sogar dazu animiert", sagt Roman Trzesimiech. Vorbehalte gegenüber Deutschland gebe es auch heute noch, ergänzt er. Doch das Friedhofsprojekt werde gut aufgenommen.
Denn durch die Arbeit an den Gräbern haben sich auch die Kontakte mit dem westlichen Nachbarn intensiviert - einige Nachfahren der Deutschen in Westpolen haben bereits die sanierten Friedhöfe besucht. Der katholische Priester der Kreisstadt Ryczywol feierte mit Pastoren aus Lübeck und Hameln, wo Hinterbliebene leben, mehrere ökumenische Gottesdienste bei den Grabstätten.
Arbeit an Gräbern als gelebte Ökumene
Auch die Arbeit an den evangelischen Gräbern kann man als gelebte Ökumene sehen. Die hemdsärmeligen Sanierer sind vor allem Katholiken - und gerade in Polen hat man ein besonderes Verhältnis zur Friedhofspflege. Kein Land feiert Allerheiligen mit einer solchen Hingabe wie Polen. Eine Ausnahme im Verein macht Janusz Szwadzki, ein pensionierter Lehrer. Er bezeichnet sich als "nichtglaubend", die Hinterlassenschaften der deutschen Bewohner seien jedoch Teil des "europäischen Erbes", das man pflegen müsse, urteilt er.
###mehr-links### Dieses Erbe wird auch in anderen Gegenden Westpolens wieder entdeckt. Doch es fehlt an Geld zur Erhaltung der evangelischen Grabstätten. In Pleszew, deutsch Pleschen, wurde jüngst ein Friedhof der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen in einen städtischen Park umgewandelt. Die Kirche der polnischen Lutheraner hat rund 70.000 Mitglieder und verfügt über wenig Mittel zur Restaurierung.
Für die Friedhöfe der unierten Kirche wie in Oborniki sind die polnischen Lutheraner zudem formal gar nicht zuständig. "Und die Kirche braucht ihre beschränkten Mittel für die Mission und die Diakonie", sagt Wojciech Pracki, der Sprecher der polnischen Lutheraner.
Die Freiwilligen-Vereinigung in Oborniki zumindest braucht Unterstützung - Zuschüsse für den Kauf und das Leihen von Geräten und Maschinen sowie Mittel für Informationstafeln und Vortragsmappen, die sie erstellen will. In dem Kreis gibt es 14 Friedhöfe, zwei wurden bereits saniert. "Wir wollen bis Ende 2015 alle schaffen, dann kommt der nächste Kreis dran", sagt Trzesimiech.